Die Geschichten dahinter Wie es ist, wenn man unfreiwillig zum Meme wird

Von Monika Rufener

22.12.2020

Stellen Sie sich vor, ein Foto mit Ihrem Gesicht wird ohne Ihr Wissen zu einem Meme und geht auch noch viral. Genau das ist diesen vier Menschen passiert.

Sie heissen «Disaster Girl», «Nightclub cliché» oder «First World Problem Girl» und sie haben eines gemeinsam: Ein Foto ihres Konterfeis wurde auf dem Spielplatz des Internets zu einem Meme, das sich unkontrollierbar verbreitete. Die Geschichten der Menschen dahinter, und was sie über ihren plötzlichen Ruhm denken, sind jedoch sehr unterschiedlich.

«Disaster Girl»

Das Bild des lächelnden Mädchens vor einem brennenden Haus impliziert, dass das Mädchen selbst das Feuer gelegt oder irgendeine Katastrophe verursacht hat und sich hämisch darüber freut.

Ein gruseliges Bild mit dem Gesicht von Zoe Roth wurde anno 2008 zu einem der ersten viralen Memes. Roth war zu diesem Zeitpunkt gerade einmal acht Jahre alt, wie «Refinery 29» in einem Porträt über das «Disaster Girl» schreibt. Das Bild entstand jedoch schon 2004 während eines Spaziergangs in der Nachbarschaft, als gerade die lokale Feuerwehr bei einer Übung in einem brennenden Haus zugange war. Zoes Vater hatte kurz zuvor eine neue Kamera gekauft, wollte diese ausprobieren und drückte auf den Auslöser.

«Ich erinnere mich noch daran, wie mein Vater das Bild von mir schoss», so die inzwischen 20-Jährige gegenüber der BBC. Dass es sich bei dem Feuerwehreinsatz jedoch nur um eine Übung handelte, erfuhr Roth erst Jahre später. «Ich dachte, es befinden sich noch immer Menschen im Haus», erinnert sich der Meme-Star. «Ich war besorgt um sie – aber offensichtlich nicht allzu besorgt, nehme ich an, weil ich ja noch immer am Lächeln wär. Ich kann verstehen, dass das Bild später viral ging, weil ich so böse dreinblicke.»

Zwar stellte Zoes Vater das Bild bereits 2004 online, das Foto verbreitete sich jedoch erst ein paar Jahr später wie ein Lauffeuer, als es Zoes Vater für einen Fotowettbewerb einreichte. «Von da an war es wild», entsinnt sich Zoe. Leute hätten ihr immer wieder Memes mit ihrem Konterfei zugeschickt: «Es war plötzlich überall.»

Für Roth war und ist die Erfahrung als Viral-Hit vor allem eine positive. Da sich ein Marketingunternehmen im Social-Media-Bereich die Rechte an diesem Bild kaufte, verdiente sie sogar ein wenig Geld damit. «Es ist lustig, wenn ich neue Leute treffe und ihre Reaktionen sehe, wenn ich ihnen von meiner Meme-Vergangenheit erzähle», sagt Zoe. Und was ist ihre Lieblingsüberschrift? «When you rap the whole verse correctly.» (deutsch: «Wenn du eine ganze Strophe fehlerfrei rappst»)

«The nightclub cliché»

Die Überschriften dieser Memes beinhalten typische nervige Situationen in einem Club. Oft auch im Zusammenhang mit Mansplaining oder unerwünschten Flirt-Versuchen.

Im nächsten Meme wurden gleich zwei Menschen zu unfreiwilligen Protagonisten: Patrick Richie und Lucia Gorman. Die beiden kannten sich zwar noch aus Schulzeiten, hatten sich aber über die Jahre aus den Augen verloren. Als sie sich in den frühen Morgenstunden in einem Club in Edinburgh wiedersahen, tauschten sie aus, was sie die letzten Jahre so gemacht hatten.

Diesen Moment hatte ein anderer Clubbesucher namens David Wilkinson fotografiert und ins Netz gestellt. Es dauerte nur wenige Tage, bis das Foto mit der Caption «Herzlichen Glückwunsch für die Aufnahme des vermutlich treffendsten Nachtclubfotos in der Geschichte der Kunst» Tausende von Likes und Shares auf Facebook hatte.

Zum Leidwesen von Patrick wurde das Bild online auch öfter mit Aussagen wie «Dies wäre eine gute Werbung für eine Anti-Belästigungs-Kampagne» kommentiert. «Das hat mich wirklich verärgert, denn Lucia und ich sind Freunde und ich habe sie nicht belästigt, aber die Leute haben sich das Bild angesehen und einen falschen Eindruck bekommen, denn sie sieht wirklich sehr unerfreut über mich aus», sagte Patrick gegenüber BBC Three.

Dass sich die beiden schon kannten, hat Lucia in einem Interview mit «Newsbeat» bestätigt. Was genau ihr Patrick damals gesagt hat, daran kann sie sich nicht mehr erinnern. Die Schottin hat eine andere Erklärung für ihren Gesichtsausdruck: «Ich glaube, es war wahrscheinlich das Ende der Nacht und ich war definitiv bereit für mein Bett», erzählte Lucia. «Ich habe wahrscheinlich nur gedacht, ‹Ich werde an diesem Punkt einfach alles abnicken›.»

«First World Problem Girl»

Unter einem First-World-Problem werden Frustrationen verstanden, die nur von privilegierten Menschen in wohlhabenden Ländern erlebt werden. Die Überschriften dieses Memes erzählen von sehr trivialen Problemen.

Gäbe es so etwas wie eine Standard-Karriere eines Meme-Stars, wäre es die Geschichte von Silvia Bottini: Sie stand für ihren damaligen Fotografenfreund als Stockfoto-Modell vor der Kamera. Das Bild der heulenden Brünette gelangte dann von der Datenbank des Stockfotoanbieters auf eine Meme-Generator-Seite und wurde dort von Usern mit trivialen Überschriften wie «Mein Bett ist zu gross» oder «Es ist nicht genug Sauce auf meinem Salat» garniert. Kaum konnte sich die Schauspielerin versehen, war sie das «First World Problem Girl».

2019 war Bottini zu Hause bei ihren Eltern in Italien, als sie erfuhr, dass ihr Bild gerade viral geht: «Das Meme ist mir unangenehm», erklärt die in Los Angeles lebende Italienerin gegenüber der «Cosmopolitan». «Die Leute sollten nicht die Möglichkeit haben, jeden Satz, den sie wollen, auf mein Bild zu schreiben... Meine grösste Frustration war, dass ich keine Kontrolle darüber hatte – ich konnte nichts tun, um es aufzuhalten.»

Die Abgängerin der Lee-Strasberg-Schauspielschule bekam zwar ein wenig Publicity durch ihre Meme-Bekanntheit – so titelte etwa die «Sun» in typischer Boulevard-Manier: «Die Frau hinter dem beliebten Meme ‹First World Problem› ist im echten Leben richtig heiss» und verlinkte einige ihrer Social-Media-Fotos. Am Bild, das sie berühmt machte, hat Bottini keinen Rappen verdient. Das Copyright liegt beim Fotografen, ihrem Ex-Freund.

Trotzdem: Bottini hat sich inzwischen mit ihrem Schicksal als Meme-Star abgefunden und hat auch schon einen Plan, wie sie eventuell trotzdem daraus Geld schlagen kann. Die Wahl-US-Amerikanerin plant einen Film darüber, wie sie zu einem Meme wurde: «Wenn Sie mich vor einem Jahr gefragt hätten, ob ich die Zeit zurückdrehen wolle und wählen würde, kein Meme zu sein, hätte ich Ja gesagt. Aber jetzt würde ich es nicht mehr ändern. Ich bin begeistert von dem neuen Projekt und davon, die schlechte Energie in etwas Positives zu verwandeln.»

Zurück zur Startseite