Süchtig nach Medis und SportFitnessstar Anja Zeidler: «Ich hatte die Realität verloren»
Cilgia Grass
24.1.2018
RF zwei hinterfragt mit der Doku «Ohni Pfuus kei Müüs» den Fitness-Wahn kritisch. Zu Wort kommt auch Influencerin Anja Zeidler (24). Die Luzernerin wäre an ihren Sport-Ambitionen beinahe zerbrochen. Im «Bluewin»-Interview sagt sie, wie es soweit kommen konnte.
«Bluewin»: SRF hat eine Reportage über Sie gedreht. Sie heisst «Vom Höhenflug und tiefen Fall des Social Media Stars». Welche Höhen und Tiefen sind gemeint?
Anja Zeidler: Ich habe in meinen 24 Jahren schon so viel Aussergewöhnliches erlebt, und ich bin dankbar dafür. Ich zeichne mich dadurch aus, dass ich mich nicht nur dann zeige, wenn alles perfekt ist: Ich zeige mich auch, wenn es mir mal nicht so gut geht. Ich rede über positive, sowie auch negative Erfahrungen aus meinem Leben, denn ich bin auch nur ein Mensch, was oft vergessen geht. Ich möchte ganz klar einige meiner Erfahrungen, wie zum Beispiel meine Medikamenten- und Sportsucht, nicht wieder erleben müssen. Ich habe zu dieser Zeit jedoch enorm viel über mich selbst gelernt, habe erfahren, was mich wirklich ausmacht und bin bin zu der starken Frau geworden, die ich heute bin!
Sie waren von Anabolika und Steroiden abhängig. Wie kam es dazu?
Es kam dazu, weil ich im Jahre 2013 die Realität verloren habe. Mein Traum, als Fitnessmodel bekannt zu werden, war grösser, als zu meiner Gesundheit Sorge zu tragen. Ich hatte das Gefühl, ich müsse immer noch besser werden, obwohl es eigentlich längst genug war. Ich stand unter dem Druck der Öffentlichkeit und wurde zum Hamster im Rad. Aus meinem einst gesunden Training und Essverhalten wurde eine Sucht. Irgendwann war mein körperliches Limit erreicht, und trotzdem bekam ich vor allem in Los Angeles zu hören, ich sei noch nicht «perfekt» genug. Damals habe ich als sehr junge Frau darauf gehört und mich beinflussen lassen. Heute würde ich sagen: Ich muss nicht perfekt sein, ich muss ECHT sein!
Wann kam die Wende?
Im Frühling 2015 schaffte ich den Absprung aus dieser extremen Szene und bin nun seit gut drei Jahren geheilt. Heute entscheide ich mich definitiv für meine Gesundheit und meine Individualität, und das rate ich auch meiner Community: Bleibt so, wie ihr seid!
Wie hat sich die Sucht ausgewirkt?
Ich wurde zwar innert kürzester Zeit muskulöser und konnte meinen Fettanteil auf ein Minimum reduzieren. Was jedoch oft vergessen geht, ist mir auch widerfahren: Ich habe eine komplette Wesensveränderung durchlebt. Leider greifen viele, auch nicht-professionelle Athleten, mehr als man denkt zu Abnehmpillen und Muskelaufbaupräparaten. Es ist sehr einfach, an diese Substanzen zu kommen. Deswegen will ich mich heute dafür stark machen und sagen: Glaubt mir, ich habe es erlebt, es war schwer, da wieder rauszukommen. Ich rede aus Erfahrung, lasst es bleiben!
Sie sprechen in der Reportage auch über die Schönheitskorrekturen, die Sie haben machen lassen. Wie stehen Sie heute zu Themen wie Brustvergrösserung und Lippenaufspritzen?
Meine Brustimplantate habe ich im September 2017 wieder entfernen lassen. Dies fiel mir überhaupt nicht schwer. Mental habe ich schon lange damit abgeschlossen. Die Entfernung der Implantate war für mich der letzte Schritt, um wieder bei mir selbst anzukommen. Auch das Hyaluron in meinen Lippen ist fast schon komplett abgebaut. Damals hatte ich keine Relation mehr. Ich habe mich von surrealen Idealbildern beinflussen lassen. Leider habe ich mit 20 Jahren nicht realisiert, dass ich mit meinem damals surrealen Erscheinungsbild andere selbst verunsicherte und ihnen das Selbstwertgefühl nahm, weil sie sich mit mir verglichen haben. Zudem wurde mir bewusst: Was ich auch an meinem Körper alles verändere, ich werde nie zufrieden sein! Dies ist ein wichtiger Punkt, der nur den wenigsten bewusst ist. Der Drang nach Perfektionismus hört nicht auf, wenn man mal da drin ist.
Was haben Sie aus Ihren Erfahrungen gelernt?
Dass Glücklichsein anderswo anfängt. Wer mit sich selbst im Reinen sein will, muss lernen, sich selbst so zu lieben, wie er ist. Ich glaube, es gibt selten eine Person in meiner Position, die sich ungeschminkt und mit Brille zeigt, ohne sich komisch vorzukommen. Ich identifiziere mich nicht mehr nur über mein Äusseres! Anja Zeidler ist mehr, sowie es auch jeder einzelne meiner Follower ist.
Als Social Media Star haben Sie eine Vorbildfunktion. Haben Sie keine Angst, dass Ihre Fans Ihnen Sachen nachmachen, die Schaden anrichten?
Es gibt heutzutage unzählig viele Plattformen, Magazine, Reklamen und sonstige Bilder, die unsere Gesellschaft verunsichern und schlecht beinflussen. Schlussendlich ist jeder selbst dafür verantwortlich, woran er sich orientieren möchte. Niemand wird zu irgendwas gezwungen. Trotzdem bin ich froh, nach all diesen Erfahrungen am eigenen Leib die Leute zu Selbstliebe und Mut zur Natürlichkeit annimieren zu können. Wer meinen Werdegang verfolgt hat, weiss, was ich für eine Wandlung durchgemacht habe.
Was möchten Sie Ihren Fans sonst noch mitgeben?
Macht Erfahrungen, lernt daraus, wachst daran und findet somit zu euch selbst. Jedoch habe ich einige extreme Erfahrungen bereits durchgemacht. Vielleicht könnt ihr von mir lernen, ohne selbst den extrem schwierigen Rückweg gehen zu müssen, den ich auf mich genommen habe und leidend gegangen bin.
Wie oft trainieren Sie heute in der Woche?
So oft oder so wenig ich will! Ich habe keinen strikten Trainingsplan mehr und trainiere sehr intuitiv. Ausserdem gehe ich nicht mehr so oft ins Fitnessstudio. Ich halte mich vorallem mit Outdoor-Sport, Vitaparcours, Radfahren, Snowboarden oder Wandern fit. Für mich stehen Vielfältigkeit, Spass und vorallem Gesundheit im Vordergrund. Das Aussehen ist nicht mehr oberste Priorität, denn das kommt via Ausstrahlung von selbst, wenn die mentale Einstellung stimmt, egal ob zwei, drei Kilogramm mehr oder weniger auf den Hüften sind.
Was empfehlen Sie als Profi für ein gesundes Training?
Keinen strikten Trainingsplan, keine Diäten und kein Zwang! Alles, was man tut, soll ein WOLLEN und nicht ein MÜSSEN sein. Man sollte sich ernsthaft mit der Frage befassen: «Wieso will ich trainieren oder gesünder essen?» Wenn es der Gesundheit zuliebe ist, wird es einem leicht fallen. Man sieht das Ganze von einer völlig anderen Perspektive. Vergesst alle mal den Beautywahn! Seid tiefenentspannt und nehmt den Druck von euch weg.
Wie finden Sie die Balance zwischen Beruf, Liebe und Fitness?
Ich distanziere mich von allem, was für mich negativ ist. Ich fokussiere mich auf das Positive und mache, was mir gut tut – egal in welchem Bereich.
Gönnen Sie sich auch mal etwas Süsses?
Aber klar! Sie müssen verstehen, ich sehe meine gesunde Ernährung nicht als Diät, wie ich es einst tat. Ich habe es geschafft, ich sehe es als Lebenstil. Ich möchte (!) nicht täglich kiloweise Süsses in mich reinstopfen, da sich dies negative auf meine Gesundheit auswirkt. Ich bin mental soweit, dass ich zwischen MÜSSEN und WOLLEN unterscheide. Momentan habe ich aber einen Schoko-Nuss-Aufstrich auf pflanzlicher Basis entdeckt. Schmeckt wie Nutella und gibts fast täglich. Mit selbstgemachtem Brot natürlich! (zwinkert)
Sie sind zurück zu Ihren Eltern gezogen, wie war das für Sie?
Ich habe ein sehr gutes Verhältnis zu meinen Eltern und kann von Glück reden, dass sie in dieser damals schweren Zeit für mich da waren, als ich nicht mehr wusste, wer ich bin und wo ich hingehöre. Ohne meine Eltern hätte ich den Absprung aus der Bodybuildingszene nicht geschafft! Auf Grund meines Berufes bin ich ausserdem sehr viel unterwegs, und so war es immer sehr schön, wenn ich dann mal in der Schweiz war, bei meiner Familie sein zu können. Ich bin ein absoluter Familenmensch. Jedoch ziehe ich Mitte März wieder aus und freue mich auf mein eigenes Traumreich!
Wo werden Sie wohnen?
Ich bleibe in meiner Heimat Luzern.
Sie sind mit Rapper Mimiks liiert. Werden Sie eine gemeinsame Wohnung beziehen?
Zusammenziehen ist bei mir und meinem Freund noch kein Thema, ich freue mich vorerst auf mein eigenes Reich.
«Ohni Pfuus kei Müüs – Fit auf SRF zwei» läuft am Mittwoch, 24. Januar, um 20.10 Uhr auf SRF zwei. Begleitet werden sechs unterschiedliche Sportgruppen oder -Milieus. Die einzelnen Ausschnitte über die jeweiligen Fitness-Milieus werden in den Tagen nach dem 24. Januar einzeln noch einmal ausgestrahlt. Der Ausschnitt über Anja Zeidler wird am Donnerstag, 25. Januar, um 22.45 Uhr auf SRF zwei zu sehen sein. Mit Swisscom TV Replay können Sie die Sendungen bis zu sieben Tage nach der Ausstrahlung anschauen.
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