Kolumne am Mittag Jean-Luc Godard – der betagte Radikale ist 90

Von Fabian Tschamper

4.12.2020

Der französisch-schweizerische Regisseur Jean-Luc Godard auf dem Set von «Sympathy for the Devil» (1968).
Der französisch-schweizerische Regisseur Jean-Luc Godard auf dem Set von «Sympathy for the Devil» (1968).
Bild: Getty Images

Niemand spricht mehr über ihn, er scheint vergessen. Dabei wäre Jean-Luc Godard im heutigen Kino goldrichtig – so wie er es in den 1960ern auch war. Eine Hommage an den unaufhörlich Rebellierenden.

«Man muss keine politischen Filme machen, sondern Filme politisch machen», dies ist der inflationär zitierte Satz des französisch-schweizerischen Regisseurs Jean-Luc Godard (JLG). Gestern wurde der einflussreiche Filmemacher 90 Jahre alt, sein historischer Ruhm ist längst verblichen.

Der Kino-Pionier war stets provokativ und liess seine Filme durch seine Inhalte, seine Form, seinen Blick – ja, seine Haltung zur Welt – politisch werden.

Für sein Debüt «A bout de souffle» («Ausser Atem», 1960) mit Jean-Paul Belmondo und Jean Seberg liess er nicht wie üblich in den Studios filmen, sondern schickte seine Handkamera in die Gassen von Paris. Er schrieb Dialoge einer aufmüpfigen, ungeduldigen Jugend, schnitt wie es ihm passte – nicht regelkonform. Er sagte einst, Regisseure würden ihre Kameras nur nutzen, um selbst zu existieren.

«Sie benutzen sie nicht, um etwas zu sehen, das man ohne Kamera nicht sieht.»

Regeln, die man befolgen darf

Godards Werke werden gern als abgehoben und übertrieben intellektuell kritisiert. Doch jemandem, der wert auf jedes Bild, jede Aufnahme legt, dies zu unterstellen – ist das fair? Er war und ist ein Gegner des kommerziellen Trends im Kino, provoziert nach wie vor gern. JLG macht seine Zuschauer*innen mindestens so angetan vom Kino, wie er es selbst ist. Filme seien dazu da, um sich streiten zu dürfen – und zwar grundsätzlich.

Normen und Regeln sollen doch gebrochen werden, oder?

Es gäbe im Kino immer noch – und das trifft heute stets zu – starke Reaktionen. Scorsese deutete ja einst an, er möge die Marvel-Filme nicht, zu viel Tamtam. Das Internet ist schier explodiert. Genau das sind Emotionen, die sich Godard in seinem Medium wünscht – wahrscheinlich auch noch mit 90 Jahren. Wie ein junger Geist in einem alternden Körper.

Eine beneidenswerte Art, sein Leben zu führen, wenn Sie mir diesen Kommentar erlauben.

Streitet euch!

Godards Nouvelle Vague, wie der Stil in den frühen 1950ern getauft wurde, sollte das Kino auch deshalb echter machen. Keine künstlichen Lichter, junge und unbekannte Schauspieler, näher am Leben sein, das war die Idee. Ein Ideal, dem wir heute wieder ferner sind. Obwohl sich die filmischen Möglichkeiten seit den 1960ern verhundertfacht haben dürften.

Mehr Filme heisst auch mehr Dinge, die wir ohne Kamera nicht sehen würden. Und es gibt uns das Recht, auch mal zu sagen, wenn einem die Marvel-Filme an den vier Buchstaben vorbeigehen ...

Danke für das halbe Jahrhundert voller Exzentrik, Jean-Luc.

Regelmässig gibt es werktags um 11:30 Uhr und manchmal auch erst um 12 Uhr bei «blue News» die Kolumne am Mittag – es dreht sich um bekannte Persönlichkeiten, mitunter auch um unbekannte – und manchmal wird sich auch ein Sternchen finden.

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