«The Dissident» Khashoggi-Ermordung als packender Dok-Thriller

Von Lukas Rüttimann

15.4.2021

Der regierungskritische saudische Journalist Jamal Khashoggi wurde am 2. Oktober 2018 im saudischen Konsulat in Istanbul brutal ermordet.
Der regierungskritische saudische Journalist Jamal Khashoggi wurde am 2. Oktober 2018 im saudischen Konsulat in Istanbul brutal ermordet.
Hasan Jamali /AP / KEYSTONE-SDA

«The Dissident» beleuchtet die Hintergründe der Tötung von Jamal Khashoggi. Das ist packender als jeder Krimi – und stellt den Mord in einen neuen Zusammenhang.

Von Lukas Rüttimann

15.4.2021

Es beginnt wie in einem Spionage-Thriller. In einem anonymen Hotelzimmer in Montreal telefoniert ein junger Mann und erzählt, dass sein Leben bedroht werde. Später folgt ihm die Kamera durch düstere Gassen und verlassene U-Bahn-Stationen in der kanadischen Metropole, während auf seinem Handy Textnachrichten mit Drohungen eingehen. Der junge Mann ist der Blogger Omar Abdulaziz, der mit einer Gruppe aus dem kanadischen Exil gegen das Königshaus seines Landes kämpft. Er sagt: «Es ist meine Schuld, dass Jamal tot ist.»

Verschwörung? Grössenwahn? Hollywood? Fakt ist, dass am 2. Oktober 2018 die ganze Welt Zeuge wird, wie der saudische Journalist und Regimekritiker Jamal Khashoggi verschwindet und nie wieder auftaucht.

Nach und nach werden die grausigen Details seiner Tötung bekannt. Details, die Oscar-Preisträger Bryan Fogel («Icarus») in «The Dissident» mit Originaltranskripten der türkischen Ermittler aus den Räumen der saudischen Botschaft in Istanbul belegen kann. Manch einer dürfte sie bereits aus den Zeitungsberichten von damals kennen. Im Kontext des Films jedoch lassen sie einem kalte Schauer über den Rücken laufen.

Mord im neuen Licht

Tatsächlich erscheint die Tat bis heute surreal. Man muss es sich noch einmal vor Augen führen: Ein prominenter Journalist besucht das Konsulat, um Dokumente für seine bevorstehende Hochzeit abzuholen. Dort wird er von einem eigens eingeflogenen Killerkommando seines Heimatlandes ermordet und in Stücke zersägt. Als Erklärung folgen eine Reihe von abstrusen Ausreden, bevor die Beweislast zu gross wird und man erklärt, die Tat sei auf eigene Initiative von Systemtreuen geschehen. Untersuchungen der Vereinten Nationen und türkischer Sicherheitsbehörden lassen inzwischen jedoch kaum Zweifel daran, dass die Ermordung im Wissen des machthungrigen Kronprinzen Mohammed bin Salman (MBS) geschah, der seine Rolle als Reformer im Staat durch Khashoggi bedroht sah.

So weit, so bekannt. Dennoch gelingt es Fogel auf beeindruckende Art und Weise, die Zusammenhänge in ein neues Licht zu rücken. Denn Khashoggi war nach seiner Flucht aus seiner Heimat unglücklich und einsam. Als Folge wurde seine Kritik am Königshaus immer lauter, er übertrat manch eine «rote Linie», wie es im Film heisst.



Kurz vor seinem Tod schloss er sich der Gruppe des eingangs erwähnten Blogger Omar Abdulaziz an, der gegen sein Land einen Cyber-Guerillakrieg führt. Denn 80 Prozent aller Saudis nutzen Twitter. Das Königshaus kontrolliert mit einer Cyberarmee das Narrativ auf Social Media, das Dissidenten aus dem Exil mit ihren Hashtags bekämpfen. Der Film kommt zum Schluss: Weil Khashoggi als Mitglied der saudischen Elite und früherer Freund des Königshauses über Insiderwissen verfügte, sei er in diesem Krieg für MSB zur Bedrohung geworden und musste sterben.

Ein Plädoyer und eine Warnung

Dieser neue Aspekt macht «The Dissident» zu mehr als einer beeindruckenden Aufarbeitung von Bekanntem. Zudem zeigt der Film Jamal Khashoggi von seiner sympathischen privaten Seite, betont die Opferbereitschaft vieler Involvierten und unterstreicht die Wichtigkeit eines unabhängigen Journalismus in der heutigen Zeit. Denn während etwa der damalige US-Präsident Donald Trump die Tat aus Angst vor wirtschaftlichen Konsequenzen kleinreden wollte, gaben viele Journalisten keine Ruhe, bis die Saudis mit einem Teil der Wahrheit herausrückten. Und dann sind da noch Figuren wie Jeff Bezos – notabene der reichste Mann der Welt –, der nach Bekanntwerden der Tat seine Beziehung zum Königshaus abbrach und dessen Handy in der Folge gehackt wurde. Via Spyware, die von einer Textnachricht von MBS stammt. Das alles erinnert an einen Bond-Film – wenn es nur nicht so grausam real wäre.

Letztlich ist «The Dissident» deshalb Plädoyer und Warnung zugleich. Eine Warnung vor einem Cyberkrieg, den jede und jeden treffen kann – und ein Plädoyer für den Kampf gegen die Unterdrückung. Verbunden mit der Hoffnung, dass am Ende kein noch so grausamer Mord die Veränderungen von totalitären Machtstrukturen aufhalten kann.

«The Dissident» ab 16.4. als Online-Video, ab 23.4. als TVoD zum Beispiel bei Amazon Prime.