FilmstartManfred Liechti: «Ich würde mich wohl umbringen»
sda
10.11.2022 - 10:58
Der Berner Manfred Liechti spielt in «Peter K. – Alleine gegen den Staat» den Bieler Rentner, der die Stadt im Jahr 2010 für Tage in Atem hielt. Wie hat er sich Peter Hans Kneubühl genähert? Und was empfindet er für den Mann?
sda
10.11.2022, 10:58
SDA
Da sitzt er also in einem Berner Café: Manfred Liechti, der im Film des Bielers Laurent Wyss «Peter K. – Alleine gegen den Staat» den «Amok-Rentner» spielt. Amok-Renter? Der Berner Schauspieler ("Die Herbstzeitlosen», «Gotthard», «Wilder» und, aktuell, «Luchsinger und die Götter") widerspricht umgehend und vehement: «Diese Schlagzeile wurde einzig aus Sensationsgier geschrieben. Peter Hans Kneubühls Verhalten erfüllt in keinem Punkt die Definition einer Amoktat». Für Liechti ist der Bieler vielmehr «eine arme Seele, die fürchterlich Angst hatte». Kneubühl hätte ja immer wieder in seine Tagebücher geschrieben: «Sie kommen und wollen mich liquidieren.»
An die Tage im Jahr 2010, an denen Kneubühl die Stadt Biel und kurz darauf die ganze Schweiz in Atem hielt, erinnert sich Liechti nur flüchtig. Er wäre damals nie auf die Idee gekommen, daraus einen Film zu machen. Dass nun einer entstanden ist und erst noch mit ihm in der Hauptrolle, das ist für Liechti «ein riesiges Glück».
Und das kam so: An den Solothurner Filmtagen 2014 war Liechti im Kurzfilm «Mosquito» von Timo von Gunten zu sehen. Darin zettelt ein Mann einen Privatkrieg gegen ein Insekt an. Die Produzenten des Films, den Laurent Wyss aus unzähligen Gründen, allen voran wegen der harzigen Finanzierung und der Coronakrise, viel später als geplant realisieren konnte, hätten ihn gesehen und gesagt: «Das ist unser Kneubühl.»
Liechti ist zwar deutlich kleiner als Kneubühl, doch eine gewisse optische Ähnlichkeit ist definitiv vorhanden. Liechti lacht: «Ja, ich tauge weder zum jungen Prinzen noch zum freundlichen Nachbarn.» Mit seiner Physiognomie werde er für den Typ «randständig und leicht psycho» gecastet. Liechti sagt das nicht despektierlich, sondern mit einem grossen Verständnis für diese Menschen. Aufgrund seiner eigenen Biografie – ein psychisch angeschlagener Vater, die Mutter, die wegen der schwierigen Umstände fast Tag und Nacht arbeiten musste, eine harte Schulzeit – weiss er, was es heisst, abseits zu stehen, angefeindet zu werden und sich durchzukämpfen.
Atmosphäre statt Krawall
Schnell sei klar gewesen, dass der Film auf den Mensch Kneubühl fokussieren soll. Also Psychogramm statt Actionkracher, Kammerspiel statt Polizeifilm. Ein «textweicher» Film sei es geworden, wie Liechti es nennt. Mehr Blicke statt Worte, mehr Atmosphäre statt Krawall.
Das bedeutet, dass Liechti in fast jeder Szene zu sehen ist. Er trägt den Film mit seiner Präsenz, seiner Mimik, seinen Blicken – und er tut dies überzeugend: Liechti ist gleichzeitig vibrierendes Zentrum und ruhender Pol des Films. Er macht spürbar, wie es Kneubühl in diesen Tagen ergangen sein könnte. Er verkörpert den getriebenen Rentner, der voller Angst war, aber auch voller Entschlossenheit, eindrücklich, ohne seine Taten und seine Vorgehensweise zu entschuldigen oder gar zu glorifizieren.
Kein einfacher Weg. Vielmehr Gratwanderung als breite Strasse. Wie gelingt ihm das? Liechti, der witzig, schnell und blumig im breitesten Berndeutsch von seinen vielen Jahren im Filmbusiness erzählt, hält inne, nimmt sich Zeit für die Antwort – und erwähnt wiederum seine Vergangenheit. Er habe sich in den Menschen Kneubühl sicher auch deshalb einfühlen können, weil er Erfahrungen habe als «Aussenstehender».
Treffen mit Kneubühl
Einmal hat Liechti Kneubühl im Regionalgefängnis Thun besucht. Im Vorfeld sei er unsicher gewesen: «Was ist, wenn ich für Kneubühl auch einer 'vom Staat' bin, einer, der ihm böse will?» Doch auf diese Fragen brauchte es keine Antworten. Kneubühl habe sich vielmehr gefreut und bedankt, erinnert sich Liechti, und sich auf eine freundliche Weise für ihn interessiert. Obwohl Kneubühl auch weiterhin ein misstrauischer Mensch sei, hätten sie erstaunlich rasch einen Zugang zueinander gefunden und ein persönliches Gespräch führen können.
Wie schätzt er diesen Mann ein, auf den für eine kurze Zeit schweizweit alle geblickt haben und der trotz aller medialen Aufmerksamkeit unfassbar geblieben ist? Wieder ein langes Nachdenken. «Ich empfinde eine grosse Traurigkeit und ein Bedauern für ihn», so Liechti. Gleichzeitig sei es schwierig, nachzuvollziehen, warum er so und nicht anders reagiert habe. «Denn wer weiss schon, wie er sich unter solchen Umständen verhalten würde», fragt Liechti. Die Ängste, das Misstrauen, die fixe Idee, verfolgt zu werden.
Kneubühl sei «ein Opfer des eigenen Kopfes, der eigenen Software», so Liechti. Und da sei natürlich der Wunsch, dass es nicht so hätte herauskommen müssen. «Diese Tat war ja eine mit Ansage», sagt Liechti und verweist auf den langen Kontakt, den Kneubühl mit unterschiedlichen Ämtern und Stellen hatte, all seine Briefe, seine Auseinandersetzungen.
Was wünscht er Kneubühl, der das Gefängnis wohl nie mehr verlassen wird? «Seelenfrieden», sagt Liechti. Vielleicht habe Kneubühl ja den Vorteil, dass sein Wesen und seine Art ihm helfen, das alles auszuhalten. Denn: «Ich würde mich wohl umbringen.»
Gebäudereparaturen und Premieren
Heute kommt der Film nun endlich in die Kinos. Wie gefällt ihm das Ergebnis? Liechti lacht. Er sei natürlich befangen, aber er finde, «mit den bescheidenen Mitteln, die wir zur Verfügung hatten, können wir mehr als zufrieden sein.» Wie geht es weiter mit ihm? Liechti möchte spielen, möchte Aufträge, möchte Rollen gestalten. Momentan sei aber gerade nichts spruchreif – und, so schiebt er hinterher, «leider gibt es auch viel Schrott, der gedreht wird.» So arbeitet er wieder als Handwerker – vor bald 30 Jahren hat Liechti eine Firma für Gebäudereparaturservice gegründet. Liechti erledigt kleinere Aufträge im, am und ums Haus, wie er seine Arbeiten zusammenfasst.
Zuerst geht es jetzt aber auf Tour durch die Schweizer Kinos. Manfred Liechti wird an zahlreichen Premierenanlässen über den Film sprechen und Fragen aus dem Publikum beantworten. Sicher immer wieder auch diese: Warum spielen Sie einen Amok-Rentner?
* Dieser Text von Raphael Amstutz, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.
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