Netflix experimentiert mit der Umstellung auf eine gestaffelte Veröffentlichung von Serien. «Binge-Watching» könnte bald der Vergangenheit angehören.
Von Lukas Rüttimann
02.04.2021, 13:03
Lukas Rüttimann
Netflix? Man denkt an das rote N, an coole Serien, «Stranger Things», «Ozark», «You» und so weiter. Nicht wenige verbinden mit dem US-Streamingdienst aber auch die Möglichkeit, Serien zu «bingen». Denn Netflix stellt seine Shows bekanntlich als ganze Staffeln aufs Mal ins Angebot. «Binge-Watching», das Marathon-Schauen einer Staffel am Stück, wurde zum geflügelten Wort unter Film- und Serienfans – und zum Trend einer neuen Generation.
Das jedoch könnte sich bald ändern. Denn Netflix hat angekündigt, dieses Jahr mit der Veröffentlichungsstrategie zu variieren. Zunächst gilt das nur bei amerikanischen Reality-Formaten wie «The Circle» oder «Too hot to handle». «Wir experimentieren mit den Erscheinungsformen, damit das Publikum Zeit hat, neue Folgen sacken zu lassen und die Entwicklung schrittweise mitzuverfolgen», lässt sich der Bereichsleiter von Netflix zitieren.
Der «Mandalorian» machts vor
Noch werden kommende Netflix-Faves wie «Thunder Force» oder «The Serpent» (beide im April) also wie gewohnt als komplette Staffeln angeboten. Doch Experten sind sich einig, dass das aktuelle Experiment im Reality-Bereich nur Vorbote einer Entwicklung ist, die das gesamte Netflix-Programm beeinflussen könnte. Denn der Streaming-Kuchen ist hart umkämpft. Platzhirsch Netflix muss mittlerweile genau beobachten, was Konkurrenten wie Amazon, HBO, Apple oder Disney machen, um Kunden zu gewinnen und bei Laune zu halten.
Dabei ist man offenbar hellhörig geworden. Denn während auch Apple TV gern drei Folgen pro Woche ins Netz stellt, verfolgt Disney plus mit seinen Shows eine fast schon altmodisch wirkende lineare Strategie. Auf neue Folgen von Shows wie «The Mandalorian», «WandaVision» oder aktuell «The Falcon and the Winter Soldier» müssen Fans jeweils eine ganze Woche warten – so wie früher bei «Dallas» oder «Melrose Place».
Pro und Contra Binge-Watching
Dass diese Strategie dem Erfolg zumindest nicht abträglich ist, liegt auf der Hand. Denn durch die wöchentliche Wartezeit kann sich ein Hype wunderbar ausbreiten, die Spannung auf die Entwicklung der Geschichte wird hochgehalten. Die sozialen Medien jedenfalls sind voll von Fan-Theorien, Jubelbekundungen und Kritiken zu «The Mandalorian», «WandaVision» oder «The Falcon and the Winter Soldier». Serien, die als Ganzes angeboten werden, stossen beim Publikum dagegen auf weniger Reaktionen.
Nun kann man argumentieren, dass das Interesse an diesen Disney-Shows schlicht grösser ist. Schliesslich ist Marvel ein cineastisches Powerhouse mit starker Fanbasis. Doch auch Amazon Prime hielt den Hype zuletzt beim Adult-Hit «The Boys» mit einer wöchentlichen Erscheinungsweise hoch. Aktuelle Auswertungen von Netflix zeigen zudem, dass inhaltlich starke Serien wie «The Crown» oder «Queen’s Gambit» kaum gebinged werden, obwohl auch sie als komplette Staffeln erhältlich sind.
Geniessen statt konsumieren
Die Diskussion, ob die Zeit des Binge-Watching abläuft, ist also eröffnet. Immerhin beklagen sich auch immer mehr Serienfans über Overkill-Phänomene wie «Binge-Amnesie» – den Zustand, dass man sich nach einer gebingeden Staffel kaum mehr an etwas erinnern kann. Die Rückkehr zum guten alten Wochenrhythmus hingegen sorgt dafür, dass man Serien geniesst, statt sie nur zu konsumieren. Und wenn die Pandemie irgendwann vorbei ist und Konzerte, Restaurants oder Kino wieder eine Alternative sind, wird eine Folge pro Woche auch besser ins Zeitmanagement passen. Selbst in jenes von Serienjunkies.