«Tatort»-Check Darum verzweifelte man als Zuschauer am Frankfurter «Tatort»

tsch

12.5.2019

Ein Startalker schien seinen Stiefsohn umgebracht zu haben. Der Zuschauer wusste das eigentlich von Anfang an, dennoch war die Spannung überraschend gross. Wie kommt das?

Wer Barry Atsma hat, sagten sich wohl die Macher des Frankfurter «Tatorts», kann den Leuten alles verkaufen. Zum Beispiel auch einen Mörder am eigenen Stiefsohn, der sich so benimmt, als wäre nichts passiert. Der charismatische niederländische Schauspieler, bekannt als Investment-Gott aus der ZDF-Superserie «Bad Banks», spielte einen äusserst selbstbewussten Killer, der von den Kommissaren Janneke (Margarita Broich) und Brix (Wolfram Koch) immer mehr eingekreist wurde. War dieser Columbo-Gedächtnis-«Tatort» nun meisterhaft oder ein Durchschnittskrimi mit unrealistischem Plot und einer ebensolchen Hauptfigur?

Worum ging es?

Die Kommissare Janneke (Margarita Broich) und Brix (Wolfram Koch) wurden von Frankfurt, wo zuerst Teile einer zerhackten Leiche gefunden wurden, nach Kassel gerufen, wo die DNA eines 17-jährigen Vermissten zum toten Teilkörper passte. Bald hatten sie Gewissheit: Der 17-jährige Luke, Stiefsohn von TV-Star Maarten Jansen (Barry Atsma), war tot. Jansen gab sich geschockt, aber auch professionell wie immer. Seine Talkshow nutzte er gar für ein emotionales Statement unter (Kunst-)Tränen. Gleichzeitig schloss sich die Schlinge um den Hals des TV-Narzissten. Die Ermittler, zu denen diesmal auch eine Kassler Gast-Kommissarin (Christiane Grosse) zählte, waren dem Mörder immer dichter auf den Fersen.

Worum ging es eigentlich?

Der bekanntermassen experimentierfreudige Hessische Rundfunk – dort entstehen auch die berühmt-berüchtigten Murot-«Tatorte» mit Ulrich Tukur –, ist immer für eine den Zuschauer herausfordernde Überraschung gut. Daher traute man dem Braten vielleicht auch nicht, als man am Anfang sah: Maarten Jansen hat offenbar eine Leiche zerhackt. Je länger der Krimi dauerte, desto mehr zweifelte man, weil der Verdächtige und Quasi-Überführte so selbstsicher wirkte. Aber genau darum ging es den Drehbuch-Autoren Stephan Brüggenthies und Andrea Heller («Tatort: Wendehammer») wohl: Sie wollten einen mörderischen Charakter zeigen, dessen Narzissmus so stark war, dass er selbst dem Zuschauer weismachen wollte: «Ich war's nicht!»

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Wer war der smarte Talker und Mörder?

Der 1972 geborene Holländer Barry Atsma war – neben Paula Beer – die Entdeckung der preisgekrönten ZDF-Serie «Bad Banks», deren zweite Staffel gerade abgedreht wurde. Auch Atsma ist neben Beer, Désirée Nosbusch, Tobias Moretti und Albrecht Schuch wieder dabei. Dass Atsma in der Serie so mitreissend einen global-dynamischen Super-Banker geben kann, liegt auch an seiner eigenen (Sprach-)Geschichte: Er wurde in England geboren, lebte dort sowie später in Griechenland und Brasilien, ehe er Mitte der 90-er nach einem Jurastudium die Schauspielschule in Utrecht besuchte. In Holland spielte sich Atsma über viele Nebenrollen zum Star. Seit gut zehn Jahren ist er dort bestens im Geschäft. Im Kinofilm «Love Life» (2009) übernahm er beispielsweise die männliche Hauptrolle an der Seite des niederländischen Superstars Carice van Houten, der «Lady Melisandra» aus «Game of Thrones».

Vorbild «Inspektor Columbo»?

Krimis, bei denen man den Mörder von Anfang an kennt, sind keine Erfindung des modernen Fernsehens. Bereits die Kultserie «Inspektor Columbo» mit Peter Falk (1927-2011) funktionierte nach dem Prinzip: Der Zuschauer schaut zu Beginn einem Mörder bei seiner – perfide ausgedachten – Tat zu, den Rest der Spielzeit sieht man einem schrulligen Kommissar dabei zu, wie er alles herausfindet. Das geniale Konzept von «Columbo», dessen Pilot 1968 beim US-Sender NBC lief, hatte von Anfang an beim Zuschauer Erfolg. Ab 1971 produzierte der Sender regelmässig fünf bis sechs Folgen pro Jahr. Viermal gewann Peter «Columbo» Falk den Emmy als Bester Serienhauptdarsteller. Von 1978 bis 1989 pausierte der Detektiv, ehe NBC-Konkurrent ABC die TV-Figur und Peter Falk – in lockerer Folge – wiederaufleben liess. Die finale Episode hiess bezeichnenderweise «Die letzte Party» und lief am 14. September 2004 im deutschen Fernsehen. Derzeit strahlt der Sender SAT.1 Gold Wiederholungen alter «Columbo»-Fälle aus.

Künstliche Tränen – wie geht das?

Im Krimi verabreicht sich Talkshow-Moderator Maarten Jansen (Barry Atsma) Augentropfen, um den Tod des Stiefsohns in seiner eigenen Show zu beweinen. Tatsächlich kennen sich Schauspieler mit dem Thema bestens aus. Grundsätzlich gibt es zwei Methoden, Tränen für eine Rolle «herzustellen»: durch Vorstellungskraft oder den Gebrauch von Substanzen. Ersteres lässt sich – je nach Talent – dadurch hinbekommen, indem man sich in eine sehr traurige Situation versetzt, in der man sich selbst befunden hat und in der man sich hilflos und schwach fühlte. Ein beliebter Trick von Schauspielern ist auch der Einsatz eines Tränenstifts mit Menthol, den man sich unter die Augen reibt. Auch die geschnittene Zwiebel ist ein Klassiker. Wer – wie Maarten Jansen – einen «Tränenersatzmittel» in Tropfenform bevorzugt, greift zu Hyaluronsäure oder Cellulose-Derivaten, die einen Tränenfilm auf der Oberfläche des Auges erzeugen.

Der «Tatort: Das Monster von Kassel» lief am Sonntag, 12. Mai, um 20.05 Uhr auf SRF 1. Mit Swisscom TV Replay können Sie die Sendung bis zu sieben Tage nach der Ausstrahlung anschauen.

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