Interview Heino Ferch: «Die meisten Männer sind schrecklich weichgespült»

el/tsch

13.7.2019

Heino Ferch spielt mit Hingabe den Gentleman der alten Schule Johann Friedrich von Allmen – nach einem Roman von Martin Suter. Im Interview mit «Bluewin» verrät er, warum er von der gegenwärtigen Vorsichts-Kultur genervt ist.

Im Frühjahr 2017 spielte Heino Ferch zum ersten Mal den Privatier, Lebemann und kunstsinnigen Detektiv Johann Friedrich von Allmen, den sich der Schweizer Erfolgsschriftsteller Martin Suter ausgedacht hat. Zwei Filme mit dem zurzeit wohl ungewöhnlichsten TV-Ermittler deutscher Zunge entstanden damals.

Nun ist der Dandy-Detektiv, dessen Macher erst gar nicht vorgeben, irgendeine Art von Realismus zu bedienen, mit dem Film «Allmen und das Geheimnis der Dahlien» zurück. Im Interview mit «Bluewin» spricht Schauspieler Heino Ferch über Männerfiguren, die heute eigentlich verboten sind – und warum.

Herr Ferch, es gibt bislang nur fünf Allmen-Romane von Martin Suter. Haben Sie Angst, dass Ihnen bald der Stoff ausgeht?

An den Drehbüchern zum jüngsten Roman «Allmen und die Erotik» wird schon gearbeitet. Ich hoffe, dass es auch danach weitergeht. Martin Suter mag unsere Filme sehr, das weiss ich. Er sagte sogar, sie seien die elegantesten Verfilmungen seiner Bücher bisher. Im September kommt übrigens schon sein nächster Allmen-Roman heraus.

Mal etwas naiv gefragt: Gibt es bei Johann Friedrich von Allmen überhaupt eine charakterliche Entwicklung oder ist er immer gleich?

Allmen ist Allmen, nämlich das komplette Gegenteil von uns. Das ist auch der Reiz an der Figur. Er ist jemand, der ohne Beziehung lebt, auch wenn er die Frauen liebt und sie immer wieder eine grosse, romantische Rolle in seinem Leben spielen. Aber Sie haben schon Recht. Er schwebt sozusagen durch sein Leben, eher der ewigen Eleganz als einer Entwicklung verpflichtet.

Ist Allmen ein Hochstapler, weil er mehr zu sein vorgibt, als er ist?

Gewissermassen ist er ein Hochstapler, weil sein Adelstitel nicht existiert. Er hiess mal Vonallmen und hat den Namen einfach in zwei Worte unterteilt. Aber das ist bezeichnend für ihn. Seine Erscheinung ist immer nur knapp an der Wahrheit vorbei. So ist er ja tatsächlich sehr gebildet und ungeheuer gut gekleidet, dazu mit exzellenten Manieren unterwegs. Deshalb glauben viele Leute, er sei vermögend, aber das behauptet er ja nie. Allmen lebt, auf sehr hohem Niveau, von der Hand in den Mund. Er ist chronisch «überinvestiert», sprich: pleite.

Allmen wohnt mit seinem Diener Carlos zusammen, obwohl beide Männer heterosexuell sind. Für diese seltsame Art von Verbindung gibt es Vorbilder wie Sherlock Holmes und Dr. Watson. Haben diese Männer eigentlich Angst vor Frauen?

Es sind bindungsscheue Männer. Für mich hat Martin Suter in Allmen einen Lebenskünstler und Philosophen erschaffen, der den Menschen einen Spiegel vorhält. Nach dem Motto: Seht mal, so kann man auch leben: frei von Verpflichtungen, nicht an die Zukunft denkend, sondern voll im Hier und Jetzt bleibend. Allmen muss keine Verantwortung für andere Menschen tragen, er hat weder Frau noch Kinder. Und diese Männerbeziehung ist perfekt für ihn. Jeder unterstützt den anderen, ohne ihn verändern zu wollen und etwas einzufordern. Die beiden führen gewissermassen die perfekte Ehe.

Ist es okay, wenn man sich mit Allmen und seiner Welt nicht identifizieren kann?

Ja, natürlich. Es reicht, wenn diese Welt Interesse und Faszination hervorruft. Und das tut sie, weil ein solcher «Dandy Detective» heutzutage äusserst selten ist. Bei «Allmen» ist alles «bigger than life». Der Typ weiss alles, kann alles und tut es mit links. Trotzdem ist er kein eindimensionaler Superheld, denn er kennt das Scheitern, die Einsamkeit und Trauer. Natürlich scheint dieser ganze Allmen-Kosmos aus der Zeit gefallen. Bei uns dürfen alle Frauen noch toll aussehen, nach grosser Eleganz, und auch meine Garderobe ist so teuer, dass sie nach den Dreharbeiten wieder vorsichtig weggepackt wird – für einen eventuellen weiteren Einsatz.



Allmen ist ein klassischer, anachronistischer Playboy. Einer wie James Bond in den Sechzigern. Damals galten solche Typen als cool. Schaut man heute anders auf sie – kritischer?

Na klar, heute ist man schnell bei Metoo, wenn man Männer zeigt, die sich nehmen, was sie wollen. Damit hatte James Bond noch keine Probleme (lacht). Aber Spass beiseite: Wir achten sehr darauf, dass wir in den Drehbüchern – bei aller klassischen Eleganz – vor allem starke, unabhängige Frauen zeigen. Wir wollen schon modern sein, indem wir zwei Geschlechter zeigen, die elegant, aber sehr direkt mit dem anderen umgehen – und klar zeigen, dass sie am Gegenüber interessiert sind.

Hat man mittlerweile eher Mitleid mit beziehungslosen James Bond-Typen, die früher den meisten Männern problemlos als Vorbild dienten?

Nein, warum sollte man mit Allmen Mitleid haben? Es geht ihm doch gut ...

Vielleicht, weil er einsam und oberflächlich ist ...

Einsam ist er nur, wenn eine Liebe oder ein Begehren enttäuscht wurde und Carlos nicht trösten kann. Oberflächlich ist dieser Mann keineswegs. Allmen ist sogar sehr vielschichtig, nur entschuldigt er sich nicht die ganze Zeit. Die meisten Männer sind ja heute schrecklich weichgespült. Wir leiden daran, dass wir es allen recht machen wollen. Bloss nicht zu viel, keine Grenzen überschreiten, immer schön aufpassen. Diese Einstellung ist heutzutage zum Verhaltenskodex geworden – was furchtbar ist, weil sie ja nicht realistisch ist. Wir spielen uns nur etwas vor.

Das klingt, als wären Sie sehr genervt von der Vorsichts-Kultur.

Ja, weil es unechtes Verhalten ist. Es ist ja keineswegs so, dass die Bedürfnisse des Menschen sich geändert hätten. Wir tun nur so, als ob es anders wäre. An Allmen sind die Menschen interessiert, weil er tatsächlich handelt und spricht, wie er fühlt.

Also braucht es Egozentriker wie Ihren Allmen, um die Menschheit aus ihrer modernen Kultur des «common sense» und der Alltagsverträglichkeit herauszuholen?

Ja, ich denke schon, dass der aus der Zeit gefallene Allmen ein Kommentar Suters zur Gegenwart ist. Leute mit den richtigen Visionen, aber klarer Kante werden heute dringend gebraucht. Auch zu dem Preis, dass es anstrengend werden kann für diese Menschen. Suter hat es über den Kniff gelöst, dass Allmens extreme Lebenseinstellung, die sich dem Ästhetischen, Schönen und Gutem verpflichtet fühlt, dafür sorgt, dass der Typ ständig pleite ist. Sein Lebensstil ist sehr teuer, aber er kann nicht anders.

Auch das Unvernünftige, das wenig Vorsorgende ist ja etwas, das uns heute in Zeiten der Zusatzrenten und vielen Zusatzversicherungen verunsichert.

Ja, auch das ist ein reizvoller Punkt am Charakter Allmen. Etwas sehr Authentisches. Er handelt nach dem Motto: Lebe den Tag, lebe dein Leben. Habe nicht so viel Angst! Man guckt jemandem gerne zu, der so ist. Das ist auch ein bisschen das Geheimnis des Erfolges der Figur. Den Namen Allmen kann man ja auch Englisch lesen oder aussprechen, «all men», also der klassische Jedermann. Wir wollen alle so ein bisschen sein wie er. Wir sehnen uns nach mehr Mut.

«Allmen und das Geheimnis der Dahlien» läuft am Samstag, 13. Juli, um 20.15 Uhr in der ARD. Mit Swisscom Replay TV können Sie die Sendung bis zu sieben Tage nach der Ausstrahlung anschauen

Alles Gute zum 70. Geburtstag, Martin Suter!
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