«Tatort»-Check Dresdner «Tatort»: Wie viel Klüngelei gibt es wirklich?

tsch

18.8.2019

Geldwäsche, Machtklüngelei und die psychischen Abgründe einer Familie: Der Auftakt zur neuen «Tatort»-Saison zog an der Seite der Dresdner Ermittler alle Register. Und liess die Zuschauer rätseln: Findet man in Mitteleuropa wirklich derlei Gemauschel?

Erst einmal durchatmen war nach dem ersten Fall der neuen «Tatort»-Saison angesagt. Der Auftakt mit dem Dresdner «Tatort: Nemesis» geriet wild: Zwischen Mafia-Verdacht, Geldwäsche, dysfunktionalen Familien und brachialen Verfolgungsjagden konnte dem Zuschauer schon mal schwindlig werden. Nach dem vorangegangenen Horrorstück «Das Nest» scheint es fast, als würden sich die Ermittler Leonie Winkler (Cornelia Gröschel), Karin Gorniak (Karin Hanczewski) und Peter Michael Schnabel (Martin Brambach) langsam auf psychologische Abgründe unter der dünnen Oberfläche spiessiger Normalität spezialisieren.

Worum ging es?

In einem edlen Szenerestaurant in der Dresdner Altstadt wurde dessen Betreiber erschossen an seinem Schreibtisch aufgefunden. Dass der Tote Joachim Benda nicht nur ein erfolgreicher Szenegastronom war, sondern auch Bekanntschaften bis in die höchsten Ebenen der Stadt pflegte, zeigte sein freundschaftliches Verhältnis zu Kommissariatsleiter Schnabel, der den Ermordeten gut kannte und sehr schätzte.

Die Geschichte, die Witwe Katharina Bender (grossartig: Britta Hammelstein) und ihre beiden Söhne Viktor (Juri Sam Winkler) und Valentin (Caspar Hoffmann) erzählten, schien auch den Ermittlern schlüssig: Der Gastronom musste an ominöse Osteuropäer Schutzgeld zahlen und wurde schliesslich von der Mafia erschossen. Schnell jedoch hiess es im mehrgleisigen «Tatort»: «Mafiamord? Das ist Dresden und nicht Palermo». Ein Informant klärte die Ermittlerinnen auf: «Das Geschäft läuft nicht mehr wie in den 90-ern.» Schnell wurde klar, dass Katharina Bender mehr zu verbergen hatte, als sie zugab.

Worum ging es wirklich?

Offengelegt wurden diesmal nicht die brutalen Mordfantasien gut situierter Chirurgen, sondern der alltägliche Horror einer wohlhabenden Familie einerseits – und andererseits die nicht minder schauderhafte Klüngelei der oberen Gesellschaft einer Stadt.

So beschrieb der «Tatort» neben der toxischen Familiensituation einer reichen Elite auf kluge Weise die Verstrickungen zwischen Unternehmern und Politik, zwischen Polizei und Justiz. Und die scheint wiederum mafiösen Strukturen und männerbündischen Verschwörungen nicht unähnlich: Man kennt sich, man hilft sich – gegen kleine Gefallen selbstredend. Sätze wie «Willst du wirklich den Namen deiner Familie in den Dreck ziehen?» klingen dann eben doch ein wenig nach Palermo.

So wird die neue «Tatort»-Saison

Gibt es so eine Klüngelei tatsächlich?

Natürlich, wahrscheinlich schon immer und auf der ganzen Welt. Davon zeugen in Deutschland etwa Beispiele wie der seit Jahrhunderten tradierte «Kölner Klüngel» («Mer kennt sich, mer hilft sich», soll Adenauer gesagt haben) und die «Verwandtenaffäre» im Bayerischen Landtag, bei der mehrere Abgeordnete nahe Verwandte für öffentliche Gelder anstellten.

Und die Schweiz? Die unterstützte den Klüngel nicht selten mit verschwiegener Banken-Diskretion. Andere, wenn auch etwas harmlosere Beispiele gab es hierzulande ebenfalls: So soll die Fifa hochrangigen Schweizer Richtern und Juristen bis 2006 ganz vertraulich Tickets zu Spielen der Fussball-Weltmeisterschaften zur Verfügung gestellt haben,

Kriminell agierte man aber in der Tat im deutschen Bundesland Sachsen, dessen Hauptstadt Dresden ist: Im Grunde erzählte der «Tatort» auch eine Light-Version des sogenannten «Sachsensumpfs», der in den 90er-Jahren für Aufsehen sorgte und in dem politisch ohnehin gebeutelten Bundesland bis heute nachwirkt. Noch immer ist die mutmassliche Verstrickung von Eliten aus Politik, Justiz, Wirtschaft und Verwaltung in die Prostitution Minderjähriger, in illegale Immobiliengeschäfte und andere Straftaten nicht ganz aufgeklärt. Im «Tatort» war es allerdings nicht ganz so schlimm: Hier ging es «nur» um Geldwäsche und Korruption.

Wer waren die beiden beeindruckend spielenden Jungs?

Die Frau des Toten beschwor ihre beiden Jungs immer wieder auf den Familienzusammenhalt. Und behandelte den älteren Sohn Viktor wie einen Aussätzigen: «Du machst mich krank», demütigte sie ihn laufend. Der Jugendliche geriet schliesslich zum Schlüssel zur Aufklärung des Mordes – was dank seines grandios aufspielenden Darstellers Juri Winkler unheimlich intensiv rüberkam.

Der Berliner ist gerade einmal 16 und zeigte sein riesiges Talent schon in so einigen TV- und Kinoproduktionen – etwa 2017 im Frankfurter «Tatort: Unter Kriegern». Seinen Krimi-Bruder Valentin verkörperte Caspar Hoffmann, der die Vorbereitung der psychisch belastenden Rollen beschrieb: «Wir hatten einen richtig guten Schauspielcoach, Yvette Dankou. Sie hat mich sogar zu Hause in Köln besucht und mich auf die Rolle vorbereitet. Juri und ich hatten dann in Berlin noch ein gemeinsames Coaching». Er selbst habe aber noch nie einen «Tatort» gesehen: «Meistens bin ich dann ja schon im Bett».

Und wie waren die Ermittler drauf?

Vom «Nest» hatten sie sich einigermassen erholt, die Neue Leonie Winkler (Cornelia Gröschel) scheint sich langsam einzuleben. Und doch muss sie sich immer wieder mit dem langen Schatten ihres Vaters auseinandersetzen, der einst als Kommissar in Dresden arbeitete: «Als Tochter eines erfahrenen Polizisten sollten Sie das doch besser wissen», schnauzte Schnabel sie etwa an – und ermahnte: «Nicht in diesem süffisanten Ton! Das stand Ihrem Vater deutlich besser!»

Überhaupt: Der von Martin Brambach als hübsch sächselnder Dynamo-Dresden-Fan (samt des klassischen Dresden-Ausspruchs: «Das geht ni») verkörperte Chef hat die Boss-Aufforderung «In mein Büro!» inzwischen perfektioniert.

Und Gorniak? Die schien sich vor allem über das «Tatort»-Ende mit mystischem Ausflug ins Zittauer Gebirge, waschechter Auto-Verfolgungsjagd und actionreichem Showdown zu freuen.

Der «Tatort: Nemesis» lief am Sonntag, 18. August, um 20.05 Uhr auf SRF 1. Mit Swisscom TV Replay können Sie die Sendung bis zu sieben Tage nach der Ausstrahlung anschauen.

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