Scharfseher Drogen-Geständnis in SRF-«Dok» – «Die Sucht ist grösser»

Lukas Rüttimann

10.5.2019

Das Schweizer Fernsehen widmete sich einen Abend lang dem Thema Sucht. Im Dok-Film «Leben nach den Drogen» wurden Betroffene gezeigt, die aber wenig greifbar blieben.

«Hallo zusammen, ich bin der Peter, und ich bin ein Süchtiger» – die SRF-Dok über die Narcotics Anonymous begann, wie man sich einen Film über eine Selbsthilfegruppe vorstellt. Mit persönlichen Schicksalen, vorgetragen von Menschen, die den ersten Schritt hinter sich haben und bereit sind, sich helfen zu lassen. Alkohol, Drogen, Medikamente: die Rauschmittel mögen divers sein, die Geschichten jedoch ähneln sich.

Berührende Schicksale

Im Zentrum der Reportage von Susanne Arnold standen drei Süchtige mit unterschiedlichen Backgrounds. Die Zürcherin Sandra konsumierte jahrelang Alkohol und Kokain, bis sie ein seelisches Wrack war. Kokain habe bei ihr das Chaos im Kopf erträglicher gemacht, sagt die 34-Jährige im Film: «Ich hatte das Gefühl, klarer denken zu können». Seit sieben Monaten lebt sie abstinent von Rauschmitteln, denkt aber immer noch jeden Tag an Drogen.

Stärker noch berührte das Schicksal des Unternehmers Adrian. Auf dem Tiefpunkt seiner Kokain- und Heroinsucht fälschte der 43-Jährige Bilanzen, sein Kind ist im Heim, seine Firma vor dem Ruin. Als sein Sohn Henry auf die Welt kommt, ist er clean, seine Frau auf Drogen. «Das Erste, das mein Sohn erleben musste, war ein Entzug», sagt er schuldbewusst.



Später erleiden beide Elternteile Rückfälle. Ob die Liebe zum Kind das nicht hätte verhindern konnte, fragt ihn Filmerin Susanne Arnold. Seine Antwort fällt erschreckend ehrlich aus: «Das ist sehr schwierig zu erklären. Aber die Sucht ist grösser».

Der 55-Jährige Roman schliesslich gehört zu den wenigen Ausnahmen, die es geschafft haben, aus dem Drogensumpf des Platzspitzes zu entkommen. Seit der Lettenräumung ist er clean. Heute ist er Sozialpädagoge und Vater von zwei Kindern. Auch nach 24 Jahren Abstinenz sagt er: «Clean zu bleiben ist eine lebenslange Aufgabe.»

Etwas gar viel Distanz

Tatsächlich war es erstaunlich, wie ehrlich die Betroffenen über ihre Schicksale Auskunft gaben. Ein kleiner Makel haftete diesem SRF-Dokfilm dennoch an: Weil alle Protagonisten anonymisiert wurden und nur von hinten zu sehen waren, blieben sie für den Zuschauer trotz ihrer biografischen Schonungslosigkeit kaum greifbar. Schade, aber verständlich.

So hinterliess der Zürcher Spezialist André Seidenberg am Ende den stärksten Eindruck. Der auf Opiat-Abhängigkeit spezialisierte Arzt kritisierte den abstinenten Ansatz der Narcotics Anonymous und brachte das Elend der Sucht direkt in die Kamera auf den Punkt: 95 Prozent aller Heroinsüchtigen würden es nicht schaffen, ein Leben lang ohne Drogen zu bleiben, sagte er – «das ist die Realität, und der muss man ins Auge blicken.»

«DOK: Leben nach den Drogen» lief am Donnerstag, 9. Mai, um 20.05 Uhr auf SRF 1. Mit Swisscom Replay TV können Sie die Sendung bis zu sieben Tage nach der Ausstrahlung anschauen.

Und hier noch die Bilder aus der Schweiz
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