Krasser Doppelmord So düster war der Franken-«Tatort» noch nie

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15.4.2018

Düster und deprimierend: In ihrem vierten Fall mussten die Nürnberger Ermittler Voss und Ringelhahn einen besonders ekligen Doppelmord aufklären.

Der «Tatort» ist ja eher selten eine humorvolle Angelegenheit. Aber muss es gleich so deprimierend sein, wie in diesem Franken-Krimi «Ich töte niemand»? Wie beim bärenstarken Nürnberger «Tatort»-Debüt «Der Himmel ist ein Platz auf Erden» von 2015 waren bei diesem vierten Fall der Ermittler Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel) und Felix Voss (Fabian Hinrichs) erstmals wieder Autorenfilmer Max Färberböck und seine Drehbuch-Partnerin Catharina Schuchmann kreativ verantwortlich. Ihr schwermütiger Krimi war ein herausforderndes Stück über die schattigsten Seiten des Menschseins.

Was war geschehen?

Ein aus Libyen stammendes Geschwisterpaar wurde in seinem einsam gelegenen Haus am Rande Nürnbergs brutal erschlagen. Die beiden Opfer lebten lange in Deutschland, waren bestens integriert. Auch wenn anfangs unklar war, ob die Tat einen fremdenfeindlichen Hintergrund hatte, ermittelten Voss und Ringelhahn unter erhöhtem Druck der Öffentlichkeit. Als auch Frank Leitner (André Hennicke), ein Kollege und enger Freund der Kommissarin zu Tode kam, tauchten die Ermittler in ein dunkles Geflecht aus zweifelhafter Moral und anderen menschlichen Untiefen ab. So düster war Franken noch nie.

Worum ging es wirklich?

«Ich töte niemand» entpuppte sich über anspruchsvolle, wendungsreiche 90 Minuten immer mehr als komplexes Stück über fehlgeleitete Moral. Auch Ahmad (Josef Mohamed), der Ziehsohn der Toten, galt vor der in der Mitte des Films aufgedeckten, eskalierenden Gewalt und Gegengewalt als «ausländischer Mitbürger» aus dem Lehrbuch: sympathisch, hochintelligent, einer der besten Studenten seines Jahrgangs. Als Ahmads Angehörige aus stumpfer, rassistischer Rache ermordet wurden, verlor auch er den rechten Pfad. Dabei waren beinahe alle üblen Taten in diesem Film durch eine strenge Moral legitimiert. So schufen die Autoren ein Lehrstück darüber, dass von unbarmherzigen Moralisten die vielleicht schlimmste, widerlichste Gewalt ausgeht.

Wie blutig war der «Tatort»?

Die Darsteller spielten sehr überzeugend jenen Ekel, der sie beim Anblick von zwei mit Eisenstangen zermatschten Körpern erfasste. Da musste man gar nicht viel sehen, um sich als Zuschauer ebenfalls mies zu fühlen. Das Kopfkino funktionierte. Ohnehin schafft es der Franken-«Tatort» mittlerweile mit traumwandlerischer Sicherheit, die Gegend um Nürnberg herum auf eine realistische, angenehm uninszenierte Art wie den düstersten Ort Deutschlands wirken zu lassen. So stimmungsvoll trist ist der «Tatort» selten, da sind die Franken ganz weit vorn! Darüber hinaus musste man kaum explizite Gewalt zeigen. In den Köpfen der Figuren gab es genug davon - es war zum Mitekeln.

Wie waren die Ermittler in Form?

Ganz schlecht, um nicht zu sagen: Diese Kommissare schoben eine ziemliche Krise. Am Anfang war es noch Ringelhahn, die Voss aufbauen musste. Der zugezogene Ermittler fragte nach der Besichtigung des Tatorts nach der Sinnhaftigkeit seines Tuns. Andere Berufe, so Voss, suchten nach dem Schönen, wollten die Welt verbessern. Kommissare hingegen liefen dem Schlechten und Bösen hinterher, sperrten es weg, warteten auf das nächste Übel und würden irgendwann mit kurzem Händedruck in den Ruhestand verabschiedet. Und davor? Ein ewiger Kreislauf aus Naherfahrungen menschlicher Abgründe. Kein schönes Leben. Paula Ringelhahn konnte spätestens nach dem Aufdecken des furchtbaren Leids ihres Freundes Leitner in dessen Familie nichts Gegenteiliges behaupten.

Die besten Auftritte?

Die hatte dennoch Fabian Hinrichs. In mehreren auf böse Art witzigen, voller Esprit geschriebenen und gespielten Verhörszenen wurde der besondere Schauspieler wieder ein wenig zur Kultfigur Gisbert Engelhardt. Jener subversiv komischen und verstörenden Nervensäge, die Hinrichs 2013 in einer Gastrolle der Münchener «Tatort»-Folge «Der tiefe Schlaf» eine grosse Fanschar einbrachte, die wohl später zu seiner «Tatort»-Berufung in Franken führte. Mit Verhörmethoden, die das Ehrgefühl seiner Gesprächspartner mit pöbelnder Philosophie heftig angriff, provozierte Fabian Hinrichs als Felix Voss nicht nur die Befragten im Film, sondern den Zuschauer vorm TV gleich mit.

Warum ist Felix Voss alias Fabian Hinrichs als Kommissar so besonders?

Einen solchen Ermittler sieht man normalerweise nicht im Fernsehen. Eher vermutet man ihn auf der Bühne eines ambitionierten Grossstadttheaters. Dass der in Hamburg geborene und mit Frau und zwei kleinen Kindern in Potsdam lebende Hinrichs erst gar nicht versucht, sich wie ein kontrollierter Polizist oder auch ein ausrastendes Genre-Vorbild zu benehmen, sondern einen eigenen Weg der Darstellung findet, macht seine Performance immer wieder sehenswert.

Wie gut war der «Tatort»?

Man kann nicht behaupten, dieser emotional sehr wuchtige Film sei eine jener berüchtigten «experimentellen Folgen» gewesen. Unterm Strich blieb der Plot ein bodenständiger Fall aus dem Hier und Jetzt. Dennoch war dieser Fall besonders, da sich die Charaktere im krimiästhetischen Grenzbereich deutscher Fernseh-Unterhaltung bewegten. Der feine, wenn auch an der Grenze zum Konstruierten taumelnde Schuld-und-Sühne-«Tatort» erinnerte an Shakespeare - und noch mehr an Dostojewski. «Ich töte niemand» war eine Krimi-Tragödie, die dem Menschen ein schlechtes Zeugnis ausstellte. Unerbittlich waren Färberböcks und Schuchmanns Figuren. Bis in den Tod und darüber hinaus. Schlimmer gehts nimmer. Wir vergeben eine Bis-Sechs.

Der «Tatort: Ich töte niemand» lief am Sonntag, 15. April, um 20.05 Uhr auf SRF 1. Mit Swisscom TV Replay können Sie die Sendung bis zu sieben Tage nach der Ausstrahlung anschauen.

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