«Tatort: Gier und Angst» Macht Geld wirklich unglücklich?

tsch

2.1.2022

Der Dortmunder «Tatort» und seine Ermittelnden stocherten im Drogennebel – und erlebten Superreiche im Panikmodus. Wie es scheint, macht Geld nicht glücklich. Was hat die Wissenschaft dazu herausgefunden?

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2.1.2022

Nach dem psychologisch fein gedrechselten Fall «Masken» über verdeckte Liebesexistenzen Ende November 2021 durfte das Dortmunder Team am ersten Sonntag des neuen Jahres schon wieder ran. Und diesmal wurde es wieder deutlich Bazooka-hafter in Sachen Psychologie: Superreiche gerieten in Panik, weil ihr Anlageberater offensichtlich eine gut sitzende Betrugsmasche gehäkelt hatte.

Gleichzeitig spielte der «Tatort: Gier und Angst» in einer mit Drogen vollgepumpten Clubszene, in der Kommissar Jan Pawlak (Rick Okon) seine seit einem Jahr verschwundene Frau Ella (Anke Retzlaff) wiederfand. Natürlich hingen die beiden Welten zusammen. Wie? Indem ein superreicherer Anleger sowie ein Junkie und Clubbetreiber Brüder waren. Genial, was sich die «Tatort»-Macher so ausdenken ...

Worum ging es?

Auf dem Dortmunder Hafengelände wird in «Tatort: Gier und Angst» ein Vermögensberater erschossen aufgefunden. Claus Lembach war ein Star der Branche, der vor allem Reiche und Superreiche beriet. Gemeldet hat den Vorfall jener Mann, den der Tote zwecks geheimer Besprechung an den ungewöhnlichen Treffpunkt gelotst hatte, der ebenfalls extrem reiche Manager Josef Micklitza (Stefan Rudolf). Der ist wenig später selbst verschwunden, weshalb die Ermittelnden dessen Bruder Micki (Sascha Geršak) aufsuchen.



Micki betreibt einen Nachtclub und gibt sich kaum Mühe, den eigenen Drogenkonsum zu verbergen. Während einer Befragung im Club sieht Kommissar Jan Pawlak (Rick Okon) völlig überraschend seine seit einem Jahr verschwundene Frau Ella (Anke Retzlaff) vorbeihuschen, die Mutter seiner Tochter. Heimlich versucht er, Kontakt zu ihr aufzubauen – ohne die persönliche Verstrickung in den Fall seinen Kollegen zu beichten.

Worum ging es wirklich?

«Böse Zungen behaupten, der Mensch bestehe überhaupt nur aus zwei Grundemotionen: Gier und Angst. Die Gier nach mehr, die Angst vor dem Nichts»: Das sagen die «Tatort»-Macher Sönke Lars Neuwöhner (Drehbuch) und Martin Eigler (Drehbuch, Regie) über ihren Film. Doch irgendwie finden Neuwöhner und Eigler kein verbindendes Element zwischen ihren beiden Erzählwelten: jenen, die sich im Nachtclub mit Heroin abschiessen und jenen, die sich der Gier nach Geld hingeben. Okay, beides kann «guter Stoff» sein, und Entzug wird in beiden Fällen mit kaltem Zittern und grosser innerer Unruhe bestraft – doch erzählerisch finden die Settings Geld und Drogen hier kaum zusammen.

Macht Geld glücklich oder unglücklich?

In einer guten Szene besucht Kommissar Faber den Privatbankier Artur Mehring in seinem Haus. Dieser erklärt dem Polizisten: «Wer sein Glück im Geld sucht, der lebt falsch – denn er lebt in Angst.» Doch hat der dem Buddhismus zugetane Banker recht? In der Glücksforschung wird zwischen langfristiger Lebenszufriedenheit und dem täglichen emotionalen Wohlempfinden – etwa Freude, Stress, Traurigkeit – unterschieden.

2018 fand eine renommierte US-Forschergruppe heraus, dass das ideale jährliche Haushaltseinkommen für das emotionale, tägliche Wohlbefinden zwischen umgerechnet 60'000 und 75'000 US-Dollar liegt (55'332 und 69'166 Franken). Wer mehr verdiente, war in der Regel nicht glücklicher – weil dies in der Regel mit zu viel Arbeit, Stress und zu wenig Zeit für Freizeit und Familie verbunden war.



Diesem «Idealverdienst», der zu Ergebnissen älterer Untersuchungen wie von Wirtschafts-Nobelpreisträger Daniel Kahneman (2010) passte, widersprach 2020 eine Studie des Psychologen Matthew Killingsworth, der herausfand, dass das tägliche emotionale Wohlempfinden bis über eine Summe von 71'000 Euro (73'995 Franken) hinaus weiter wachsen würde.

Deutsche Forscher bemängelten, dass solche Studien schwer zu übertragen seien, weil die Gesellschaft in den USA klar wettbewerbsorientierter und materialistischer sei. Der Erfolg eines Menschen würde dort stärker über seinen ökonomischen Status bewertet – was natürlich auch aufs Selbstbild und somit das empfundene Glück der Befragten «abfärbte».

Welcher Musiker trat da im Club auf?

Selten sah man im «Tatort» eine so lange Musikszene. Während sich Kommissar Jan Pawlak (Rick Okon) und seine seltsam gewandelte Frau Ella (Anke Retzlaff) im Musikclub des undurchsichtigen Micki (Sascha Geršak) wieder näherzukommen scheinen, spielt im Hintergrund ein einsamer Musiker eine sehr intensive Ballade.

Doch wer ist der an Nick Cave erinnernde Untergangs-Barde? Es handelt sich um den in Berlin lebenden Australier Ned Collette und sein Lied «Long You Lie». Der Song stammt bereits aus dem Jahr 2012 und man kann sich ein bisschen denken, warum ausgerechnet dieses seltsame Lied eines unbekannten Musikers im Club zum Einsatz kommt. «Tatort»-Gaststar Sascha Geršak (Darsteller-Grimmepreis 2021 für seine Rolle als Sadist im Claudia Michelsen «Polizeiruf 110: Der Verurteilte») sang bei der fast zehn Jahre alten Aufnahme die Backing-Vocals!

Wie geht es beim Dortmunder «Tatort» weiter?

Fast scheint es, als würden die Dortmunder Ermittelnden beim sonntäglichen ARD-Primetime-Publikum einziehen wollen. Am Sonntag, 20. Februar, kommt mit «Liebe mich!» bereits ihr dritter Fall in weniger als drei Monaten: Peter Faber (Jörg Hartmann), Martina Bönisch (Anna Schudt), Jan Pawlak (Rick Okon) und Rosa Herzog (Stefanie Reinsperger) nehmen Ermittlungen auf, nachdem in einem Bestattungswald eine heimlich vergrabene Leiche entdeckt wurde. Das Drehbuch stammt von Jürgen Werner, die Regie übernahm Torsten C. Fischer. Gefilmt wurde «Liebe mich!» im Juni und Juli 2021.

«Tatort: Gier und Angst» lief am Sonntag, 2. Januar 2022, um 20.05 Uhr auf SRF1.