Interview Nazi oder Humanist: Wer war Chirurg Sauerbruch aus der Serie «Charité»?

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18.2.2019

In Staffel zwei der ARD-Serie «Charité» ist Schauspieler Ulrich Noethen in einer seiner komplexesten Rollen zu sehen – Chirurg Ferdinand Sauerbruch (1875-1951). Er liess sich von den Nazis instrumentalisieren, kämpfte aber auch gegen das Regime.

Mit sechs neuen «Charité»-Folgen setzt das Erste ab Dienstag, 19. Februar, 20.15 Uhr, seine erfolgreichste Serie seit 25 Jahren fort. Auch in Staffel zwei, deren Erzählung vom Dreikaiserjahr 1888 ins Berlin des Zweiten Weltkriegs springt, werden Medizinhistorie, Zeitgeschichte und Schicksale realer sowie fiktiver Charaktere verknüpft. Ulrich Noethen spielt den Chirurgen Ferdinand Sauerbruch, einen der berühmtesten Ärzte seiner Zeit. Zunächst wurde Sauerbruch – übrigens bis in die Nachkriegszeit hinein – als innovativer, ja genialer Halbgott in Weiss verklärt.

Die Filmschmonzette «Sauerbruch – Das war mein Leben» von 1954 war eine unreflektierte Heldengeschichte der Adenauer-Ära. Später wurde Sauerbruchs Wirken, das unter anderem Euthanasie-Projekte durchwinkte, stark kritisiert. Allerdings half der zum Nazi-Arzt Abgestempelte auch jüdischen Mitarbeitern. Sogar die Hitler-Attentäter des 20. Juli 1944 trafen sich in seinem Haus. Ulrich Noethen, 59, über die Schwierigkeit, einer der schillerndsten Figuren des «Dritten Reichs» die richtige Form zu geben.

Wie würden Sie Ferdinand Sauerbruch beschreiben?

Als Mediziner: ungeheuer kompetent und innovativ. Als Mensch muss er charismatisch gewesen sein, aber auch ein sehr unangenehmer Chef. Ein Choleriker und Polterer. Grosses Herz, Humor, ein Riesen-Ego.

Was wussten Sie über ihn vor der Serie «Charité»?

Sauerbruch war ein Name, den ich schon mal gehört hatte. Ich wusste nicht viel. Chirurg. Das Ganze ist ja schon eine Weile her. Sauerbruch ist bereits 1951 verstorben. Vielleicht noch: ‹Halbgott in Weiss›.

Sauerbruchs Legende als berühmter Chirurg und innovativer Mediziner wurde während der Nazi-Zeit befeuert. Trotzdem blieb er auch in der Nachkriegszeit der berühmteste Arzt Deutschlands. Sein Ruf war also nicht beschädigt?

Seine Leistungen als Mediziner haben diesen legendären Ruf gerechtfertigt. Doch war er eben auch Teil der Nazi-Propaganda. Nach dem Krieg schrieb er mithilfe eines Ghostwriters seine Autobiografie – die war natürlich stark verklärt. Aus dem Buch entstand 1954 der ebenso verklärende Film ‹Sauerbruch – Das war mein Leben›. Damals kannte jeder in Deutschland seinen Namen.

«Sauerbruch war absolut überzeugt von sich»

Irgendwann jedoch schlug das Pendel in die andere Richtung aus – und Sauerbruch wurde eher kritisch gesehen.

Richtig, seine Verstrickungen ins Nazi-Regime wurden ihm zur Last gelegt. Sauerbruch wurde vom Regime zum Staatsrat befördert. Er hat sich von der Nazi-Bande als Aushängeschild benutzen lassen. Ich hatte anfangs Sorge, dass wir vielleicht zu positiv zeichnen. Es gab viele Gespräche mit den Autorinnen. Die haben ja auch neue Quellen ausfindig gemacht. Entlastendes. Und sie haben auch aufgezeigt, dass es Sauerbruch gegenüber auch einen gewissen ‹Belastungseifer› gegeben hat, der sich nicht immer auf Fakten stützen kann.

Wie haben Sie das Problem der moralischen Einordnung gelöst?

Sauerbruch wird immer wieder konfrontiert: von seiner Frau, seinem Assistenten, von anderen Leute. Wir kommen nie zu dem Punkt, dass er wirklich in die Enge getrieben wird, denn das wäre historisch nicht belegt. Die Serie stellt Sauerbruch nicht auf einen Sockel, aber sie verdammt ihn auch nicht. Sie bietet einen differenzierten Blick, soweit dieser im Rahmen einer TV-Serie möglich ist.

Haben Sie verstanden, warum sich Sauerbruch – gebildet, bürgerlich und im Grunde ein Humanist – mit den Nazis eingelassen hat?

Das ist tatsächlich eine schwer zu beantwortende Frage. Es gibt ein neueres Buch dazu – ‹Die Staatsräte› von Helmut Lethen. Leider konnte ich es erst nach Abschluss der Dreharbeiten lesen. Der Autor beschäftigt sich genau mit eben dieser Frage: Warum liess sich die kulturelle Elite mit den Nazis ein? Interessanterweise fällt Lethen zu den anderen Protagonisten – dem Schauspieler Gustaf Gründgens, dem Dirigenten Wilhelm Furtwängler und dem Staatsrechtler Carl Schmitt – ziemlich viel ein. Nur Sauerbruch blieb wohl auch für ihn eher ein Rätsel.

Was glauben Sie, warum sich Sauerbruch instrumentalisieren liess?

Sauerbruch war absolut überzeugt von sich und seiner Arbeit. Er wusste, was er kann und hielt sich für unentbehrlich. Ich glaube, er sah sich als über den politischen Dingen stehend. Ihm war es wichtig, seine Arbeit in der Charité möglichst gut und ungestört fortzusetzen. Dem hat er alles untergeordnet. Er leistete auch Widerstand. So war er der Meinung, dass die Nazi-Fahne auf dem Dach der Charité nichts zu suchen hat. Er weigerte sich, Parteimitglied zu werden. Er versteckte auch jüdische Mitarbeiter. Die Widerstandsgruppe, die das Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 plante, traf sich bei ihm. Andererseits müssen auch Euthanasie-Programme über seinen Schreibtisch gegangen sein. Es ist alles sehr widersprüchlich. Nazi war Sauerbruch wohl nicht keiner, er war deutschnational. 1933 begrüsste er die Machtergreifung Hitlers.

«Wir müssen wachsam sein»

Muss man verstehen, was jene «Staatsräte» wie Sauerbruch angetrieben hat, um sie spielen zu können?

Natürlich stellt man sich bei der Beschäftigung mit der Rolle permanent diese Frage. Klar, man kann sich die möglichen Antworten ein bisschen denken: Es waren Eitelkeit, Geltungssucht, Angst und der Wunsch, die eigene Arbeit weitermachen zu dürfen. Trotzdem wird es immer kritisch bei jenen dunklen Taten, bei denen man als kluger Mensch – und diese Männer waren sehr intelligent – eigentlich nicht mehr in den Spiegel gucken kann.

Sie haben sich als Schauspieler schon oft mit der Zeit des Nationalsozialismus beschäftigt. Haben Sie die Psychogramme jener klugen Menschen, die das Nazi-Regime unterstützten, dadurch besser verstanden?

Vielleicht. Vielleicht ist mir immer klarer geworden, dass der Firnis der Menschlichkeit sehr dünn ist, dass das Eis leicht bricht und darunter das Ungeheuerliche zum Vorschein kommt. Und es ist nicht einmal unbedingt ein richtiger Bruch, das Böse schleicht sich so rein. Dieses partielle Abschalten von Empathie. Wir müssen uns immer wieder hinterfragen, damit sich das Rad der Zeit nicht aufs unangenehmste zurückdreht.

Haben Sie Angst vor dieser Entwicklung?

Angst ist ein schlechter Ratgeber. Wir müssen sehr wachsam sein.

«Handarbeit spielte eine viel grössere Rolle»

Sauerbruch war nicht nur eine politisch umstrittene Figur, sondern auch ein grosser Chirurg. Wie haben Sie sich auf die medizinischen Aspekte der Rolle vorbereitet?

Ich habe mich mit einem Chirurgen getroffen, der schon als Jugendlicher ein echter Sauerbruch-Fan war. Er zeigte mir beispielsweise bestimmte Knotentechniken. Und es gibt Doku-Material, da sieht man, wie Sauerbruch operiert. Der freundliche Chirurg hat mir erklärt, was da gerade passiert. Alle Handgriffe gehen in einer unglaublichen Geschwindigkeit vonstatten. Mein Lehr-Chirurg sagte mir, das beherrsche heute keiner mehr. Natürlich wurde mittlerweile einiges durch Geräte ersetzt, aber vieles wird gemacht wie zu Sauerbruchs Zeiten. Nur eben viel, viel langsamer. Allein dieser Umstand zeigte mir so ein bisschen das Genie dieses Mannes.

Was genau war damals anders als heute?

Handarbeit spielte eine viel grössere Rolle. Während der Operationen wurden zum Beispiel noch viele Gefässe vernäht. Sauerbruch operierte ohne Handschuhe. Die Hände wurden lediglich desinfiziert. Dennoch gab es damals erstaunlicherweise weniger Fälle von postoperativen Wundinfektionen als heute.

Wie lange haben Sie die spezifischen Handgriffe trainiert?

So oft wie möglich. In jeder der sechs Folgen kommt eine grössere Operation vor. Die Maskenabteilung hatte alles sehr gut vorbereitet. Die Patienten-Dummys lagen da, man konnte in die ‹Wunden› reinschauen. Aber Gummi ist Gummi und bleibt Gummi, und verhält sich auch wie Gummi. Oft anders als man vorher denkt! (lacht).

Wie sind Sie mit der Serie zufrieden?

Ich war überrascht, wie sehr mich das, als ich es gesehen habe, gepackt hat. Immerhin gab es viele Handlungsstränge, die bedient werden mussten. Anno Saul (Regie) und Holly Fink (Kamera) haben eine eigene, starke Erzählsprache gefunden – das finde ich sehr überzeugend. Wir sehen ja einerseits eine Art zu erzählen, die uns vertraut ist. Andererseits begeben wir uns auch in Abgründe hinein, die zur Primetime eher selten gezeigt werden.

Das Interview mit Ulrich Noethen hat die teleschau geführt.

«Charité» läuft am Dienstag, 19. Februar, um 20.15 Uhr auf ARD. Mit Swisscom Replay TV können Sie die Sendung bis sieben Tage nach Ausstrahlung anschauen.

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