Interview Oliver Kalkofe: «Je beschissener das Angebot, desto mehr Geld»

Maximilian Haase / tsch

3.8.2018

Miese Streifen mit Genuss schauen: Der deutsche TV-Kritiker und Entertainer Oliver Kalkofe über fünf Jahre «Schlechteste Filme aller Zeiten», «Scripted-Reality-Scheissdreck» und die Zukunft des Fernsehens.

Mit der Authentizität ist es so eine Sache, gerade im Entertainmentbetrieb TV. Wo alle so tun als ob, ist schwer zu erkennen, wer es mit dem Medium ernst meint. Einer der grössten Liebhaber des Fernsehens ist zugleich einer seiner strengsten Kritiker: Seit 25 Jahren arbeitet sich Oliver Kalkofe am schlechten TV-Programm ab, seine «Mattscheibe» zerlegt genüsslich auch noch den unsinnigsten Schund. Wie ernst es dem 52-jährigen Deutschen mit der Unterhaltung ist, zeigt er seit fünf Jahren auch in einem liebevoll ausgestalteten Format, das er mit familiärem Team im kleinen Berliner Studio produziert: Gemeinsam mit Peter Rütten nimmt sich Kalkofe ab Freitag, 3. August, immer freitags um 22.10 Uhr auf Tele 5 wieder «Die schlechtesten Filme aller Zeiten», kurz «SchleFaZ», vor. Ein Gespräch über die Sendung und Netflix, über Anerkennung und Integrität, über «Scripted-Reality-Scheissdreck» und die Zukunft des Fernsehens.

Seit fünf Jahren läuft «SchleFaZ» nun auf Tele 5 und besitzt inzwischen eine eingeschworene Fangemeinde. Stimmt es, dass Sie zu Beginn sehr improvisiert drehen mussten?

Oliver Kalkofe: Am Anfang drehten wir in einer echten Videothek. Kein Platz zum Bewegen, eine Mörderhitze. Die Fenster wurden vernagelt. Es war laut, weil nebenan ein Haus abgerissen wurde. Wir mussten die ganze Zeit jemanden losschicken, um die Bauarbeiter mit 'nem Kasten Bier zu bestechen, damit die kurz ruhig waren. Heute sind wir grösser geworden, aber immer noch ein kleines, verrücktes Team mit viel Charme. Eine Mischung aus hoher Professionalität und wildem Wahnsinn (lacht).

Macht ein Oliver Kalkofe ausschliesslich TV-Projekte, die ihm selbst gefallen?

«SchleFaZ» und die «Mattscheibe» bleiben die schönsten Produktionen, die man sich vorstellen kann. Anstrengend, wahnsinnig viel Arbeit, aber ich möchte beides nicht missen. Natürlich passiert es im Leben öfter, dass du danach oder dabei denkst: Ach, scheisse, das hätte ich jetzt gern gelassen! Aber grosse Sachen, die ich bereuen würde, habe ich nicht gemacht.

Bekamen Sie in Ihrer Karriere auch verführerische Angebote, die Sie aber mit Ihrer Rolle als Fernsehkritiker nicht vereinen konnten?

Zum Glück nichts, dessen Ablehnung mir sehr schwer fiel. Aber die Erfahrung zeigt: Je beschissener das Angebot ist, desto mehr Geld bekommst du geboten. Früher hätte ich etwa für ein «Promi-Schiffeversenken» mehr bekommen als für eine Folge der «Mattscheibe», an der ich richtig lange sitze. Viele verdienen ja damit ihr Geld, rumzusitzen oder sich zum Idioten zu machen. Die wenigen Talk- oder Gameshows, die Spass machen, werden selten gut bezahlt. Deshalb drehte ich immer lieber meine eigenen Shows - und mache ansonsten nur Sachen, von denen ich zumindest glaube, dass sie gut werden könnten.

Sicher ist es ein Drahtseilakt, als Fernsehkritiker selbst TV-Gesicht zu sein. Kommt es dabei darauf an, die eigene Integrität zu bewahren?

Ja. Das ist mir enorm wichtig - aber immer auch Interpretationsfrage. Manche empfanden es schon als Verrat, wenn ich als Gast bei «Genial daneben» auftrat. Dabei sagte ich ja nie, dass ich gegen das Fernsehen bin, sondern ganz im Gegenteil!

Das Fernsehen liegt Ihnen sehr am Herzen ...

Ich liebe das Fernsehen, ich will gutes Fernsehen machen! Ich bin nicht nur der Kritiker, der mit dem Finger wedelt, sondern einer, der Spass macht und dann selbst in der Kritik steht. Wichtig ist: Ich muss mir selbst glauben können. Würde ich jetzt bei «Promi Big Brother» mitmachen, würde mich das in eine persönliche Krise stürzen (lacht).

Seit 25 Jahren sind Sie selbst im Fernsehen präsent - und haben wohl mehr TV-Schrott gesehen als die meisten. Ist das deutsche Fernsehen innerhalb dieses Vierteljahrhunderts besser oder schlechter geworden?

Es gibt zwei Entwicklungen - eine ganz positive, eine ganz negative. Zum einen: Ja, es ist wirklich viel, viel schlechter geworden. Aber: Ja, es gibt auch einige Hoffnungsschimmer.

Wo sehen Sie Hoffnung?

Nicht unbedingt im Fernsehen, aber zum Beispiel bei den Streamingdiensten. Die haben uns - und den Fernsehschaffenden - zum Glück bewiesen: Die Zuschauer sind gar nicht so doof, wie ihr immer behauptet! Ihr habt sie nur doof gemacht und sie nicht an andere Inhalte herangeführt. Viele Leute sind deshalb vom Fernsehen zu den anderen Anbietern gegangen. Und die, die man immer kriegt, für die TV nur ein Begleitmedium ist, hat man behalten. Nach denen werden die Quoten gemessen, an denen wird sich orientiert. Das war ein Fehler, und das merken die Sender jetzt. Weil die Streamingdienste gute Filme und Serien produzieren, zieht man schrittweise nach.

Der Hoffnungsschimmer muss aber klein sein, wenn Sie davon sprechen, dass alles schlechter geworden sei ...

Leider ja. Mitte der 90er-Jahre war die Blütezeit des Privatfernsehens - ein Quell brodelnden Irrsinns. Aber: So sehr man darüber gelacht hat, es gab dahinter den Anspruch, das Publikum zu unterhalten. Man wollte zeigen, was man kann, einfach Fernsehen machen. Das war ein Wahnsinn. Die Privaten waren damals qualitativ nicht an der Obergrenze, aber sie brachten frischen Wind. Die Zeit ist leider vorbei.

Was haben wir stattdessen heute?

Das ging schleichend. Fast alle Sender wurden zu börsennotierten AGs oder grossen Konsortien, denen es nur noch um Gewinnmaximierung ging. Der Inhalt wurde den Machern scheissegal. Heute haben wir den ganzen Nachmittag vollgemüllt mit Scripted-Reality-Scheissdreck, der mit Fernsehen nichts zu tun hat. Gemacht von Menschen ohne Ahnung mit Menschen ohne Bock.

Was nervt Sie am meisten?

Man führt Menschen vor, macht sie lächerlich. Eine Frechheit und Beleidigung eines jeden Zuschauers. Das Fernsehen ist immer zynischer, seelenloser, liebloser geworden. Aber das ist billiger. Ich will nicht pathetisch klingen: Einen Antrieb, eine Moral, ein «Warum-mache-ich-das?» gibt es kaum mehr. Fernsehen hat mit Unterhaltung und Menschen zu tun. Man dreht keine Schraube am Fliessband. Empfindungen, Liebe, Spass, Freunde gehören dazu! Es darf nicht nur darum gehen, möglichst billig zu produzieren und sich über die Zuschauer kaputtzulachen.

Glaubten Sie anfangs eigentlich, mit Ihrer Kritik manche Fernsehleute wirklich zum Umdenken bewegen zu können?

Anfangs geht man noch mit einem ganz anderen Stolz und Mut an die Sache. Ich glaubte, die Welt schon irgendwie bewegen zu können. Doch die bittere Erkenntnis kam schnell: Besser wird es nicht mehr.

Resigniert man nicht irgendwann?

Der Trost ist: Ich habe viele Menschen erreicht und zum Lachen, zum Nachdenken gebracht. Viele haben durch die «Mattscheibe» schneller gemerkt, wenn sie im Fernsehen verarscht wurden. Wenn jemand denkt: «Mensch, da müsste jetzt der Kalkofe ins Bild kommen und mich rächen» - dann ist doch schon etwas erreicht.

Empfinden Sie Wut auf die Menschen, die das Fernsehen machen, aber nicht lieben?

Aus Wut auf die Zyniker, die das Fernsehen kaputtmachen, ist die «Mattscheibe» ja entstanden. Aber ich gehe nicht mit Wut und meckernd an die Kritik, sondern versuche, auch die schlimmsten Dinge mit Humor zu nehmen. Das ist immer die bessere Wahl der Waffe.

Eine schneidende Waffe, die auch in Ihrer neuen «SchleFaZ»-Staffel wieder ausgepackt wird ...

Es gibt derzeit in Deutschland kein Programm, das so viel Liebe zum Film zeigt. Wir machen uns ja selbst absichtlich eine Scheiss-Arbeit - drehen etwa Cowboy-Musikvideos mit Bela B. oder machen aus dem alten Vorspann der ZDF-Reihe «Der fantastische Film» eine Neuauflage mit Peter und mir. Das ist Arbeit, die nicht sein müsste, die wir uns aber aus reiner Freude machen. Selbst an den beschissensten Filmen!

Was ist der Reiz an den schlechten Filmen?

Es sind wirklich ausnahmslos Scheissfilme, die sich niemand anschauen würde. Daraus eine Party zu machen, zu der Tausende Leute zu Hause sitzen und das kostümiert in Gruppen und mit Cocktails feiern: Das ist einmalig. So was wie «SchleFaZ» wird aber bei Preisverleihungen nicht bedacht, dazu ist es für die Masse zu schwer zu greifen. Wir machen das für die Fans, für die Menschen, die Filme lieben, egal ob gut oder schlecht. Das ist eine Beziehung mit Leidenschaft, von beiden Seiten.

Ist die Enttäuschung über die fehlende Wertschätzung gross?

Der Gedanke ist häufig da: Das hätte es verdient. Ich weiss, was ich an Mittelmässigem und an Scheisse gemacht habe - deshalb ist das keine falsche Eitelkeit: Einige der Sketche und Sachen bei «SchleFaZ» und «Kalkofes Mattscheibe» sind aber wirklich grossartig. Dann denkt man sich schon: Was wäre, wenn das vor 20, 30 Jahren gelaufen wäre? Ich bin deshalb aber nicht traurig, wütend oder verbittert. Damit habe ich mich abgefunden - und bin froh, dass ich das noch machen darf.

Glauben Sie, dass auch diese Nische irgendwann in sich zusammenfallen könnte?

Es ist eine traurige Erfahrung, dass es nicht mehr so wertgeschätzt wird, wenn du mit viel Herzblut einen bestimmten Teil der Leute gut unterhältst. «SchleFaZ» und die «Mattscheibe» sind sehr erfolgreich - als Nischenprogramme. Aber die gute Mittelschicht fällt überall weg - es gibt nur noch ganz gross und ganz klein. Billig und sehr teuer. Es ist schade, dass dazwischen nichts mehr stattfindet.

Was würden Sie sich denn wünschen?

Dass die Sender wieder die Nischen bedienen, alles was Genre ist. Heute will jeder nur noch auf Masse, alle erreichen. Bei all den Zahlenwichsereien um die Quote geht es nur darum. Man will sogar die Leute, die man doof findet. Alle bedienen zu können, das geht nicht. Das ist der Tod des Fernsehens. Aus diesem Gedanken, die ganze Familie den ganzen Abend zwangsweise an die Kiste fesseln zu müssen, ist auch «Wetten, dass ..?» gestorben.

Jedem seine eigene Nische - das ist etwas, das die Streamingdienste aktuell auf die Spitze treiben. Reizt es Sie als alten Vertreter des linearen Fernsehens, zu Netflix zu gehen - etwa für eine Fortführung der «Wixxer»-Reihe?

Ich würde mir sogar sehr wünschen, dass das klappt. Etwas Fiktionales wie etwa eine «Wixxer»-Serie zu machen, ist im normalen Fernsehen beinahe unmöglich. Das haben wir vor langer Zeit alles schon durchgespielt: Niemand würde glauben, wie bei diesen Sendern gedacht wird.

Verraten Sie es uns?

Es heisst dort: Die Deutschen wollen Krimis, also kriegen sie nichts als Krimis bis in alle Ewigkeit. Und vielleicht noch ein wenig Familientragödien und Krankenhaus. Wenn man den Leuten das zeigt, gewöhnen sie sich dran. Dann siehst du als Sender, dass du mit anderen Sachen schnell scheitern kannst. Deshalb traut sich niemand, deshalb ist kein Mut, kein Spass und keine Freude dabei.

Dabei gibt es die Talente hierzulande ja durchaus, wie Serien wie «Dark» jetzt beweisen.

Netflix und Amazon machen die Tore auf, und alle rennen dahin mit wedelnden Armen. Weil es ein Traum ist, das machen zu dürfen. Denn die Leute wollen ja, dürfen im Fernsehen aber nicht. Da macht man eben noch eine Rosamunde Pilcher. Es ist stinklangweilig, und das weiss auch jeder. Wir haben gute Leute, man lässt sie nur nicht, weil die Sender die Hosen voll haben. Das ist, man muss es leider sagen, typisch deutsch.

Inwiefern?

Deutschland tut sich nicht damit hervor, Sachen selbst zu machen. Aus den USA und England kommt viel Schlimmes - aber eben auch viel Tolles. Da ist jeder Sender gezwungen, in jeder Season ein paar neue Dinge zu bringen, um sich abzusetzen. Bei uns hingegen hast du noch niemals die Chance gehabt, eine völlig neue Idee einzubringen. Jeder kann das bestätigen: Die erste Frage beim Sender ist, ob es etwas Vergleichbares in Amerika gibt. Dann hat man die Rechtfertigung, falls es nicht klappt. Hier fragt man nur: Was ist in anderen Ländern erfolgreich? Welche Shows und Serien können wir übernehmen? Wenn «Sex & The City» erfolgreich lief, dann wollten die Sender was Ähnliches - nur ohne Sex und auch nicht so viel City (lacht).

Glauben Sie, die Streamingdienste können die Sender unter Druck setzen?

Langsam geschieht das. Man sieht, dass die Zuschauer weglaufen. Früher ging das noch nicht so gut, da brauchte man viel Geld oder schaute illegal. Jetzt kann das fast jeder. Und die Sender erkennen: «Scheisse, die Leute gucken ja auch die guten Sachen. Dabei dachten wir immer, die sind zu doof dafür.» Jetzt sitzen sie da mit ihrem Kack und müssen irgendwelche Ausreden finden.

«Die schlechtesten Filme aller Zeiten», kurz «SchleFaZ», läuft ab Freitag, 3. August, immer freitags um 22.10 Uhr auf Tele 5. Mit Swisscom TV Replay können Sie die Sendung bis zu sieben Tage nach der Ausstrahlung anschauen.

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