Letzte Woche hat das Bundesamt für Kultur «Schwesterlein» ins Rennen um einen Oscar geschickt. Heute kommt das Drama der Regisseurinnen Stéphanie Chuat und Véronique Reymond in die Deutschschweizer Kinos. Ein Gespräch mit Hauptdarsteller Lars Eidinger.
Er empfinde eine gewisse Genugtuung, dass der Spielfilm, den in Deutschland niemand produzieren wollte, im Frühjahr an der Berlinale Premiere feierte und inzwischen beim Europäischen Filmpreis sowie in der Vorausscheidung für einen Oscar in der Kategorie «International Feature Film» dabei ist, sagte der deutsche Schauspieler («Babylon Berlin», «Alle Anderen») im Gespräch mit Keystone-SDA.
In seiner Heimat hiess es seinerzeit, die Geschichte rund um den krebskranken Theaterschauspieler Sven und dessen Zwillingsschwester Lisa (Nina Hoss) sei nicht von Interesse. Die Schweizer Produzentin Ruth Waldburger («Katzendiebe», «Ernstfall in Havanna»), die 2015 für ihr «feines Gespür für Entdeckungen» mit dem Bremer Filmpreis ausgezeichnet worden ist und die Eidinger als «Legende» bezeichnet, sah allerdings die Qualitäten der Geschichte.
Und wenn man den 44-Jährigen nach ebendiesen befragt, dann steigt er mit seiner Grossmutter ein. Damit, dass ihm nach deren Tod folgendes auffiel: «Ein toter Mensch sieht nicht aus wie jemand, der schläft, sondern wie jemand, der nicht mehr lebt.» Genau diese Abwesenheit des Lebens zeige einem, was Leben überhaupt ist. Und darin sieht Eidinger die Besonderheit von «Schwesterlein»: «Indem der Tod gezeigt wird, erzählt der Film vom Leben.»
Und tatsächlich ist «Schwesterlein» mehr als ein Krebsdrama – auch wenn das leidvolle Sterben des Berliner Hamlet-Darstellers Sven ganz klar im Mittelpunkt steht. Es ist ebenso ein Film über das Leben, was sich insbesondere in der Rolle der Zwillingsschwester zeigt, die durch die Krankheit ihres Bruders erkennt, dass auch sie leben will. Noch mehr als in den von Verzicht geprägten letzten Jahren.
Corona-Koller
Trotz der Freude, einen Film zu feiern, an dessen Set eine «angenehme, kreative Stimmung herrschte» und mit dem er sehr zufrieden sei, fühlte sich Lars Eidinger beim Interview zwischen den zwei Vorpremieren am Mittwoch in Zürich ein bisschen «gedämpft». Er habe sich so gefreut, seine Kolleginnen und Kollegen zu sehen. «Und wir haben nun mal den Impuls, uns körperlich nahe zu sein, können dem im Moment aber nicht nachgehen.» Ihm gehe seit dem Lockdown ein bisschen so wie einem Kind, das nie gestreichelt werde. «Im Moment merken sie nichts, weil sie es nicht anders kennen», sagt er. «Doch langfristig hat so ein Entzug seine Auswirkung.»
Ausserdem sei Quantität im Bezug auf das Kinopublikum schon auch ein entscheidender Faktor – «da muss man sich nichts vormachen». Und in einem halbleeren Saal könne nun mal nicht die gleiche feierliche Atmosphäre aufkommen wie bei einer richtigen Premiere.
Von Schlingensief beeinflusst
Lars Eidinger hat viel mit der Hauptfigur Sven gemeinsam. Wie er ist er Schauspieler an der Schaubühne Berlin, hat Hamlet schon hunderte Male gespielt – und auch die Arbeit mit Schaubühnen-Chef Thomas Ostermeier, der in «Schwesterlein» eine Version seiner selbst spielt, ist ihm vertraut. Über das Theaterumfeld musste Eidinger also nicht recherchieren.
Stattdessen sah er sich Dokumentationen über Sterbehospize an. Und er liess sich von dem vor zehn Jahren verstorbenen Regisseur und Aktionskünstler Christoph Schlingensief inspirieren. «Viele erliegen dem Irrtum, dass jemand, der dem Tod ins Auge sieht, weiser, ruhiger, gelassener wird und eine Form von Grösse erlangt», so Eidinger. «Bei Schlingesief war es anders, er ist vielmehr geschrumpft.»
Und genau das berühre ihn: einen Menschen zu sehen, der Angst vor dem Tod, vor der Ungewissheit hat, der am Leben hängt. Genau so wollte Eidinger die Rolle des Sven spielen.
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