TV-Kritik «Queen of Drags»: Triumph des Törtchens

Von Gion Mathias Cavelty

20.12.2019

TV-Experte Gion Mathias Cavelty hat sich die Finalfolge von «Queen of Drags» angeschaut – und ist sich nicht sicher, ob er alles richtig verstanden hat.

«Hoffentlich gewinnt das Törtchen», sagte ich mir gestern Abend vor dem Fernseher sitzend. Weil: Das Törtchen fand ich spontan lustig. Es bestand im Wesentlichen aus einer medizinballgrossen Kunststoff-Glacekugel, die von einer riesigen roten Kirsche mit langem Stiel gekrönt war, und thronte auf dem Kopf von Vava Vilde (30), eine der drei Finalistinnen der ProSieben-Castingshow «Queen of Drags».

«Wer ein Törtchen als Hut trägt, hat das Leben, das Universum und den ganzen Rest verstanden», schob ich in Gedanken noch hinterher.

Im täglichen Leben trifft man selten bis nie auf jemanden, der ein Törtchen als Hut trägt. Das ist schade. Denn so ein Törtchen löst (zumindest bei mir) schlagartig gute Laune aus.



Gestern stand Vava Vilde also im Finale; sieben Konkurrentinnen um den Titel «Königin der deutschsprachigen Drag-Queens» waren in den vergangenen fünf Folgen bereits ausgeschieden; alles hing nun an der Abschlussperformance, deren Thema «Candyland» lautete.

Vava legte auf der Bühne los; sie hatte sich für eine Playback-Darbietung des Songs «Underneath» von Adam Lambert entschieden (Textauszug: «It's still not that easy for me/Underneath»).

«Keine Lust auf Zuckerguss und so»

«Was war die Inspiration hinter diesem Auftritt?», wollte Co-Jurorin Conchita Wurst im Anschluss daran wissen. Vava: «Wenn ich hierherkomme, dann habe ich keine Lust auf nur Zuckerguss und so, das bin ich nicht. Ich bin auch drunter traurig und verletzt, und das sind wir, glaube ich, alle.» – «Von aussen sieht man die Glitzerwelt, diese lustige schöne Welt, aber es geht auch darum, was für ein Mensch in dir ist ... ich fand's toll, sehr mutig», philosophierte Co-Jurorin Heidi Klum, die in den Sendeminuten davor vor allem mit peinlichen Äusserungen wie «Heute geht es um die Wurst! Aber nicht Conchitas. Hähähä.» aufgefallen war.



«Das Törtchen ist also gar nicht lustig, sondern das pure Gegenteil», schoss es mir durch den Kopf. Ja! Das Törtchen hatte eine Botschaft übermitteln wollen. Und ich hatte sie nicht gecheckt. Das Törtchen war in Wirklichkeit das Produkt von … Schmerz? Demütigung? Missverständnis?

«Seid keine Arschlöcher, seid einfach wieder mal nett zueinander. Das ist alles», hatte Vava Vilde in Folge vier ungeschminkt und ohne jeden Firlefanz in die Kamera gesprochen, nachdem Co-Juror Bill Kaulitz die Kandidatinnen dazu aufgefordert hatte, «die Chance zu nutzen, gehört zu werden – das, was ihr auf dem Herzen habt, loszuwerden».

Ja! Keine Arschlöcher sein! Einfach wieder mal nett zueinander sein! Wer kann das nicht aus vollem Herzen unterschreiben?

Ultraaggressive Sexualität

Nun: Als zweite trat am gestrigen Abend Kandidatin Yoncé Banks (26) als singende Eiswaffel auf, aus der unten grosse Smarties rausflossen. Sie performte mit vier durchtrainierten Tänzern in grauen Unterhosen zu einer fetzigen Nummer (Auszug aus den Lyrics: «I can't deny your desire/Feel like I'm on fire»). Alles übertrieben lasziv, sexuell-ultraaggressiv, irgendwie.

«Wie ist jetzt das gemeint?», fragte ich mich. «Ist das jetzt auch … etwas Hochbrisantes? Hochsozialpolitisches? Oder so?»



Auch die Nummer der letzten Kandidatin, Aria Addams (22), liess mich ratlos zurück. Gigantische Gummibärchen drehten sich auf dem Bildschirm hinter ihr, Christina Aguilera sang ab Band «He's a sweet talkin' sugar coated candy man», dazu bewegte Aria ihre Lippen und hopste in einem rosa Glitzer-Bodysuit herum.

«Was ist die Message? Was ist die Message?», fragte ich mich verzweifelt.

Und dann, endlich, verkündete Conchita Wurst die Siegerin. Das Törtchen mit der tiefen Botschaft hat nicht gewonnen. Gewonnen hat Yoncé Banks, die pushy Drag-Queen mit den vier Unterhosenmodels, deren Botschaft ich noch herausfinden muss. Oder ist die Unterhose die Botschaft? Respektive das, was drin steckt? Also doch auch irgendwie … innere Werte?

Für mich war der gestrige Abend auf jeden Fall eindeutig ein Triumph des Törtchens.

«Queen of Drags – Das Finale» lief am Donnerstag, 19. Dezember, um 20.15 Uhr auf ProSieben. Mit Swisscom Replay TV können Sie die Sendung bis zu sieben Tage nach der Ausstrahlung anschauen.

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