Wegen Streaming Mit «Game of Thrones» geht auch ein Gemeinschaftsgefühl verloren

Roland Meier

20.5.2019

Mit dem Staffelfinale von «Game of Thrones» finden auch lieb gewonnene TV-Rituale ihr Ende. Die Gemeinschaft der Guckenden ist Geschichte – getötet vom Netflix-Prinzip.

Die Geschichten aus Westeros enden. Nicht wenige Schweizer standen um 3 Uhr morgens auf, um live dabei zu sein, wenn im Serienhit die letzten Erzählstränge entknotet wurden. Mittlerweile bieten viele Anbieter die Möglichkeit des Simulcasts an – sprich die gleichzeitige Übertragung einer Folge wie im US-Fernsehen. Das gemeinsame Gucken und andere Gewohnheiten gehören aber wohl bald der Vergangenheit an. Streamingdienste funktionieren heute nach anderen Prinzipien.

Alles auf einmal, in besserer Qualität

2012 erschien bei Netflix mit «Lillyhammer» die erste hauseigene Produktion. Der Überhit «House of Cards» folgte 2013. Beide Serien boten alle Folgen einer Staffel am selben Tag an. Der sogenannte One-Season-Drop war geboren. Gleichzeitig stieg die Qualität der Internet-Verbindungen, die es erlaubte Bewegtbild ruckelfrei in HD zu übermitteln. In den Sozialen Medien begann man vermehrt, Serien zu diskutieren oder mit Memes zu verballhornen. Drei Neuerungen, die das Nutzerverhalten änderten.

Ein Public-Screening in der Nacht auf Montag: In Genf konnten Fans das Finale um drei Uhr morgens im Kino verfolgen.
Ein Public-Screening in der Nacht auf Montag: In Genf konnten Fans das Finale um drei Uhr morgens im Kino verfolgen.
Keystone

«Game of Thrones» begann 2011. Also vor dem neuen TV-Zeitalter. Die neuen Folgen erscheinen bis heute im Wochen-Rhythmus. Alle sieben Tage wird die wachsende Neugier gestillt, Erwartungen erfüllt, Vorfreude geschürt. Vor der finalen Staffel von GoT wurde sogar die Episodenlänge der sechs übrig geblieben Folgen zum Medienthema. Wer nicht mitten in der Nacht guckt, meidet montags potenzielle Spoiler-Quellen. Im Nachgang zur Sichtung werden Kolumnen und Podcasts konsumiert. Ein Gemeinschaftsgefühl entsteht: Ein stilles Surren, an dem man teilhaben kann.

Fehlende Diskussionsgrundlage

Mit neueren Serienhits beschäftigt man sich anders. Sie sind so zahlreich und allerorts verfügbar, dass es schwierig wird, nur schon am Zmittagstisch einen gemeinsamen TV-Nenner zu finden, bei dem alle Anwesenden gleich weit sind. Plot-Überraschungen kennen auch Fans von «Ozark» und «Black Mirror». Kollektive Bestürzung, die sich innert weniger Stunden wellenartig verbreitet, wie das «Game of Thrones» mit Schock-Momenten wie der Roten Hochzeit gelang, lösen diese aber nicht aus.

Die Suche nach dem nächsten «Game of Thrones» wird weitergehen. Irgendeine herausragende Serie wird auch in Zukunft Millionen von Fans um sich scharren. Aber das grosse Surren, ein kollektives Mitfiebern über alle Zeitzonen hinweg, wird es in Zukunft wegen einer TV-Serie wohl nicht mehr geben. Der Serienkonsum wird trivial wie Zähneputzen. Alle tun es, aber jeder zu seiner Zeit.

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