Nostalgie Teletext: Reine Zauberei

Von Gion Mathias Cavelty

8.1.2020

TV-Experte Gion Mathias Cavelty feiert nach 30 Jahren ein Wiedersehen mit Teletext. Magische Szenen spielen sich ab.

«Teletext – läck Bobby, das gibt’s ja tatsächlich noch!», ist meine Reaktion, als auf meinem Fernsehbildschirm die Teletext-Startseite erscheint. Ich musste dafür nur auf ein rundes Knöpfchen auf der Fernbedienung drücken (beschriftet mit TEXT). Unglaublich – ich habe seit schätzungsweise 30 Jahren kein Teletext mehr verwendet. Oder darf man sagen: heraufbeschworen? Ich komme mir nämlich gerade vor wie ein uralter, mächtiger Zauberer.

Teletext! All die Jahre warst du da – und ich habe nicht gewusst, dass du noch existierst. Doch heute (5. Januar 2020) gibt es ein Wiedersehen!

Alles ist noch so wie immer. Die Startseite trägt die Nummer 100. Die Buchstaben – eckig, klobig, gross wie Legosteine. Ungemein beruhigend wirkt diese Welt aus zweidimensionalen Legosteinen auf mich. Nichts huscht nervös herum, nichts poppt ungefragt auf, nichts tötet meine Nerven.



Man fühlt sich in Sicherheit in der Teletext-Legosteinwelt. Alles erscheint einem nachvollziehbar, klar strukturiert, fest fundiert. Quasi amtlich. Von oben her abgesegnet. Von einer über allem stehenden, nüchternen Macht geordnet und arrangiert. Man bekommt das Gefühl: Hier regiert eine väterliche Hand. Zweifel am Geschriebenen keimen zu keiner Sekunde auf. Keine Chance, dass sich hier irgendwelche Fake-News-Schlangen einschleichen könnten. Die aus den Fugen geratene Welt da draussen – sie ist weit, weit weg. Diese Welt voller Hektik, voller Überstürzung, voller Hysterie; dieses Tollhaus voller nicht abreissender News-Streams, die einem den Boden unter den Füssen wegspülen.

Alles, alles ist gut!

Ehrfürchtig tippe ich meine Lieblingszahl ein: 444 (Teletext-Userfreundlichkeit: top!). Es ist ein bisschen wie im Casino in Las Vegas … werde ich wohl Glück haben? Die Seitensuche beginnt zu laufen und läuft und läuft und läuft – vergeblich, eine Seite 444 gibt es nicht. Aber an den beständig sich wandelnden Zahlen kann ich mich nicht sattsehen.

Schliesslich tippe ich die 500 ein – das Wetter. Das Wetter hat mich noch nie interessiert, denn ich gehe nie nach draussen. Trotzdem lese ich Wort für Wort, was auf der Seite steht: ein Akt der Meditation.

Seite 613: Börsenkurse. Ich habe keine Ahnung von Börsenkursen, aber die Seite sieht top-seriös aus. Nur zwei Zahlen sind rot, alle anderen sind grün. Das bedeutet, dass alles, alles gut ist!



Seite 769: Frohe Neuigkeiten vom Eidgenössischen Differenzler-Jassverband: «Die Sektion Flamatt zieht um in ein neues Lokal! (…) Also wir sehen uns in Ueberstorf im Gasthof zum Schlüssel!!!» (sic). Alles, alles ist gut!

Seite 774: Zwei umwerfende Grafiken auf der Seite «Terminplaner für Hörgeschädigte». Muss man gesehen haben (z.B. oben in der Bildstrecke). Da war ein richtiger Gigantenpixel-Künstler am Werk. Werde ich mir aus Duplo nachbauen.

Das Teletext-Revival in der jungen Generation

Jetzt fehlt nur noch ein Blick ins Teletext-Horoskop. Aber das kann ich nirgends finden. Gab es früher nicht ein eigenes Horoskop für Teletext? Oder bilde ich mir das nur ein?

Als lustiger Gag zum Abschluss verteletexte ich noch das Gesicht von Markus Somm, der gerade in einer Talkshow auf SRF 1 sitzt. Heisst: Ich drücke auf den Knopf TEXT, dann wird das Sommsche Antlitz mit irgendeiner Teletext-Meldung überdeckt (siehe Bildstrecke oben). Ha ha! Das macht Spass!

Fazit: Das Ganze war eine wohltuende Erfahrung für mich. Im Englischen nennt man das «oddly satisfying» – ein Phänomen, dass gerade auch das Internet revolutioniert. Millionen von Usern sind «seltsam befriedigt», wenn sie sich Videos ankucken, in denen möglichst Unspektakuläres passiert. Jemand schneidet zum Beispiel 60 Minuten lang Seifen in kleine Würfelchen, et cetera.

PS: Meiner zehnjährigen Tochter werde ich Teletext übrigens als den nächsten heissen Sch**ss andrehen, die steht total auf Minecraft und wird Bauklötze staunen, dass es so etwas Endcooles gibt ... 

Und hier noch die Bilder des Tages
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