«Tatort: Das Team» im Check Warum der furiose Neujahrsfall kein Drehbuch hatte

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1.1.2020

Im ersten «Tatort» des neuen Jahres fand sich «Das Team» prominent besetzt als Supergroup zusammen – und erlebte ein Psycho-Kammerspiel, das weder Ermittler noch Zuschauer so schnell vergessen werden. Wie konnte das ganz improvisiert und ohne Drehbuch gutgehen?

Improvisierte «Tatort»-Episoden, das kannte man schon. Auch kammerspielartige Psychodramen erlebte der geneigte Zuschauer des TV-Flaggschiffs bereits. Ja, sogar die eine oder andere Kollaboration verschiedener «Tatort»-Teams verzückte in der Vergangenheit das Publikum. Was es indes noch nie gab: All diese experimentellen Krimiansätze in einer einzigen, atemberaubenden und nachwirkenden Folge. Und was hätte sich dafür besser eignen können als der erste «Tatort» des neuen Jahres?

2020 begann furios mit einem angemessenen Knall: «Das Team», eine Ermittler-Supergroup aus Nordrhein-Westfalen, lieferte mit einem improvisierten Psycho-Kammerspiel schon an Neujahr eines der wohl meistdiskutierten «Tatort»-Experimente des gerade erst gestarteten Jahres. Doch wie konnte das ganz ohne Drehbuch funktionieren?

Worum ging es – und wer war alles dabei?

Sieben Ermittler aus verschiedenen Städten in Nordrhein-Westfalen trafen in einem abgelegenen, leerstehenden Tagungshotel zusammen. Der Grund: Vier ihrer Kollegen waren in den vergangenen Wochen ermordet worden – eine beispiellose Mordserie. Jeder im «Team» kannte mindestens einen der mit «fantasievoller Grausamkeit» getöteten Kollegen. Warum genau man sie gemeinsam geladen hatte? Da waren die Ermittlerinnen und Ermittler zunächst ratlos. Doch bald stand fest: Sie sollten «Das Team» bilden und den Serientäter finden – und der, so wurde schnell klar, befand sich mitten unter ihnen.

Aufgeboten wurde dafür ein beeindruckendes Ensemble: Dortmund schickte seine beiden Hauptermittler Faber (Jörg Hartmann) und Bönisch (Anna Schudt), Münster die junge Kommissarin Krusenstern (Friederike Kempter), die im Weihnachts-«Tatort» noch entführt wurde. Ausserdem mit dabei waren prominent besetzte Ermittler, die bislang nicht im «Tatort» zu sehen gewesen waren: Friedrich Mücke spielte Ziesing von der Kripo Paderborn, Nicholas Ofczarek («Der Pass») den Aachener Kommissar Mitschowski; hinzu kamen Ben Becker als Kommissar Rettenbach aus Oberhausen sowie Kommissarin Möller (Elena Uhlig) aus Düsseldorf.

Worum ging es wirklich?

Um die Gruppendynamik und Beziehungen zwischen den Kommissaren, um grosse Egos in kleinen Räumen, um schwelende Konflikte und alte Wunden – ein wahres Fest für Freunde intensiver Psychodramen! Das kammerspielartige Charakterdrama lotete aus, was passiert, wenn Narzissten und Depressive, wenn kaputte und selbstverliebte Typen aufeinandertreffen, einander misstrauen und Spielchen miteinander spielen. Letzteres übrigens im wörtlichen Sinne: Mit Charly Hübner und Bjarne Mädel stiessen zwei weitere deutsche Schauspielstars zum «Tatort»-Cast – allerdings nicht als Ermittler, sondern als «polizeiferne» Coaches für Krisensituationen, wie es hiess. Als Gebrüder Scholz sollte ihre Expertise dazu beitragen, ein schlagkräftiges Team zu formen. Ihr Auftreten: selbstbewusst entspannt. Ihre Methode: Streits, Stuhlkreise und Spiele.

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Wie sah das aus – und funktionierte es?

Auf den ersten Blick nicht. Die grossen Egos gaben nicht nach. Die Coachbrüder Scholz konnten mit Eitelkeiten und Narzissmus nichts anfangen – und glaubten schon früh zu wissen: «Keiner eignet sich als Leader.» Um die Truppe dennoch zusammenzuschweissen, setzten sie die sieben Ermittler unter Kameraüberwachung eigenartigen Psychospielchen in tristen Räumen aus. Auf dem «heissen Stuhl» durften die anderen jeweils eine Person löchern («Ich würde Sie bitten, die Kollegin zu grillen»), beim «Speeddating» warfen sich die Kommissare allerlei Böses an den Kopf («Dein Kaugummi macht mich wahnsinnig»), und überhaupt sorgten sie dafür, dass jede versteckte Befindlichkeit, jede gegenseitige Abneigung und jede Anwandlung von Wut, Hass, Trauer hervorbrach.

So erfuhr der Zuschauer in einem psychologisch (an-)spannenden Kammerspiel nicht nur mehr Details über die Attacken (der Münsteraner Thiel wurde ebenfalls leicht verletzt und war mit Krusenberg in Kontakt) und die Opfer (der letzte tote Kommissar war ein wahrer Schwerenöter: «Alle Frauen kennen Herrn Möller» und: «Er war ein Arschloch»). Vor allem jedoch erlaubte dieser «Tatort», der auch als eine Art düstere Gruppentherapie für Kommissare bezeichnet werden konnte, einen tiefen Blick in die Abgründe so mancher Ermittler-Psyche. Und am Ende? Ja, die von den Scholz-Brothers ausgearbeitete Dynamik zwischen den Charakteren ging auf – auch wenn zuvor eine beliebte Kommissarin ihr Leben lassen musste. Das Zusammenspiel führte letztlich dazu, dass der junge Polizist aus Paderborn als Mörder enttarnt wurde.

Wer beeindruckte am meisten?

So ziemlich jeder lieferte unglaublich gut ab. Aber ein weiteres Mal ragte Ben Becker heraus, der seinem Rettenbach eine durchgeknallte Choleriker-Depression verpasste («Was für eine Fick-Veranstaltung ist das hier?»). Schade allerdings, dass seine Figur so gar nichts mit dem ebenfalls abgerockten Dorfpolizisten Stefan Tries zu tun hatte, mit dem der Schauspieler schon im Ludwigshafener «Tatort: Die Pfalz von oben» beeindruckte. Gebt dem Mann endlich einen eigenen «Tatort»! Wo sonst könnte er so schön Anfälle spielen und Sätze sagen wie: «Mir haben die Chinesen damals den Schwanz abgebunden, ich hab' 'ne Blasenschwäche»?

Fantastisch auch die aufbrausende Dortmunderin Bönisch, der Anna Schudt eine ziemlich kurze Zündschnur verlieh («Es war ein Arschloch, es hat einen Richtigen getroffen»), sowie Charly Hübner als messerscharfer Beobachter und Ego-Zügler («Wollt ihr den Typen kriegen oder nicht?»). Dank der fantastischen Improvisationsfähigkeiten seiner Darsteller erschuf der «Tatort: Das Team» ein intensives Psychodrama, in dessen Verlauf so manch überraschender Schockmoment alles über den Haufen warf. Wer hätte beispielsweise mit der Beichte des späteren Opfers Krusenstern gerechnet, ein Kind von einem der Toten zu haben?

Und wer hätte nicht auf Mitschowski als Täter getippt, zu dessen Charakter sein Darsteller Nicholas Ofczarek sagte: «Ich dachte mir, ich finde es ganz interessant, wenn das so ein Bulle ist, der Menschen scannt, Menschen beobachtet, sich erst ein Bild macht. Der Nebeneffekt könnte natürlich sein, dass man sich denkt: Wieso bringt der sich nicht so ein? Hat der was zu verbergen?»

War das wirklich improvisiert?

Ja, war es. Mehr noch: Der «Tatort: Das Team» wurde komplett ohne Drehbuch umgesetzt. Das ist eine Spezialität von Regisseur Jan Georg Schütte, der sein Improvisationskonzept bereits in Komödien wie «Klassentreffen» und «Altersglühen – Speeddating für Senioren» umsetzte. Nun drehte der Oldenburger erstmals einen «Tatort»: Vorgegeben war nur ein Rahmen und ein Realisierungskonzept. Die Schauspieler erarbeiteten die Geschichte gemeinsam, improvisierten ihre Figuren, Szenen und Dialoge – und zwar im Team. Ein Experiment, das beeindruckend aufging.

Schütte selbst sagt zu seinem «Tatort»: «Keiner von uns weiss so richtig, was passiert – ich auch nicht. Ich bin ja eigentlich einer, der gerne einfach ein Spielbrett baut und auf dem Spielbrett dürfen die Schauspieler dann tanzen. Doch jetzt war es so: Nee, die dürfen nicht irgendwie tanzen, das muss in eine bestimmte Richtung gehen – und es ist ja eine ernste Geschichte, diesmal keine Komödie. Es ist halt ein Trip, diese Art zu drehen, und wenn sie den erwischen, dann ist es – glaube ich – einzigartig.» Kann man so sagen. Funfact: Schütte selbst spielte den SEK-Leiter am Ende des Films.

Und war das am Anfang nicht sogar der echte ...?

Absolut. Der echte nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet spielte in einem Gastauftritt sich selbst – und schwor die Gruppe auf die gemeinsame Mördersuche ein. «Das war ein aufregender Drehtag, auch mit Nervosität und mit viel Respekt vor den Profis am Set», erzählte der CDU-Mann der «Bild am Sonntag» über den Dreh. «Und das Gefühl zu wissen: Wenn man die kurze Szene vergeigt, müssen alle wieder von vorn anfangen.»

Der einzige Promi in der «Tatort»-Geschichte war er nicht: Gastauftritte, die mit Film in der Regel wenig zu tun haben, gab es schon einige. Sportfunktionär Theo Zwanziger, Joachim Löw und Oliver Bierhoff traten etwa im Jahr 2011 im «Tatort: Im Abseits» auf. Kai Diekmann, ehemals «Bild»-Chef, spielte im «Tatort: Spielverderber» 2015 eine Leiche.

Der «Tatort: Das Team» lief am Mittwoch, 1. Januar, um 20:05 Uhr auf SRF 1. Mit Swisscom TV Replay können Sie die Sendung bis zu sieben Tage nach der Ausstrahlung anschauen.

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