Familiendrama oder Krimi? Wenn Papa nicht der Vater ist: So war der Kölner Kuckuckskinder-«Tatort»

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6.5.2018

Die Mutter und der Grossvater - das waren am Ende so ziemlich die einzigen Unschuldigen. Der Kölner «Tatort: Familien» mutete seinen Zuschauer in Sachen Auflösung einiges zu.

Eine Art Verschwörung mit gleich drei Beteiligten lag dem 73. Fall der Kölner Kommissare Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) zugrunde. Eine etwas gewagte Drehbuchkonstruktion war das sicher. So richtig mitfühlen konnte man nicht mit den Hauptfiguren im «Tatort: Familien», die mehrheitlich etwas kühl und fremd wirkten. Ausnahme: Wie Jessica Dahlmann (Marie Meinzenbach) leise und laut in ihren wenigen Szenen um ihren überfahrenen Verlobten trauerte, war grosses Kino.

Worum ging es?

Die junge Charlotte Ritter kam bei einem Unfall auf einem Spielplatz ums Leben. Doch der Mann ihrer Mutter, ihr Freund und ihr Bruder inszenierten daraus einen Entführungsfall aus unterschiedlichen Motiven heraus, bei dem Charlottes vermögender Grossvater um eine halbe Million Euro erleichtert werden sollte. Der Plan enthüllt sich jedoch erst ganz am Ende des Krimis. Bis dahin taucht die Polizei, die eher zufällig von der Entführung erfährt, tief ein in die Geheimnisse von zwei Familien, mit denen es das Schicksal in der Vergangenheit nicht gut meinte.

Wurden die Familien glaubhaft dargestellt?

Es sind, und das spürt man auch, ziemlich normale Leute, die in diesem «Tatort» in den Mittelpunkt rücken. Keine Exzentriker, keine Lebenskünstler. Tatsächlich rutschen sie dann alle mehr oder minder zufällig hinein in ihre Straftaten. Oder, wie es Regisseurin Christine Hartmann ausdrückt: «Es handelt sich nicht um einen professionellen Mörder, sondern um rechtschaffene Menschen, die sich nie und nimmer vorgestellt hätten, in eine solche Situation zu geraten.» Alle Darsteller spielen das durchaus überzeugend, auch wenn einige Dialoge und Monologe eher referierenden Charakter hatten.

Kuckuckskinder - gibt es sie wirklich?

Dass das Familiendrama seinen Lauf nimmt, liegt im WDR-«Tatort» auch an einem lange gehegten Geheimnis. Ines (Nicole Marischka) hat ihrem Mann Ludwig (Harald Schrott) fast zwei Jahrzehnte lang nicht verraten, dass er nicht der leibliche Vater von Charlotte ist. Offizielle Erhebungen fallen verständlicherweise schwer, aber lange Zeit ging die Wissenschaft davon aus, dass die Zahl der «Kuckuckskinder» bei zehn Prozent liegen könnte. Längst jedoch ist diese Berechnung als Mär bei den Akten. Ein, höchstens zwei Prozent sollen es aktuellen Untersuchungen zufolge trotzdem sein. Im Netz gibt es Adressen von Beratungsstellen für Betroffene.

Wie spannend war der «Tatort»?

Das Problem mit dem Titel ist offensichtlich. Nachdem der Film schlicht mit «Familien» überschrieben wurde, war selbst unerfahrenen Krimizuschauern sofort klar, dass hier kein Aussenstehender der Täter sein würde. Blieb nur die Frage, was an diesem Abend wirklich geschah und das Bangen um das Leben der Entführten, was sich nach zwei Dritteln des Films dann erledigt hatte. Nein, sonderlich spannend war die Story sicher nicht, zumal auch der Showdown vergleichsweise unspektakulär ausfiel.

Karussell-Tod - Gab es einen solchen Vorfall wirklich?

Wahre Geschichte: Im Jahr 2012 kam ein damals 20-Jähriger in Bayern genau so ums Leben. Freunde hielten den Reifen eines laufenden Motorrads an ein Drehkarussell. Der darin Sitzende wurde herausgeschleudert und starb. Bei Youtube wimmelt es von solchen Videos, die, wenn nicht mit dem Tod, dann meist mit einem schweren Sturz enden. Gut, dass mal ein populärer «Tatort» diesen Unsinn, wenngleich nur kurz, zum Thema macht. Schade nur, dass die Schnittmenge jener, die solche Mutproben cool finden, und jenen, die «Tatort» schauen, vermutlich eher gering ist.

Liebt Freddy seine Frau noch? Und wer ist sie eigentlich?

Den 30. Hochzeitstag hat er so eben mal vergessen. Versuche, mit Ring oder Blumen das Versäumte wiedergutzumachen, scheitern. Um die Ehe des Kriminalers Alfred Schenk scheint es nicht zum Besten zu stehen. Und das ja nun seit Jahren. Zumal der Vater zweier Töchter immer seltener freundliche Worte über seine ihm Angetraute findet. Fest steht - und so ist es auch diesmal: Freddy arbeitet lieber, als zu Hause bei seiner Frau auf dem Sofa zu sitzen. Und die am Ende zum Wogenglätten notwendige Ayurveda-Woche sieht er auch eher wie einen Gefängnis-Aufenthalt. Übrigens: Tatsächlich tauchte diese ominöse Gemahlin in 21 Jahren Köln-«Tatort» nicht ein einziges Mal auf. Ein beliebtes Rätsel-Element, das man auch aus anderen Serien kennt. Vorbild war wohl Mrs. Columbo, die häufig erwähnt, aber nie gezeigt wurde. Andere Beispiele: Robin Masters aus «Magnum», Charlie aus «Drei Engel für Charlie» oder zuletzt Melvina Wolowitz aus «Big Bang Theory».

Wie gut war der «Tatort»?

Über weite Strecken war dieser WDR-Krimi ein ziemlich konservativ erzählter Entführungsfall, wie es schon so einige im TV zu sehen gab. Zwischen dem interessanten Anfang und der mutigen Auflösung kam er leider nicht ohne inhaltliche Längen aus. Jedoch: Es war mal wieder ein Sonntagabend-Krimi für all jene, die sich beim «Tatort» nach der eher klassischen Krimi-Unterhaltung sehnen und mit den künstlerischen und erzählerischen Experimenten im Rahmen der populären Reihe nur wenig anzufangen wissen.

Wir vergeben eine Vier.

Der neuste «Tatort: Familien» lief am Sonntag, 6. Mai, um 20.05 Uhr auf SRF 1. Mit Swisscom TV Replay können Sie die Sendung bis zu sieben Tage nach der Ausstrahlung anschauen.

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