12 Minuten mit einem Weltstar Urs Fischer: «Ich bin heute viel versöhnlicher gegenüber der Schweiz» 

Bruno Bötschi

14.6.2025

Im Totehüsli in Basel zeigt Künstler Urs Fischer bis Ende Juli sein Selbstporträt «Untitled» aus Kerzenwachs, das ihn an einem Tisch sitzend darstellt. Das Skulptur wird während der Ausstellung langsam vor sich hin schmelzen.
Im Totehüsli in Basel zeigt Künstler Urs Fischer bis Ende Juli sein Selbstporträt «Untitled» aus Kerzenwachs, das ihn an einem Tisch sitzend darstellt. Das Skulptur wird während der Ausstellung langsam vor sich hin schmelzen.
Bild: Mark Niedermann

Mit seinen oft riesigen Objekten begeistert Urs Fischer seit 30 Jahren die internationale Kunstwelt. In den nächsten Wochen bespielt der Schweizer Künstler, der seit vielen Jahren in den USA lebt, die Innenstadt von Basel.

Bruno Bötschi

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Im Jahr 2007 schlug er ein grosses Loch in den Boden einer New Yorker Galerie: Der Zürcher Urs Fischer zählt zu den weltweit erfolgreichsten Gegenwartskünstlern.
  • Für ein gemeinsames Kunstprojekt vom Warenhaus Globus und der Fondation Beyeler bespielt der 52-Jährige in diesem Sommer mit seinen Kunstwerken mehrere Orte in der Basler Innenstadt.
  • «Es gibt nicht viele Orte auf der Welt, die so sind wie die Schweiz. Was hierzulande sogenannt normal ist, ist es an vielen anderen Orten eben überhaupt nicht», sagt Fischer, der schon lange in den USA lebt, im Interview mit blue News.

Er gehört den ganz Grossen: Urs Fischer ist einer der bedeutendsten Schweizer Künstler der Gegenwart. Der 52-jährige Zürcher und Vater von zwei Töchtern lebt seit einem Vierteljahrhundert in den USA, zuerst in New York und nun in Los Angeles.

Für das Kunstprojekt «Globus Public Art Project» kehrt Fischer in die Schweiz zurück und bespielt seit dieser Woche unter dem Titel «Skinny Sunrise» mit seiner Kunst die Fassade des im Umbau befindenden Warenhaus Globus am Basler Marktplatz und weitere Orte in der Innenstadt.

Ich setzte mich mit Urs Fischer während der Vernissage auf eine Mauer, um ihn innerhalb von zwölf Minuten mit möglichst vielen Fragen zu löchern.

Urs Fischer, welches war dein erstes Kunstwerk?

Du meinst, wann ich das erste Mal das Gefühl hatte, ich hätte ein Kunstwerk erschaffen (lacht)?

Genau.

Mit 16 malte ich ein Bild, bei dem ich fand, dass es cool ist. Interessanterweise fand ich kürzlich ein Foto davon ...

… und?

Ich musste feststellen, dass das abstrakte Bild, ich malte es auf gelbes Plexiglas, nicht cool aussieht.

Hast du je Tränen gelacht wegen eines Kunstwerkes?

Noch nie.

Es heisst, du seist ein Künstler, der viel Sinn für Humor habe.

Humor haben heisst nicht, dass man Tränen lachen muss. Humor kann auch trockener daherkommen (lacht).

Wenn du auf deine Karriere als Künstler zurückblickst: Wie zufrieden bist du?

Ich weiss nicht, was passiert wäre, wenn ich nicht Künstler geworden wäre. Was ich aber sagen kann, ist: Als Mensch bin ich heute viel zufriedener als noch in jungen Jahren.

Die Kunstwerke und Installationen von Urs Fischer, die bis Ende Juli in Basel zu sehen sind, fallen auf. Auf dem Marktplatz steht eine Skelettskulptur aus Bronze. Sie trägt den Titel «Invisible Mother».

Das Skelett liegt auf einem Stuhl, der in einem Brunnen steht, derweil Wasser aus einem Schlauch spritzt. «Ein geschlossener Kreislauf, der endlos weiterfliesst und in dem sich die Absurdität und die Beständigkeit des Lebens gleichermassen widerspiegeln», schreibt die Fondation Beyeler in der Medienmitteilung.

Im Totehüsli auf dem Münsterhügel, dem früheren Beinhaus der Basler Martinskirche, ist eine lebensgrosses Selbstporträt von Urs Fischer aus Kerzenwachs mit dem Titel «Untitled» ausgestellt. Die Skulptur schmilzt während der Dauer der Ausstellung langsam vor sich hin.

Derweil hängt an der Globus-Fassade das grossflächige Wandbild «Eternity». Darauf wird ein Bild aus einem Film noir der 1940er-Jahre von einem riesigen Streifen Speck überlagert.

Was fühltest du, als du vorhin beim Umgang mit den Medienleuten vor dem Globus Warenhaus in Basel gestanden bist und dein grossformatiges Wandbild «Eternity» angeschaut hast?

Zu allererst war ich froh darüber, dass das Wandbild gut aussieht. Während der Produktion wusste ich nicht, wie das Ganze im Sonnenlicht wirken wird und ob die schwarzen Flächen allenfalls zu stark reflektieren werden.

Nochmals: Was macht es mit dir, wenn du eines deiner Kunstwerke im öffentlichen Raum siehst?

Wie soll ich das erklären? Es fühlt sich abstrakt an. Wenn du dein Velo anschaust, denkst du auch nicht ständig: Oh, das ist mein Velo.

«Eternity» zeigt ein Standbild aus einem Film noir der 1940er Jahre, dass von einem grossen Speckstreifen überlagert wird. Stimmt es, dass das Stück Fleisch etwas mit deinen Töchtern zu tun hat?

Ich koche sicher dreimal pro Woche Speck mit Eiern für meine Töchter.

Und wie kam die Speckscheibe auf das Bild?

Ich fotografiere ab und an planlos irgendwelche Dinge und so habe ich irgendwann auch einmal ein Bild von einem Speckstreifen gemacht. Monate später ist daraus das Stillleben «Eternity» entstanden.

In diesem Sommer hängt an der Fassade des im Umbau befindlichen Globus-Warenhauses in Basel das riesige Wandbild «Eternity» von Künstler Urs Fischer.
In diesem Sommer hängt an der Fassade des im Umbau befindlichen Globus-Warenhauses in Basel das riesige Wandbild «Eternity» von Künstler Urs Fischer.
Bild: blue News

Wie würdest du einem Menschen, der wenig Ahnung von Kunst hat, dein Bild «Eternity» erklären?

Das Coole an Kunst ist doch, dass sie entweder funktioniert oder nicht. Kunst ist generell etwas zum Anschauen.

Demnach ist es nicht wichtig, ob ein Mensch, der eines deiner Kunstwerke anschaut, dass gleiche denkt, wie du während des Entstehungsprozesses?

Nein, das ist nicht wichtig. Ich schaue auch oft Dinge an und weiss nicht, was die jetzt sollen oder welche Bedeutung sie haben.

Urs Fischer ist ein Künstler, der im Laufe seiner Karriere schon so manchen Rekord gebrochen hat: 2007 liess er ein zwölf mal neun Meter grosses, zweieinhalb Meter tiefes begehbares Erdloch namens «You» in den Boden einer New Yorker Galerie schlagen.

Vier Jahre später katapultierte ihn ein Sieben-Meter-Teddybär in den Olymp der zeitgenössischen Kunst:

Die Skulptur erzielte bei Christie’s in New York 6,8 Millionen US-Dollar. Auf einen Schlag galt Fischer als einer der erfolgreichsten Künstler seiner Generation.

Vor sechs Jahren sagtest du im «Magazin» vom «Tages-Anzeiger»: «Mich hat das Leben in der Schweiz als 16-Jähriger nicht interessiert. Ich wollte schnell weg da. Deutschschweizer sind Extremisten der Normalität und glauben an die Realität von Richtig oder Falsch. Ihr höchstes Credo ist, nicht aufzufallen.»

Irgendetwas ist an dieser Aussage nach wie vor dran – auch wenn ich heute viel versöhnlicher bin mit meinen Gefühlen gegenüber dem Land, in dem ich geboren und aufgewachsen bin. Aber die Schweiz ist schon ein sehr spezielles Land. Das spürst du besonders dann, wenn du regelmässig auf Reisen bist.

Warum?

Es gibt nicht viele Orte auf der Welt, die so sind wie die Schweiz. Was hierzulande sogenannt normal ist, ist es an vielen anderen Orten eben überhaupt nicht.

Hättest du in den 1980er Jahren in einer Schweizer Stadt auf einem öffentlichen Platz eine Skelett-Skulptur aufgestellt, so wie jetzt in Basel, hätte das möglicherweise für einen veritablen Skandal gesorgt.

Ja, ja, so einen Skandal hätte man noch so gerne gehabt (lacht).

Du lebst und arbeitest in Los Angeles. Was macht für dich die Faszination der kalifornischen Stadt aus?

Dazu muss ich vorausschicken: Ich lebte und arbeitete viele Jahre in New York, zog dann aber wegen meiner Kinder nach Los Angeles. Ich mag Städte, die nicht ganz fertig sind.

Wie wichtig ist dein Wohnort für deine Kunst?

Meist realisiere ich erst, wenn ich einen Ort verlassen habe, was mit mir oder meiner Kunst dort passiert ist.

Im vergangenen Januar zerstörten Waldbrände ganze Quartiere in Los Angeles – und nun wird seit Tagen gegen die Migrationspolitik der US-Regierung unter Donald Trump demonstriert.

Los Angeles ergibt anders als andere Grossstädte kein Bild. Wenn du zurückschaust, sind die Landmarks der Stadt sehr oft Katastrophen – Erdbeben, Brände und so weiter. Und auch ganz wichtig sind die Natur und die vielen Strände.

Und die aktuellen Demonstrationen …

… sind kaum grösser als die Demos am 1. Mai in Zürich.

Du hast also keine Angst, dass Schlimmeres passieren könnte?

Das weiss ich nicht.

Seit der Wiederwahl von Donald Trump als US-Präsident ist immer wieder von Prominenten zu hören, dass sie das Land verlassen wollen.

Ich lese zwar viel über das politische Geschehen, aber mir fehlt oft das Verständnis für die Politik, vor allem für die Weltpolitik. Was ich aber sagen kann: Es sind immer Menschen, die an einem Ort leben.

Ich bin sehr interessiert an der Lokalpolitik. Sprich: Was passiert am Ort, wo ich lebe? Das hat einen direkten Einfluss auf mich. Und deshalb sehe ich für mich persönlich auch am meisten Sinn, mich dort aktiv zu beteiligen.

Kennst du Heimweh?

Heimweh nach was?

Vielleicht nach der sogenannten Normalität der Schweiz.

Ich komme immer gerne in die Schweiz zurück. Fakt ist aber: Meine Töchter sind US-Amerikanerinnen und leben in Los Angeles. Die USA sind heute mein Daheim.

«Meist realisiere ich erst, wenn ich einen Ort verlassen habe, was mit mir oder meiner Kunst dort passiert ist»: Urs Fischer.
«Meist realisiere ich erst, wenn ich einen Ort verlassen habe, was mit mir oder meiner Kunst dort passiert ist»: Urs Fischer.
Bild: zVg

Kannst du dir vorstellen, irgendwann wieder in der Schweiz zu leben?

Im Moment bin ich total glücklich, wo ich bin. Die Schweiz ist ein schönes Land und auch die Stadt Basel, die ich zwar nicht besonders gut kenne, mag ich. Wo lebst du denn?

Ich lebe seit 25 Jahren in Zürich, komme ursprünglich aber aus dem Thurgau. Welche Kunst würdest du kaufen, wenn du ein unbegrenztes Budget hättest?

Ein unbegrenztes Budget? Ich weiss nicht. Aber das ist eine langweilige Antwort.

Zweiter Versuch.

Die Kunstwerke, die ich mit unbegrenztem Budget kaufen würde, sollten nicht mir gehören, sondern der Öffentlichkeit. Ich finde die Grosse Sphinx von Gizeh in Ägypten oder auch Stonehenge in England total geil.

Diese Kunstwerke gefallen mir auch deshalb so gut, weil nicht klar ist, wie sie entstanden sind. Aber besitzen muss solche Sachen eigentlich niemand, sie sollen vielmehr für alle Menschen da sein. Besitztum ist sowieso ein Quatsch.

Das ist einfach gesagt, wenn man viel Geld hat.

Das stimmt natürlich – aber viel Geld haben, heisst auch viel Verantwortung haben.

Die Kunst von Urs Fischer kannst du an diesen Tagen anschauen: Totehüsli, Martinskirchplatz, Basel: Vom 13. bis 22. Juni (während der Kunstmesse Art) täglich von 10 bis 20 Uhr. Vom 23. Juni bis 27. Juli, jeweils Freitag bis Sonntag von 10 bis 19 Uhr. Infos: www.globus.ch/2025-urs-fischer oder www.fondationbeyeler.ch


Mehr Videos aus dem Ressort

Auswandern nach Berlin: So sieht der Alltag von Journalistin Bettina Bestgen aus

Auswandern nach Berlin: So sieht der Alltag von Journalistin Bettina Bestgen aus

Vor acht Jahren wanderte die Aargauer Journalistin Bettina Bestgen nach Berlin aus. blue News begleitete sie einen Tag lang. Ein Gespräch über tiefe Löhne, hohe Steuern und den schönsten Ort in der deutschen Hauptstadt.

10.06.2025