Diskrepanz in der FilmindustrieWarum der Penis im Film die Gemüter immer noch erregt
Jenny Keller
23.3.2025
Der nackte Til Schweiger in «Der bewegte Mann». Deutschland, 1994
Bild: imago/United Archives
Männliche Nacktheit bleibt im Film und Fernsehen eine Ausnahme – und wenn sie vorkommt, sorgt sie für Aufsehen. Während weibliche Körper seit Jahrzehnten freizügig gezeigt werden, gelten für Männer andere Regeln.
Jenny Keller
23.03.2025, 20:43
24.03.2025, 08:52
Jenny Keller
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Historisch wurde der männliche Körper mit Macht und Kontrolle verknüpft – seine Offenlegung gilt als potenzielle Schwächung.
Ein kurzer Penisblitzer kann für mehr Aufmerksamkeit sorgen als ganze Staffeln weiblicher Freizügigkeit.
Frauen sind fast dreimal so häufig nackt oder halbnackt im Film zu sehen wie Männer. Teenagerinnen werden doppelt so oft entblösst wie gleichaltrige Jungen.
In der Welt des Bewegtbilds ist es kaum überraschend, dass Nacktheit nicht geschlechtergerecht dargestellt wird. Ein Blick auf Film und Fernsehen zeigt eine klare Schieflage:
Während weibliche Nacktheit seit Jahrzehnten als nahezu selbstverständlich inszeniert wird, bleibt männliche Nacktheit die Ausnahme – und sorgt, wenn sie vorkommt, prompt für Irritation oder Aufmerksamkeit.
Diese Diskrepanz macht nicht nur tief verankerte gesellschaftliche Tabus sichtbar, sondern zeigt auch eine geschlechtsspezifische Doppelmoral in der Medienlandschaft.
Drehbuchautor James Ivory («Call Me by Your Name») kritisiert, dass männliche Schauspieler oft vertraglich vor Nacktszenen geschützt seien – während ihre Kolleginnen sich entblössen müssen.
Jason Isaacs' Penisblitzer
Auch die beliebte HBO-Serie «The White Lotus» hat das Thema männliche Nacktheit ins Rampenlicht gerückt. In einer Szene der aktuell laufenden dritten Staffel steht Jason Isaacs’ Figur Timothy Ratliff plötzlich nackt da.
Während eines Frühstücks mit seiner Familie öffnet sich sein Morgenmantel, und seine Genitalien sind kurz sichtbar. Seine erwachsenen Kinder rufen entsetzt: «Oh my god, Dad! Your balls!» Eine Szene, die auf Social Media für viel Aufmerksamkeit sorgte.
Tatsächlich ist in jeder Auftaktfolge der drei Staffeln von «The White Lotus» ein Penis zu sehen. Was bei weiblicher Nacktheit zum Standardrepertoire gehört, ist bei männlicher Darstellung noch immer aussergewöhnlich – das nutzt Regisseur Mike White bewusst aus.
Darstellerinnen müssen mehr Haut zeigen
Wie Filmwissenschaftler Santiago Fouz-Hernández gegenüber BBC erklärt, sei die Reaktion des Publikums Beleg genug dafür, «dass männliche Nacktheit nach wie vor nicht als normal gilt».
Isaacs selbst wies auf die Doppelmoral hin: «Er [Regisseur Mike White] versucht, das Ungleichgewicht auszugleichen – all die nackten Frauen, die ich beim Aufwachsen in jeder Fernsehserie und jedem Film gesehen habe», sagte er zu Decider.
Statistiken belegen das Ungleichgewicht. Eine amerikanische Studie von 2018, die über 1000 populäre Filme untersuchte, ergab, dass in etwa 25 Prozent der Fälle weibliche Charaktere teilweise nackt zu sehen sind, während männliche Nacktheit nur in 9 Prozent der Filme vorkommt. Zu «partieller Nacktheit» gehören allerdings auch Darstellungen eines sichtbaren Dekolletés.
Muster in der Darstellung junger Frauen
Der Unterschied zeigt sich also bereits auf dieser Ebene: Ein nackter männlicher Oberkörper wird gesellschaftlich kaum tabuisiert oder sexualisiert – anders als der weibliche. Was bei Männern als neutral gilt, etwa sichtbare Brustwarzen, wird bei Frauen oft erotisiert.
Berichte des Geena Davis Institut und der St. Mary’s University bestätigen diesen Trend: Schauspielerinnen haben eine viermal höhere Wahrscheinlichkeit, in freizügiger Kleidung vor der Kamera zu stehen, als ihre männlichen Kollegen. Teenagerinnen werden doppelt so häufig nackt gezeigt wie Teenager-Jungen, was auf ein beunruhigendes Muster in der Darstellung junger weiblicher Charaktere hinweist.
Finanzielle Anreize behindern männliche Nacktheit
Die Zurückhaltung bei männlicher Nacktheit hat tief verwurzelte kulturelle Gründe. Der männliche Körper galt historisch als Symbol von Macht und Kontrolle – seine Zurschaustellung wurde oft als Schwäche oder Entblössung interpretiert.
Der Filmwissenschaftler Peter Lehman beschreibt das als «phallische Mystik»: Der Penis sei weniger Körperteil als Symbol männlicher Dominanz – und bleibe deshalb meist unsichtbar, um dieses Machtbild nicht zu gefährden.
Ein weiterer Punkt sind zensierende Institutionen wie die Motion Picture Association of America. Während weibliche Nacktheit oft mit einer R-Kennzeichnung (ab 17 Jahren) davonkommt, kann männliche Nacktheit schnell zu einer NC-17-Freigabe führen – was die Vermarktung und den Kinoerfolg stark erschwert. Solche Vorgaben setzen finanzielle Anreize, männliche Nacktheit zu vermeiden.
Ein Wandel zeichnet sich ab
Trotz dieser Hindernisse verändert sich die Diskussion um Körperbilder. Während sich der Druck auf Frauen, einem bestimmten Schönheitsideal zu entsprechen, schon lange hält, rückt zunehmend auch der männliche Körper in den Fokus.
Beim Nacktshooting überzeugt: Jermaine Kothé, GNTM-Gewinner 2024.
ProSieben/Sven Doornkaat
Zum Beispiel sind seit der 19. Staffel von «Germany's Next Topmodel» im vergangenen Jahr auch männliche Models Teil des Wettbewerbs. Wie ihre Kolleginnen zuvor müssen sie sich den berüchtigten Nacktshootings stellen.
In diesem Jahr posierten die Männer in einer mit Schaum gefüllten Badewanne – und erneut entfachte das Diskussionen über Geschlechterrollen und Gleichbehandlung. Ob das männliche Geschlechtsteil auch weiterhin eine Provokation der Film- und Fernsehwelt bleibt, wird sich zeigen.
Mehr Videos aus dem Ressort
«The Captain of her heart»: Ein Schweizer Welthit wird 40 Jahre alt
Mit dem Song «The Captain of her Heart» wurde die Zürcher Band Double 1985 weltberühmt. Die Ballade schaffte es bis auf Platz 16 der US-Charts. Ein Gespräch mit Sänger Kurt Maloo, der bis heute an seinem Welthit verdient.