Am Donnerstag dürfte Andres Ambühl mit seinem 306. Länderspiel zum alleinigen Schweizer Rekordhalter avancieren. Das findet sogar der stets bescheidende Bündner «sehr speziell».
Mit seinen 1,76 m ist der Mann mit der Nummer 10 auf dem Helm einer der Kleinsten auf dem Eis der Kunsteisbahn Oerlikon. Dennoch sticht er heraus. Auch wenn er mit Abstand der Älteste ist, flitzt keiner mit mehr Enthusiasmus den Pucks hinterher als Andres Ambühl – und das nicht in einem Ernstkampf, sondern im letzten Training auf Schweizer Boden vor der WM in Riga. Die Spielfreude gleicht der des kleinen Jungen, der als Siebenjähriger erstmals die Schlittschuhe schnürte.
Sein Beruf sei doch ganz «hübsch», pflegt der 39-jährige Bündner jeweils mit einem seiner Lieblingsadjektive zu sagen. Das gilt auch in der wenig glamourösen Atmosphäre in Oerlikon. Hauptsache, Ambühl hat Schlittschuhe an und Eis unter den Füssen. Am letzten Samstag absolvierte der Bauernsohn aus dem Sertig-Tal gegen Lettland sein 305. Länderspiel und zog mit Mathias Seger gleich. Wenn nichts dazwischenkommt, übertrifft er den langjährigen ZSC-Verteidiger am Donnerstag in Göteborg gegen Schweden.
Zwei weitere Jahre
Ambühl ist nicht bekannt für überschwängliche Emotionen. «Ich habe mir das noch nicht so überlegt», stellt er im Gespräch mit Keystone-SDA fest, fügt dann aber immerhin an: «Es ist schon sehr speziell. Vor allem, wenn man bedenkt, dass Seger bis jetzt am meisten hat.» Auch wenn er im September 40-jährig wird, scheint der Zahn der Tag überhaupt nicht am Davoser zu nagen. Eben erst hat er seinen Vertrag beim HCD um weitere zwei Jahre verlängert. Das macht (und erhält) nur einer, der scheinbar das Geheimnis der ewigen Jugend entdeckt hat.
Wird er denn nie müde? Ambühl lässt sich das für ihn so typische Lachen voller Schalk entlocken. «So wie alle anderen», behauptet er. «Aber ja, auf dem Eis läufts einfach. Ich fühle mich nicht wie vierzig.» Der fünffache Schweizer Meister (viermal mit Davos, einmal mit den ZSC Lions) macht sich aber auch keine Illusionen. «Es kann schnell gehen, und dann wird es anders. Im Moment geniesse ich es einfach noch.»
Der Abschied wird schwerer
Obwohl er mittlerweile Vater von zwei Töchtern (3 und 1 Jahre alt) ist, war ein Verzicht auf die WM kein Thema. «Es ist sicher so, dass dir das Gehen schwerer fällt und dir die Zeit länger vorkommt. Aber ich erhalte grosse Unterstützung von zuhause. Und in der heutigen Zeit haben wir das Glück, dass man sich über Facetime sehen kann.» Vor 30, 40 Jahren sei das Wegsein sicher schwieriger gewesen.
An der WM kann Ambühl eigene Rekorde weiter steigern. Es wird seine 18. sein, bereits die 17 bisherigen sind unerreicht – wie auch die bislang 123 WM-Partien. Sein Debüt gab er am 25. April 2004 in Prag und erzielte beim 6:0 gegen Frankreich gleich ein Tor. Verrückt: Damals war der heutige Nationaltrainer Patrick Fischer Ambühls Mitspieler. Seither hat er nur eine WM – 2018 wegen einer Verletzung – verpasst. Zudem war er in diesem Zeitraum bei allen fünf Olympischen Spielen dabei.
Den Lauf zur Silbermedaille 2018 verfolgte er nicht mit. Zu sehr hätte es geschmerzt, den Teamkollegen nur am TV zuschauen zu können. Fünf Jahre davor konnte er sich aber in Stockholm selber über Silber freuen. Die Rückkehr nach Schweden ist also speziell, gerade für einen, der das schwedische Hockey bewundert.
Hüten und heuen
Seine Langlebigkeit ohne grosse Verletzungen verdankt Ambühl neben seiner topseriösen Lebensart wohl nicht zuletzt dem natürlichen Training in seiner Kindheit. Als ältestes von vier Kindern und einziger Sohn war er schon früh auf dem elterlichen Berg-Bauernhof eingespannt. Er hütete auf der Alp Kühe und half beim Heuen. Neben der Bodenständigkeit erhielt Ambühl im Elternhaus auch die Begeisterung für den Sport vermittelt.
«Mein Vater hat gerne Hockey geschaut und ist viel an die Matches gegangen», erinnert er sich. «So bin ich auch dazugekommen. Seit ich weiss, was Hockey ist, ist es ein ziemlich wichtiger Teil meines Lebens.»
Ambühl überstand auch die Verjüngungskur nach den enttäuschenden Spielen in Peking. Zu unverzichtbar ist das oft «Duracell-Hase» genannte Energiebündel gerade auch in seiner Vorbildfunktion. Als selbstverständlich sieht er dies nicht. «Wenn du ein Aufgebot bekommst, gehst du», betont er. «Die Nati ist ein Privileg. Wenn du nicht mehr dabei bist, hat das seine Gründe, und du musst es akzeptieren.» Wie es ist, wenn man das akzeptieren muss, weiss Andres Ambühl allerdings bis heute nicht.