Wandern mit Markus Ritter Gänsehautmoment mit einem «hartgesottenen Mann» 

Anna Kappeler

29.7.2019

Ritter horcht dem Klang einzelner Schellen nach.
Ritter horcht dem Klang einzelner Schellen nach.
Fabienne Bühler

Eine der grössten Lobbys im Bundeshaus: die Bauern. Deren Chef: CVP-Nationalrat Markus Ritter. Warum die Landwirte so mächtig sind, wird auf einer Wanderung mit Ritter auf dem Toggenburger Klangweg augenfällig.

Es geschieht beiläufig und sagt doch viel aus über Markus Ritter, den Chef des Bauernverbandes. Das Gespräch ist angeregt, dann schaut Ritter auf seine Uhr, erschrickt sichtlich: «Ou», entfährt es ihm in breitem Rheintaler-Dialekt, «jetzt haben wir uns ‘verschnöret’.» Prompt beschleunigt er die Schritte, der Zeitrückstand müsse aufgeholt werden, man gerate sonst mit dem Programm in Verzug.

Der vom CVP-Nationalrat Ritter extra für die Wanderung auf dem Toggenburger Klangweg erstellte Zeitplan ist dermassen durchstrukturiert, dass zwischen manchen Programmpunkten nur gerade 15 Minuten liegen. Für Ritter eine Selbstverständlichkeit: «Man muss wissen, was man will. Und dann muss man vom Zielpunkt her retour denken.» Das gelte für die Politik wie fürs Leben.

Ritter, der Stratege. Ritter, der Planer.

Säntis und Churfirsten lassen sich nur erahnen

Kaum ist die knallrote Standseilbahn in Unterwasser im Toggenburg losgefahren, verschwindet sie im Nebel. Sei’s drum, der Bio-Bauer ist wetterfest. Oben auf der Alp Iltios nieselt es. Der Nebel liegt so dicht, dass sich die spektakuläre Aussicht zum Säntis auf der einen und den sieben Churfirsten auf der anderen Seite nur erahnen lässt. Dabei hat Ritter diese Route auch wegen der Sicht gewählt.

Kein Problem, die Gegend könne noch mehr, sagt Ritter beim ersten Programmpunkt: Kaffee und Gipfeli im Bergrestaurant Iltios. Unter der Jacke trägt er ein Hemd mit Edelweiss, sein Käppi ziert die Aufschrift «Braunvieh». Er nimmt einen Schluck Ovomaltine. «Die Region liebe ich aus drei Gründen: Neben der gewaltigen Natur mag ich die Landwirtschaft mit ihrer gewaltigen Alpwirtschaft, die noch sehr traditionell ist.» Einzigartig sei drittens die urchige Musik mit ihrem Naturjodel.

Auf der Toggenburger Alp Iltios liegt der Nebel so dicht, dass von der Aussicht nichts zu sehen ist.
Auf der Toggenburger Alp Iltios liegt der Nebel so dicht, dass von der Aussicht nichts zu sehen ist.
Bild: Fabienne Bühler

Wer beobachtet, wie Ritter auch bei einer Wanderung kaum etwas dem Zufall überlässt und die Vorteile wortgewandt herauszustreichen schafft, versteht, warum er als einer der erfolgreichsten Lobbyisten im Bundeshaus gilt. Geht es um die Anliegen der Bauern, kann der sonst so umgängliche CVPler, der in der einflussreichen Wirtschaftskommission sitzt, verbissen werden. Darauf angesprochen, meint Ritter schulterzuckend: «Wer halbe Sachen machen will, bleibt besser zuhause.»

Unter einem Chef, der sein Präsidium als Berufung und nicht als Job sieht, erstaunt es nicht, dass der Bauernverband zu den am besten organisierten Interessensvertretern überhaupt in diesem Land gehört. Die Bauern erhalten Jahr für Jahr Milliarden an Subventionen – 13,915 Milliarden Franken sollen es von 2022 bis 2025 gemäss Agrarpolitik (AP22+) sein.



Bauern-Lobby bis in den Bundesrat

Ihre Lobby reicht mit Landwirtschaftsminister Guy Parmelin (SVP), einem gelernten Landwirt und Winzer, bis in den Bundesrat hinein. Ritter: «Mit Parmelin arbeiten wir gut und auf Augenhöhe zusammen. Er weiss, wovon er spricht.» Vorgänger Johann Schneider-Ammann (FDP) dagegen verärgerte den Bauernverband mit einer skizzierten Marktöffnung massiv. Ritter ging auf Fundamentalopposition. Das Resultat: Der Nationalrat wies die Vorlage an den Bundesrat zurück.

Dabei hilft, dass die Bauern im Parlament überrepräsentiert sind. Laut Avenir Suisse engagieren sich 33 National- oder Ständeräte regelmässig für die Agrarwirtschaft. Das entspricht 13,4 Prozent aller Parlamentarier. Zum Vergleich: Der Anteil der Schweizer Landwirtschaft an der gesamten Bruttowertschöpfung der Schweizer Wirtschaft liegt weit unter einem Prozent (2017: 0,63 Prozent). Und 3,01 Prozent aller Stellen in der Schweiz sind in der Landwirtschaft.

Nach kurzem Marsch taucht die erste Station des Klangweges auf. Verschiedene Kuh- und Ziegenglocken sind einer Installation gleich an langen Ketten aufgehängt. Ritter steht sofort mitten im Glockengewimmel, horcht dem Klang nach. «Jeder Bauer überlegt sich genau, warum er welcher Kuh welche Glocke umhängt», erklärt er. Darüber hinaus müsse auch die Herde als Ganzes ein stimmiges Klangbild ergeben.

Wandern mit Ritter bedeutet eine Auffrischung in Biologie. Er kennt die Pflanzen am Wegrand, weist auf Frauenmänteli und eine Teufelskralle hin. Aber auch auf «aggressives Unkraut» wie den Klappertopf. Manchmal durchdringt ein Vogelruf den Nebel. «Alles wirkt so mystisch-verwunschen.» Ritter zeigt auf einen Baum. «Dahinter könnte sich gut ein Gnom oder Geist verstecken.» Er möge die urtümliche Sagenwelt und ihre Geschichten.

Kehrseite: (zu) harte Arbeit

Doch die Kehrseite des Bauerndaseins lässt sich nicht verschweigen. Auch wenn die aktuelle Imagekampagne des Bauernverbands mit den fröhlichen Landwirten ein anderes Bild zu vermitteln sucht, die Bauern schuften. Gerade Landwirte mit kleinen Höfen müssen diese vermehrt aufgeben, die Erträge sinken. Manche sehen als letzten Ausweg nur den Suizid. Das beschäftigt Ritter. «Auch in meiner Gemeinde Altstätten haben sich mir bekannte Bauern das Leben genommen.»

Mehrere Kantone haben Hotlines für Bauern in Not eingeführt, auch Ritters Heimatkanton St. Gallen. Ritter hat seine Handynummer zudem bewusst ins Netz gestellt. «Man kann mich Tag und Nacht anrufen. Denn: Was nützt ein Bauernpräsident, der nicht erreichbar ist?» Erst letzte Woche habe er drei Anrufe gekriegt: «Wenn ich helfen kann, mache ich das», sagt er, und man merkt, er meint es so.

Irgendwann macht der Weg eine Kurve. Wie aus dem Nichts tauchen erhöht auf einer Wiese acht Schwyzerörgeli-Spieler und ein Kontrabassist auf. Fröhliche, urchige Volksmusik erfüllt die Luft. Eine gelungene Überraschung – selbst für Ritter. Der Örgeli-Spieler Simon Lüthi wurde zwar in Ritters Auftrag vom Projektleiter des Klangwegs für diesen Auftritt angefragt, dass Lüthi aber gleich eine ganze Gruppe mitbringen würde, hat auch Ritter nicht gewusst.

Wie aus dem Nichts tauchen auf dem Weg acht Schwyzerörgeli-Spieler und ein Kontrabassist auf.
Wie aus dem Nichts tauchen auf dem Weg acht Schwyzerörgeli-Spieler und ein Kontrabassist auf.
Bild: Fabienne Bühler

Der Bio-Bauer bedankt sich bei allen Musikern, reicht ihnen die Hand, nimmt sich Zeit für einen Schwatz. «Ich halte es mit Alt-Bundesrat Ogi: ‘Man muss Menschen mögen’», sagt er später. Er ‘schnorre’ gern mit allen. «Alleine wird mir nach fünf Minuten langweilig.»

«Frau und Partei nie wechseln»

Ritter fühlt sich wohl in der CVP. «Mein Vater hat immer gesagt: Es gibt zwei Sachen, die du nie wechseln solltest: die Frau und die Partei.» Die CVP schaffe mit ihrer Scharnierfunktion mehrheitsfähige Lösungen. Das aktuelle SRG-Wahlbarometer sagt der Partei für den Herbst einen Verlust von einem Prozent voraus – somit käme die CVP, einst stolze Volkspartei, nur noch auf 10,6 Prozent Wähleranteil. Sie läuft sogar Gefahr, von den Grünen (10,1 Prozent) überholt zu werden. Ritter entgegnet, er habe Vertrauen in Parteipräsident Gerhard Pfister: «Unter ihm könnten wir auf die Gewinnerseite zurückfinden.»

Zweckoptimismus? Ritter lacht. «Nein, das glaube ich wirklich.»

Apropos Glaube: Kränkelt seine Partei vielleicht daran, dass in einer zunehmend säkularen Gesellschaft religiöse Werte ausgedient haben? Ritter verneint vehement: «Die christlichen Werte sind unsere Basis.» Sein Glaube gebe ihm Halt. «Als Bauer wirst du gottesfürchtig. Wenn es stark gewittert und hagelt oder die Tiere krank werden, komme ich mir klein und vor der Kraft der Natur ohnmächtig vor.»

«Für mich ist eine Ehe zwischen Mann und Frau»

Ritter ist mit seiner Jugendliebe verheiratet, zusammen haben sie drei Kinder. Wie steht er zur CVP-Initiative zur Abschaffung der Heiratsstrafe, die vom Bundesgericht für ungültig befunden wurde und nochmals ins Parlament kommt? Wegen der darin enthaltenen Definition der Ehe als Verbindung zwischen Mann und Frau würde diese die Homo-Ehe verhindern, was der CVP viel Kritik einbringt. «Auch für mich findet die Ehe zwischen Mann und Frau statt, sonst würde die Menschheit ja aussterben», sagt Ritter, «aber ich habe nichts gegen die Homo-Ehe, wenn dies für diese Menschen wichtig ist.» Einen Gegenvorschlag ohne die umstrittene Definition würde Ritter unterstützen.

Es folgt ein Gänsehaut-Moment. Vor nebelverhangenen Tannen stehen zwei Musiker mit Hackbrett und einem Geissbock-Horn. Was sie von sich geben, jauchzend und johlend, ist archaisch und wild, nie gehört und doch seltsam vertraut, «frei improvisierte Volksmusik» nennen es Marcello Wick und Elias Menzi später. Sie musizieren seit elf Jahren zusammen. Ritter ist sichtlich berührt, «ganz verreckt» sei das. Es ist der einzige Moment auf dieser Wanderung, an der Ritters distanziert-professionelle Art für Augenblicke aussetzt. Dann fängt er sich, sagt: «Ich bin ein hartgesottener Mann, aber das friert mich bis in die Fingerspitzen.»

Musizieren mit einem Geissbock-Horn und auf dem Hackbrett

Musizieren mit einem Geissbock-Horn und auf dem Hackbrett

24.07.2019

Das Horn übrigens stammt von Pirmin, einem Geissbock. Menzi hat es geschenkt bekommen, einige Monate vergraben, damit Insekten das Innere des Horns fressen und aushöhlen. «Danach habe ich es gewaschen und Löcher hineingebohrt. Der Rest ist Selbststudium.»

Auch Ritter will wiedergewählt werden, konventionellen Wahlkampf betreibt er keinen. Er sei ein «spiritus rector», lateinisch für führender Geist, der Kopf und die treibende Kraft für alle Anliegen der Bauern. 15'000 Mails schreibe er jährlich. «In Bern oben frisst der Schnellere den Langsamen, nicht der Grosse den Kleinen.» Er versuche allen Ansprüchen gerecht zu werden. Und klar, Bauernchef bleibe er – sofern die Gesundheit es zulasse – gern noch einige Jahre.

Ritter für Abgabe auf Flugtickets und Benzin

Doch vorher will er noch den Klimawandel bekämpfen. «Die Landwirtschaft ist davon mehr betroffen als die Durchschnittsbevölkerung.» Ernteausfall durch Dürren wie im letzten Sommer oder neue Arten von Schädlingen bei Pflanzen und Tieren seien herausfordernd. Beim CO2-Gesetz, das der Nationalrat in der Wintersession abgelehnt hatte, hat sich Ritter enthalten. «Ich war wirklich unzufrieden, weil das Gesetz verwässert wurde.» Gegen die Mehrheit seiner Partei hat er dann aber doch nicht 'Nein' gestimmt. Trotzdem, jetzt sei die Zeit zum Handeln: «Ich bin für eine Abgabe auf Flugtickets und auch aufs Benzin bei Autos.»

Ein Spinnenfaden spannt sich quer über den Weg. Ritter bleibt fasziniert stehen.
Ein Spinnenfaden spannt sich quer über den Weg. Ritter bleibt fasziniert stehen.
Bild: Fabienne Bühler

Ritter, der höchstens 20 Prozent selber auf dem Bauernhof arbeiten kann, würde die Mistgabel gern häufiger gegen den Laptop tauschen. Das sagt er beim Mittagessen im Bergrestaurant Sellamatt. Es ist einer dieser typischen Skiorte, fast meint man, beim Anstehen fürs Essen die Mischung aus Sonnencreme und Schweiss der Skisportler vom Winter her noch zu riechen. Ritter wird nachdenklich: «Bei schönem Wetter und anstehender Arbeit ist es hart, den Hof zu verlassen. Dann will ich bleiben und mitanpacken.» Doch spätestens in Bern sei er dann zu 100 Prozent in der Bundeshauptstadt.

Weil, genau, wenn Ritter eine Arbeit macht, dann richtig.

Der Bauernchef und CVP-Nationalrat Markus Ritter mit einem Rindvieh im Nebel.
Der Bauernchef und CVP-Nationalrat Markus Ritter mit einem Rindvieh im Nebel.
Bild: Fabienne Bühler

Sommerserie «Wandern mit...»: Wandern ist als Schweizer Volkssport eine passende Gelegenheit, eine Politikerin oder einen Politiker fernab des Bundeshauses zu treffen. «Bluewin» begleitet im Vorfeld der Gesamterneuerungswahlen vom 20. Oktober Albert Rösti (SVP), Corrado Pardini (SP), Petra Gössi (FDP), Markus Ritter (CVP) und Aline Trede (Grüne) auf einer von diesen jeweils ausgewählten Route. Die Porträtierten treten allesamt zur Wiederwahl an.

Bilder des Tages

So schön ist unser Land

Zurück zur Startseite