Auch an seinem siebten Turnier sind die Erwartungen an Xherdan Shaqiri gross. Zu gross? Hinter der Fitness des 32-Jährigen steht ein Fragezeichen.
«Hat er das wirklich gesagt? Genau so?» Kurz scheint Shaqiri an der Pressekonferenz sein für ihn so typisches Lächeln zu verlieren. Es geht um eine Aussage, die Murat Yakin nach dem Testspiel gegen Österreich gemacht hat. Auf die Einwechslung in der 66. Minute angesprochen, erklärte der Nationaltrainer, dass Shaqiri nicht die Möglichkeit habe, innerhalb von kurzer Zeit zweimal länger zu spielen. Sie müssten seine Kräfte dosieren.
Dann findet Shaqiri jedoch schnell seine verschmitzte Art wieder. Für ihn ist das Thema um seine Fitness «fast peinlich». Der Angreifer von Chicago Fire stellt klar: «Jeder Spieler, der ins Nationalteam kommt, muss bereit sein, 90 Minuten zu spielen.» Schliesslich gehe man ja auch sonst nicht zur Arbeit und höre nach sechs Stunden wieder auf. Er sehe keine Probleme bei sich. Ende der Debatte.
Ob es wirklich das Ende war, wird sich in den nächsten Tagen zeigen. Dass der Trainer und der Spieler etwas nicht ganz gleich sehen, ist weder neu noch dramatisch. Doch Shaqiris Rolle an dieser EM dürfte noch zu diskutieren geben.
Starke Endrunden
Da ist einerseits seine unbestrittene Klasse, die auch Yakin in den letzten Tagen immer wieder hervorhob. «Wir wissen, was wir an Shaq haben», sagte der Nationaltrainer. «Er kann mit seinem Fuss Spiele entscheiden.» Zuletzt hat er das im März beim Testspiel gegen Irland bewiesen, als die Schweizer einmal mehr lange kein Rezept in der Offensive fanden, um zum Tor zu kommen. Dann kam ein Freistoss und Shaqiri war zur Stelle.
Es ist eine Qualität, die Shaqiri gerade an Endrunden wiederholt unter Beweis gestellt hat. Bis jetzt bestritt er zwölf WM- und neun EM-Partien, wobei er neun Tore erzielte und vier Assists gab. Unvergessen bleibt sein Traumtor an der EM 2016 im Achtelfinal gegen Polen, an das derzeit gerne wieder erinnert wird. Es sei sein wahrscheinlich schönster Treffer gewesen, sagt Shaqiri. «Noch schöner wäre es gewesen, wenn wir dann auch weitergekommen wären.»
Auch Shaqiris Mitspieler schwärmen vom Ausnahmekönner. Silvan Widmer, der auf der rechten Seite hinter Shaqiri spielt, attestierte ihm «unglaubliche Qualitäten». Die These, wonach Shaqiri defensiv zu wenig leiste, unterstützte Widmer nicht. «Ich habe mich nie alleingelassen gefühlt. Es ist toll, mit Shaq zu spielen.» Etwas anderes zu sagen, wäre allerdings auch unklug gewesen.
Enttäuschende USA-Zeit
Da ist andererseits aber auch Shaqiris Lässigkeit, die hin und wieder in eine Fahrlässigkeit abdriftet. Das Spiel nach hinten ist nicht die Stärke des kreativen «Strassenfussballers». Dies ist jedoch keine neue Erkenntnis. Shaqiri war schon immer einer für besondere Momente, nicht für eine Abwehrschlacht. Es kam daher auch vor, dass der Basler in manchen Partien kaum in Erscheinung trat.
Dass derzeit viele seine Fitness hinterfragen, liegt vor allem daran, dass Shaqiri im Februar 2022 in die amerikanische Major League Soccer wechselte. Es ist eine Liga, in die zuletzt viele Fussballer wechselten, die dort ihre Karrieren ausklingen liessen. Möglich, dass das Niveau teilweise unterschätzt wird, aber hochklassigen Fussball gibt es dort selten zu sehen. Das musste auch Shaqiri erkennen, der mit Chicago auch in der dritten Saison die Playoffs verpassen dürfte.
Der Spitzenverdiener der Mannschaft macht die Personalpolitik des Klubs dafür verantwortlich. Fakt ist aber auch, dass Shaqiri in den USA längst nicht mehr unbestritten ist. Seine Ausbeute ging stetig zurück: von 13 Skorerpunkten im ersten Jahr (29 Spiele) zu deren neun im zweiten (28). In der aktuellen Saison steht Shaqiri nach zwölf Einsätzen bei zwei Toren – beide per Penalty – und einem Assist. Die Ausnahmen des Ausnahmekönners werden seltener.
Wenig verwunderlich räumt Shaqiri deshalb ein, dass mit seinem auslaufenden Vertrag «die Zeichen auf Abschied stehen». Er strebt im Winter (die Saison dauert bis Dezember) eine Rückkehr nach Europa an.
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Immer wieder betont Shaqiri, wie speziell es immer noch sei, an solchen Turnieren aufzuspielen. Auch nach 123 Partien mit dem Nationalteam, dem zweithöchsten Wert nach Rekordspieler Granit Xhaka (125), spüre er eine «kleine Nervosität», wenn er das Trikot überziehe. Shaqiri will, das steht ausser Frage. Aber kann Shaqiri auch?
Weil Steven Zuber, der mit seinen Leistungen auf gutem Weg war, sich für einen Platz in der Startelf aufzudrängen, seit dem letzten Testspiel angeschlagen ist, darf Shaqiri wohl. Es scheint naheliegend, dass die Schweiz gegen Ungarn in der Offensive so startet wie in der zweiten Hälfte gegen Estland: Shaqiri rechts, Zeki Amdouni in der Mitte, Ruben Vargas links. Ein Routinier, zwei Junge.
Auch gegen das Defensivbollwerk der Schotten dürften Shaqiris Einfälle gefragt sein. Und dann könnte er auch beweisen, dass bei ihm eben doch mehr als 120 Minuten innert vier Tagen möglich sind. Einen Plan für seine Einsätze im Turnier gebe es nicht, sagt Shaqiri. Verraten würde er ihn ohnehin nicht. Nur so viel: «Es ist wichtig, einen Spieler auf dem Platz zu haben, der aus dem Nichts ein Tor schiessen kann.» Ende der Debatte?