Fabian Rieder nimmt auf seinem Weg nach oben gerade zwei Stufen auf einmal. In Katar entpuppt sich das 20-jährige Talent für Nationalcoach Murat Yakin als wertvoller Joker.
Es lief die 81. Minute im Schweizer Auftaktspiel gegen Kamerun, da erfüllte sich für Fabian Rieder der nächste Kindheitstraum. 16 Tage nach dem ersten Aufgebot in die A-Nationalmannschaft, der Berufung ins WM-Kader, kam der Mittelfeldspieler der Young Boys zu seinem Nationalmannschafts- und WM-Debüt. Zwei Jahre nachdem er in der Super League debütiert hat, ist er bereits auch WM-Spieler.
Dass Murat Yakin Rieder nicht auf seiner angestammten Position im zentralen Mittelfeld aufs Feld schickte, sondern ihn für Ruben Vargas auf der linken Seite brachte, war bezeichnend. Die Polyvalenz gehört zu Rieders Stärken. Yakin gewichtet sie besonders hoch, an Rieder schätzt er sie besonders. «Seine Trainingsleistungen haben mich beeindruckt. Er hat ausgezeichnete Werte und kann auf vielen Positionen spielen. Er ist immer unterwegs, unermüdlich, im höchsten Speed», sagt der Nationaltrainer über Rieder. Und: «Er war natürlich überrascht, dass er zum Einsatz kam.»
Überrascht war Rieder tatsächlich. Er habe zuerst befürchtet, dass es sich um einen Scherz handle, als er von seiner bevorstehenden Einwechslung erfuhr, schilderte er. Als er dann aufs Feld kam, «hatte ich ziemlich zittrige Knie». Doch die erste Aktion nach wenigen Sekunden, ein Flügellauf und guter Pass zu Seferovic, war gleich eine gute. Die Nervosität hatte sich damit schnell verflüchtigt.
Überraschend ist nur der Zeitpunkt
Überraschend ist an der Geschichte indes höchstens der Zeitpunkt des Debüts im A-Nationalteam. Dass in Rieder die Anlagen für eine internationale Karriere stecken, war bekannt. Und dass der intelligente Berner wenig Anlaufzeit zur Adaption benötigt, hat er schon bewiesen.
«Frech und abgebrüht – als wäre er schon immer da gewesen», titelte die Berner Zeitung am Tag nach Rieders Super-League-Debüt im Oktober 2020. Als «neuen Wunderknaben im Schweizer Fussball» und «Entdeckung eines Kronjuwels» bezeichnete ihn der Blick in den folgenden Wochen. Pierluigi Tami, der Direktor der Schweizer Nationalmannschaft sagt: «Er ist technisch gut, taktisch intelligent und sein physisches Volumen ist unglaublich – er ist komplett.»
Zu verdanken hat Rieder sein zackiges Debüt Yakins Mut und YBs Nachwuchsarbeit, die für ihre grössten Talente in frühem Stadium reichlich Einsatzzeit in der ersten Mannschaft vorsieht. 20-jährig ist Rieder, zusammen mit Ardon Jashari ist er der jüngste WM-Fahrer im Schweizer Team. Doch seine Entwicklung verläuft rasant. Ohne Nationalmannschaftserfahrung ist er auf den WM-Zug aufgesprungen, ohne Startschwierigkeiten hat er sich eingefunden. «Er gibt Vollgas und zeigt, dass er nicht als Tourist dabei ist», sagt Tami.
Zufriedener, lernwilliger Joker
So unerschrocken und clever sich Rieder auf dem Rasen verhält, so bescheiden ist er abseits des Feldes. Ziemlich introvertiert sei er, sagt Tami. Fast schon ehrfürchtig spricht Rieder über sein Idol Granit Xhaka und die anderen grossen Namen, die nun seine Teamkollegen sind. Xhaka sei eine riesige Persönlichkeit, unumstrittener Leader bei Arsenal und dessen Arbeitseinstellung etwas, woran er sich orientieren könne, so Rieder. «Plötzlich mit ihnen auf dem Platz zu stehen, ist sehr speziell für mich.»
Bei den Young Boys gehört Rieder 25 Monate nach seinem Einstand schon zu den Leistungsträgern. In der Nationalmannschaft entpuppt er sich auf Anhieb als wertvoller Joker, der das verschiedentlich als Schwachstelle bezeichnete Gefälle hinter den besten 12, 13 Spielern schrumpfen lässt. Er nimmt in Katar genau jene Rolle ein, die sich Yakin von den Akteuren auf seiner Hierarchiestufe erhofft: Er empfindet die WM-Teilnahme und Joker-Einsätze als in Erfüllung gegangenen Traum. Er drängt sich im Training mit guten Leistungen auf. Und er setzt die taktischen Vorgaben wunschgemäss um.
sda