Er bringt vieles mit, um ein Führungsspieler in der Nationalmannschaft zu werden: Fabian Rieder ist nach einer starken EM auch im Klub wieder auf Kurs.
Darauf wolle er nicht näher eingehen, sagt Rieder, als er im Pavillon neben dem Trainingsplatz in St. Gallen nach seinem «Standing» in der Nationalmannschaft gefragt wird. «Ich glaube, ich bin immer noch einer der jüngsten Spieler im Kader.» Der Berner blickt kurz zum neben ihm sitzenden Medienverantwortlichen des Schweizerischen Fussballverbandes, der zustimmend nickt. Rieder ist nicht nur einer der jüngsten, er ist der jüngste Spieler im aktuellen Aufgebot. Im Februar wird er 23 Jahre alt.
Das geht angesichts seines abgeklärten Auftretens manchmal vergessen. Denn Rieder hat sich nicht nur auf dem Platz innert Kürze eine wichtige Rolle erarbeitet, er etablierte sich auch daneben als Wortführer, der bedenkenlos in eine mehrsprachige Interviewzone geschickt werden kann.
Rieder antwortet stets überlegt, lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Im Juni, kurz nach seinem Wechsel nach Stuttgart, wird er gefragt, wie es denn nun um sein Bayern-Herz stehe. In früheren Interviews hatte Rieder seine Sympathie für die Münchner bekundet. Die Frage entlockt ihm nur ein Lächeln. Bayern-Herz sei übertrieben, erklärt er. Er sei eher Fan einzelner Spieler gewesen, weniger des Vereins. Souverän pariert, würde man bei einem Goalie sagen.
Nominiert als «Rookie des Monats»
Um zu erkennen, wie rasant Rieder in der Hierarchie des Nationalteams aufgestiegen ist, muss man gut fünf Monate zurückblicken. Denn als Rieder im Mai das Aufgebot für die EM in Deutschland erhält, ist das für viele überraschend. Bei Rennes kommt er zu diesem Zeitpunkt nur sporadisch zum Einsatz, im Nationalteam hatte er sogar seit über einem Jahr nicht mehr gespielt.
In der Vorbereitung auf das Turnier und in den ersten beiden Gruppenspielen ist Rieder noch Ersatz oder wird als Joker eingewechselt. Sein grosser Moment kommt in Frankfurt, als er gegen Deutschland in der Startelf steht und seine Nominierung mit einer kämpferischen Leistung rechtfertigt. Darauf startet er auch in den K.o.-Spielen gegen Italien und England.
Im Klubfussball geht es ebenfalls sehr schnell. In Stuttgart, wo er einen Leihvertrag hat, kommt Rieder in allen Ligaspielen sowie den beiden Partien der Champions League zum Einsatz. Sechsmal von der Ersatzbank aus, zweimal von Beginn an. Er tritt Standards und erzielt per Freistoss auch sein erstes Bundesliga-Tor. Die Liga nominiert ihn zuletzt neben Bayern Münchens Michael Olise und Frankfurts Kaua Santos als «Rookie des Monats September».
Tor im Nationalteam fehlt noch
Der schnelle Aufstieg habe ihn nicht überrascht, sagt Rieder. Schliesslich habe er immer an sich geglaubt – trotz der zwischenzeitlichen Baisse in der Ligue 1. «Ich habe in Rennes versucht, dem Trainerteam zu zeigen, dass ich bereit bin», sagt Rieder. Dass es nicht geklappt hat, müsse man akzeptieren. Denn: «Im Fussball ist nicht immer alles Friede, Freude, Eierkuchen.» Umso glücklicher ist er nun in Stuttgart, wo die Verantwortlichen auf ihn setzen.
Auch Nationaltrainer Murat Yakin schenkte ihm schon mehrmals das Vertrauen. Unter ihm debütierte Rieder bei der WM 2022 in Katar im Nationaldress und stand im zweiten Gruppenspiel gegen Brasilien erstmals in der Startaufstellung. In der aktuellen Form ist er auch in den kommenden Spielen gegen Serbien und Dänemark ein Startelf-Kandidat. Seine grössten Konkurrenten auf der Aussenbahn sind – nach dem verletzungsbedingten Ausfall von Ruben Vargas – Dan Ndoye und Zeki Amdouni. Im Vergleich zu den beiden bringt Rieder das bessere Zweikampfverhalten mit. Was ihm dagegen noch fehlt, ist sein erstes Tor im Nationalteam.
Womit man wieder bei der Eingangsfrage wäre, in der es um Rieders Standing im Nationalteam ging. Er habe gezeigt, dass er eine wichtige Rolle übernehmen könne, antwortet der Team-Jüngste. Das wolle er wieder beweisen. «Egal, ob ich in der Startelf stehe oder eingewechselt werde.» Abgeklärt bis zum Schluss.