Ein Inselstaat mit 900'000 Einwohnern ist aus dem Häuschen. Erstmals seit 16 Jahren dürfte Fidschi in die Viertelfinals der Rugby-WM einziehen. Man spricht vom grössten Ereignis der Landesgeschichte.
Fidschi, da träumen Mitteleuropäer vor allem von Korallenriffen, Kokospalmen und blau schimmerndem Meer. Für die Fidschianer sind das Selbstverständlichkeiten. Sie träumen dafür vom Rugby. Das Spiel mit dem ovalen Ball – vor rund 130 Jahren von den ansonsten nicht sonderlich geliebten britischen Kolonialherren eingeführt – dominiert nicht nur die Sportwelt des Inselstaates, selbst der Premierminister ist ein ehemaliger Nationalspieler.
Zweifacher Olympiasieger
An der Rugby-WM ist Fidschi Stammgast, einzig 1995 verpasste man die Qualifikation. Der ganz grosse Triumph ist bei nur gut 900'000 Einwohnern im personalintensiven Spiel mit 15 Spielern aber fast unmöglich. Ganz anders sieht es im Siebner-Rugby aus. Seit der Rückkehr ins Olympische Programm gewann Fidschi 2016 in Rio und 2021 in Tokio beide Male Gold. Es sind die einzigen olympischen Medaillen in der Geschichte des seit 1970 unabhängigen Landes. Bei Olympia wird genau aus dem Grund in der Variante mit nur sieben Akteuren gespielt, damit auch kleinere Länder eine Chance haben. In den Finals bezwang Fidschi die Grossmächte Grossbritannien respektive Neuseeland.
Die letzte Sternstunde in der traditionellen Spielform erlebte der Staat, der aus gut 330 bewohnten, nordöstlich von Australien und Neukaledonien gelegenen Inseln besteht, 2007. Die WM fand auch dazumal in Frankreich statt, Fidschi gewann ein dramatisches letztes Gruppenspiel in Nantes gegen Wales 38:34.
Diesmal gelang der wohl vorentscheidende Sieg gegen das schwächelnde Australien (22:15) bereits in der zweiten Runde. Beim 17:12 am Samstag gegen Georgien mussten die Fidschianer einen 0:9-Halbzeitrückstand wettmachen.
Sogar mit Niederlage im Viertelfinal
Nun brauchen sie zum Abschluss am Sonntag in Toulouse gegen das letztplatzierte und noch sieglose Portugal noch einen Punkt, um zum insgesamt dritten Mal die Viertelfinals zu erreichen. Dafür könnten sie sich sogar eine Niederlage mit maximal sieben Punkten Differenz leisten. Gegen Georgien zeigten sich die Ozeanier angesichts der Favoritenrolle und der historischen Chance fehlerhaft und gehemmt. Dennoch sollte der Klassenunterschied gegen Portugal so gross sein, dass kaum noch etwas anbrennen sollte.
Coach Simon Raiwalui zeigte sich nach dem erzitterten Sieg gegen Georgien kritisch. «Wir hatten Glück, dass wir zur Pause nicht deutlicher im Rückstand lagen.» Danach hätten sie die Basiselemente wieder besser gemacht. Dem Übernamen «The Flying Fijians» (Die fliegenden Fidschianer) gerecht werdend, sind sie bekannt für ihr spektakuläres, zuweilen aber auch zu verspieltes und ineffizientes Auftreten. «So sind wir Fidschianer», meinte der Rückraumspieler Levani Botia, der bei La Rochelle in Frankreich unter Vertrag steht, fast entschuldigend. «Wir lieben es, den Ball im Spiel zu halten.» So hätten sie sich aber ab und zu auskontern lassen. Fidschi will jeweils nicht nur gewinnen, es will Spielfreude ausstrahlen.
Ziel: Weltmeister
Gegen Portugal will man aber kein Zittern mehr aufkommen lassen, wenn sich halb Fidschi am Montag morgens um sieben Uhr Lokalzeit vor den TV-Schirmen versammeln wird. Kaum einer dürfte an dem Tag pünktlich zur Arbeit erscheinen. Im Viertelfinal – aller Wahrscheinlichkeit nach gegen England – ist die Mannschaft dann wieder Aussenseiter. Doch wie sagte der ebenfalls in Frankreich engagierte Center Semi Radradra: «Nichts ist unmöglich. Es ist unser Ziel, die WM zu gewinnen, dafür arbeiten wir.»
Und wie Australien vermochte England in den letzten Monaten nicht zu überzeugen. Die Herzen der Franzosen haben die fliegenden Insulaner sowieso schon erobert.
ck, sda