Nationalteam Richtige Entscheide und «Luxus-Kopfschmerzen»

sda

30.6.2024 - 09:29

Nationaltrainer Murat Yakin feiert mit den Schweizer Fans
Nationaltrainer Murat Yakin feiert mit den Schweizer Fans
Keystone

Nach der glanzvollen Leistung gegen Italien kann festgehalten werden: Murat Yakin hat erneut die richtigen Personalentscheide getroffen. Nun aber kommt eine neue Situation auf ihn zu.

Keystone-SDA, sda

«Dagegen gibt es ja Tabletten», antwortete Yakin verschmitzt. Ob er denn schon Kopfschmerzen bekomme, wenn er an die nächste Startformation denke, hatte der Reporter gefragt. Immerhin steht dem Schweizer Nationalcoach im Viertelfinal am Samstag (18.00 Uhr) der zuletzt gesperrte Silvan Widmer wieder zur Verfügung. Nach der starken Leistung gegen Italien stellt sich allerdings die Frage: Hätten es diese Spieler nicht verdient, wieder in der offensichtlich gut funktionierenden Formation aufzulaufen?

Er müsse vorausschicken, dass er diese «Luxus-Kopfschmerzen» lieber habe als andere, sagte Yakin. Der Trainer weiss sehr wohl, wie wertvoll es ist, dass ihm derzeit ein Kader von 26 Spielern zur Verfügung steht. Denn die EM-Kampagne starteten die Schweizer mit drei Spielern, die entweder gerade von einer Verletzung zurückkehrten (Breel Embolo) oder noch an einer laborierten (Denis Zakaria, Steven Zuber). Nun sind alle fit, auf dem Platz können aber immer nur elf Spieler stehen.

Ndoye zurückversetzt

Bisher traf Yakin seine Personalentscheide auch aus der Not heraus. Es galt, den passenden Stürmer aufzustellen, jemanden für die linke Seite im Vierermittelfeld zu finden oder eben den gesperrten Silvan Widmer zu ersetzen. Die richtige Elf zu finden, ist Yakin bisher gelungen. Dabei zeigte der starke Schachspieler keine Angst vor Rochaden. Auch gegen Italien fällte der 49-Jährige den mutigen Entscheid, den bis dahin offensiv überragenden Dan Ndoye um eine Position nach hinten zu ziehen. Widmers nomineller Ersatzmann Leonidas Stergiou kam derweil erst in der 70. Minute ins Spiel.

Und wieder hat es geklappt. Wobei Yakin mit dem Beginn des Spiels nicht ganz zufrieden war. «Am Anfang ging alles über die linke Seite», sagte er. «Dan war teilweise fast arbeitslos.» Später habe der 23-Jährige dann aber seine Schnelligkeit ausspielen können. Mit dieser ist und bleibt er ein Schlüsselspieler im Schweizer Team.

In der Offensive brachte Fabian Rieder mit seiner Bissigkeit im Pressing wie bereits gegen Deutschland ein weiteres wichtiges Element ins Schweizer Spiel. «Wir haben sehr gut harmoniert», sagte Rieder. «Jeder wusste genau, wo er hingehen muss. Die Räume waren immer besetzt.» Das ist eine Qualität, die die Mannschaft auszeichnet: Jeder ist bereit, die Extrameile zu gehen.

Shaqiri wieder ohne Einsatz

Ndoye und Rieder schafften es mit ihren Leistungen sogar, neben Silvan Widmer auch einen gewissen Xherdan Shaqiri fast vergessen zu machen. Es war die UEFA, die mit einer vorgefertigten Gratulation zum Viertelfinaleinzug an 32-Jährigen erinnerte. Auf dem veröffentlichten Bild sind drei Schweizer Nationalspieler zu sehen. Am prominentesten in der Mitte: Shaqiri, der stolz das Schweizer Trikot präsentiert.

Dabei kam Shaqiri im vierten EM-Spiel zum dritten Mal nicht zum Einsatz. Zwar bewies er mit seinem Traumtor gegen Schottland, dass er mit seinem «Zauberfuss» immer noch spielentscheidend eingreifen kann. Dass der Spieler aus Chicago aber nicht fit genug ist, um gegen grosse Nationen wie Italien eben jene geforderte Extrameile zu machen, scheint mittlerweile unbestritten.

Ndoye und Rieder auf rechts sowie Aebischer und Vargas auf links haben mit ihren Leistungen ein Bewerbungsschreiben für weitere Einsätze abgegeben. Einen von ihnen zu ersetzen, erscheint angesichts der aktuellen Hochform fast schon fahrlässig. Womit man wieder bei der Eingangsfrage wäre: Sollte Yakin im Viertelfinal überhaupt noch einmal Wechsel vornehmen?

Yakins Überlegungen

Yakin blieb gewohnt vage. «Wir haben viele Möglichkeiten in unserem System, das Flexibilität zulässt», antwortete der Nationaltrainer, der auch die wichtige Rolle der Ersatzspieler hervorhob. «Sie geben im Training alles und treiben so ihre Mitspieler zu Höchstleistungen an.» Jeder habe eine Rolle, die zum Erfolg beitrage. Im konkreten Fall der rechten Aussenposition komme es auch immer auf den Gegner an. «Manchmal macht es mehr Sinn, einen Verteidiger oder wie gegen Italien einen Mittelfeldspieler dort einzusetzen.»

In dieser Hinsicht hat Yakin bisher die richtigen Entscheide getroffen. Nun hat der lange kritisierte Nationalcoach wieder fast eine ganze Woche Zeit, um sein Team auf die nächste Herausforderung vorzubereiten. Ob er dabei die eine oder andere Kopfschmerztablette braucht, bleibt abzuwarten.