Chaoten beeinträchtigen mit ihrer Gewalt den Schweizer Fussball. Claudius Schäfer, CEO der Swiss Football League, bezieht im Interview mit Keystone-SDA Stellung.
Claudius Schäfer, wir haben zuletzt die üblen Vorfälle nach dem Cupspiel zwischen Winterthur und Servette erlebt. Was sagen Sie dazu?
«Das macht mich unglaublich wütend.»
Sehen Sie Mittel und Lösungsansätze, wie man gegen die Fangewalt vorgehen könnte, wenn Sie selbst entscheiden könnten?
«Es ist ein sehr komplexes Thema. Wenn man von Fangewalt spricht, sind es in Wirklichkeit keine Fans, es sind Chaoten. Wir müssen versuchen, diese Chaoten vom Fussball wegzuhalten. Dafür gibt es Mittel, aber der Weg dazu ist steinig.»
Inwiefern?
«Am Ursprung steht die Identifizierung. Wenn wir die Chaoten wegbringen wollen, müssen wir sie identifizieren. Sobald wir sie identifiziert haben, können wir sie mit einer Massnahme belegen. Das bedeutet Stadionverbot oder Rayonverbot oder eine Meldeauflage. Und vor allem kann man sie der Justiz zuführen. Wir müssen uns nichts vormachen und glauben, dass man die Gewalt zu hundert Prozent wegbringen wird. Das zeigt uns die Vergangenheit, das zeigen uns auch andere Länder, und das zeigen uns auch andere Vorfälle ausserhalb des Fussballs – wie zuletzt in Bern, als elf Polizisten verletzt wurden. Die Gewalt ist leider ein Teil unserer Gesellschaft. Und sie ist leider auch ein Teil des Fussballs. Zum Glück wird sie von einer verschwindend kleinen Minderheit ausgeübt. Aber diese Minderheit bekommt eine sehr grosse Aufmerksamkeit und nimmt einen sehr negativen Einfluss auf das, was eigentlich im Mittelpunkt stehen sollte: der Fussball.»
Unbeteiligte Fans betroffen
Am Schluss leiden die nicht gewalttätigen Fans, wenn mit dem Kaskadenmodell Sektoren gesperrt und später vielleicht Geisterspiele verhängt werden.
«Sektoren zu sperren ist in gewisser Weise ein Ohnmachtszeugnis. Die Massnahmen im Kaskadenmodell, die viele unschuldige Fans betreffen, sind nicht zielführend. Man macht nur die Leute wütend. Vielmehr müssen wir daran arbeiten, dass wir die Einzeltäter erwischen. Ich habe ein Behördenmitglied konkret gefragt, was es von den Sektorsperren erwartet. Die Antwort war, dass die Gesellschaft nun erwartet, dass etwas unternommen wird. Allerdings hat uns die Vergangenheit gelehrt, dass man nur Massnahmen einsetzen sollte, die zu einem Ziel führen. Massnahmen für die Galerie haben noch nie etwas gebracht, sondern waren sogar kontraproduktiv.»
Wie wird in anderen Ländern mit dem Problem umgegangen?
«Vor zwei Wochen war ich als Vizepräsident der europäischen Ligen an einer Versammlung mit den Kollegen aus anderen Ländern in London. Die Sicherheit ist in fast allen Ligen ein grosses Thema. Es ist ein Gesellschaftsphänomen, dass der Fussball zum Teil solche Gewalttäter anzieht. Nicht nur in der Schweiz, sondern überall. Ich stellte das Kaskadenmodell vor und holte die Meinung von Vertretern anderer Ligen ein.»
Kein Verständnis für das Modell
Wie haben die Kollegen reagiert?
«Das Modell stiess auf grosses Unverständnis, vor allem der Mechanismus, dass nach Vorfällen ausserhalb der Stadien Sanktionen innerhalb ausgesprochen werden. Zudem zahlen unsere Klubs schon jetzt einen sehr grossen Teil der Kosten für die Sicherheit ausserhalb der Stadien. Es sind bis zu achtzig Prozent. Die Vertreter von Belgien und Dänemark sagten mir, es sei bei ihnen komplett undenkbar, dass die Klubs für diese Kosten aufkommen müssen, also im Prinzip für die Kosten der Polizei. Bei uns jedoch muss sich der Fussball schon jetzt massiv an den Kosten auf öffentlichem Grund beteiligen. Das wird oft vergessen.»
Sehen Sie Lösungsansätze oder sogar Lösungen in vergleichbaren Ligen wie eben in Belgien oder Dänemark?
«In Skandinavien wird sehr stark der Dialog gepflegt, wie wir es im Rahmen der neu eingeführten Stadionallianzen tun. Was ich dort heraushöre, ist, dass sehr stark getrennt wird zwischen Stadion und Aussenbereich. Ausserhalb des Stadions liegt dort die Verantwortung ganz klar bei den Behörden, innerhalb des Stadions beim Klub.»
Also gibt es in anderen Ländern eine klare Trennung.
«In Dänemark wollen die Behörden und die Polizei nicht, dass sich die Klubs an den Sicherheitskosten ausserhalb des Stadions beteiligen. Dies sagte mir der dänische Vertreter in London. Denn sonst möchten die Klubs auch in Bezug auf das Polizeiaufgebot und das Einsatz-Dispositiv mitreden. Von dieser Praxis sind wir sehr weit entfernt. Bei uns ist zwar alles viel mehr vermischt – dennoch haben die Klubs keine Mitsprache bei den Dispositiven ausserhalb der Stadien.»
Das bedeutet, dass die Polizei in Dänemark autonom ist und selbst entscheidet, wie sie die Sicherheit gewährleisten will. Und sie zahlt auch selbst.
«So ist es. In England hatten sie in der letzten Saison vermehrt Probleme, zum Beispiel mit Platzstürmen und dem Werfen von Gegenständen gegen Spieler. Der Sicherheitschef der Premier League hielt dazu ein Referat. In England ist die Meldeauflage ein sehr wichtiges Mittel. Wer erwischt wird, kann keine Spiele mehr besuchen. Es ist ein Mittel, für das ich mich einsetze, seit es die Meldeauflage gibt. Aber bei uns wird sie leider sehr wenig umgesetzt. Von den Kollegen im Ausland höre ich, dass jene Massnahmen am zielführendsten sind, die den Täter betreffen. Das ist das, was wir in der Schweiz auch immer wieder propagieren.»
Warten auf neue Möglichkeiten
Sind personalisierte Tickets ein Thema?
«Wir vor der Swiss Football League haben vor einem Jahr zusammen mit der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren einen ausführlichen Bericht zu diesem Thema erarbeitet. Dabei haben wir alle Vor- und Nachteile sorgfältig abgewogen und sind zum Schluss gekommen, dass personalisierte Tickets unsere Herausforderungen, die sich vor allem ausserhalb der Stadien stellen, nicht lösen und daher keine zielführende und wirksame Lösung sind.»
Sind denn in der Schweiz überhaupt Lösungen in Sicht?
«Die Welt dreht sich schnell, und wir müssen genau beobachten, wie sich die technischen Möglichkeiten beispielsweise bei der Gesichtserkennung entwickeln. Damit solche Mittel aber eingesetzt werden könnten, müssten rechtliche Fragen geklärt und wohl der Datenschutz angepasst werden. Dieser wird in der Schweiz sehr hoch gewichtet.»