Der Name Schangnau ist Garant für Speed. Was Beat Feuz auf den Abfahrtslatten auszeichnete, ist das Plus der Snowboardcrosserin Sina Siegenthaler, der Schweizer Nummer 1 beim Weltcup in St. Moritz.
«Gleiten ist meine Stärke. Wäre ich Skifahrerin, wäre ich Abfahrerin», sagt die Emmentalerin im Vorfeld des Rennens in St. Moritz. Das Brett flach legen, das kann sie. Eine Demonstration ihrer Spezialität gab die 23-Jährige vor sechs Wochen im italienischen Breuil-Cervinia ab. Erstmals gewann Sina Siegenthaler ein Weltcuprennen. Sowohl im Final als auch im Halb- und Viertelfinal hatte sie das Feld von hinten aufgerollt.
Beim Start hingegen oder in sehr technischen Passagen sind ein paar Top-Fahrerinnen versierter als die Schweizerin. Aber auf dem neuen Kurs am Corviglia ob St. Moritz, wo nun erstmals auf der Strecke der Freestyle-WM 2025 gefahren wird, sieht die Gleiterin genügend Passagen für Überholmanöver. «Insbesondere nach dem letzten Sprung auf dem langen Weg ins Ziel. Die Rennen dürften erst auf der Ziellinie entschieden werden», mutmasst sie nach den ersten Trainingsfahrten vom Mittwoch.
Gesund bleiben
Bei der Zielsetzung für das Weltcuprennen vom Freitag will sich Sina Siegenthaler nicht auf ein Resultat festlegen. «Trotz Weltcupsieg bin ich noch in einer Aufbausaison», betont die Olympia-Teilnehmerin von Peking. «Mit Blick auf die Off-Snow-Saison will ich gesund durchkommen und die Fahrten zeigen, die ich mir vornehme.» Will heissen: Der Fokus gilt dem kommenden Sommer. In diesen Monaten will sie endlich mal ohne Einschränkungen trainieren, um so mit Schwung Richtung Freestyle-WM 2025 in St. Moritz und die Olympischen Spiele 2026 in Mailand-Cortina d'Ampezzo – die Snowboardcrosser fahren in Livigno – zu gleiten.
Mit 18 Jahren und Platz 5 im Dezember 2018 debütierte die Emmentalerin im Weltcup. Fünf Jahre später steht Sina Siegenthaler erst mit 17 Weltcuprennen und je einem 16. Rang an der WM 2019 und den Spielen 2022 in Peking da. Dies lässt erahnen, dass ihre Krankenakte ein paar Seiten füllt: Pfeiffersches Drüsenfieber, lädiertes Knie, Covid-19-Erkrankung, Knorpelschaden, leichte Arthrose im Fuss. Die Schangnauerin humpelte oft in die Physiotherapie und konnte über lange Perioden ihr Potenzial nicht nutzen.
Derzeit ist alles im grünen Bereich
Zwar muss Sina Siegenthaler manchmal wegen Fussbeschwerden etwas dosieren, doch just zu den Höhepunkten ihrer Karriere dürfte sie auch im Zenit stehen. Womöglich passt alles perfekt: Die WM 2025 und die Olympischen Spiele 2026 finden vor vielen Schweizer Fans statt, Sina Siegenthaler ist für eine Sportlerin im besten Alter und sie erhält als Zeitmilitär auch die Gelegenheit, diese Highlights optimal vorzubereiten.
Als «exklusiv» bezeichnet die 23-Jährige ihren Status. Auch wegen ihrer Verletzungen sei das Training sehr zeitaufwändig. «Ohne Profitum, das die Armee ermöglicht, könnte ich die hohen Ziele für die beiden Grossanlässe nie erreichen», betont die gelernte Kauffrau.
Sina Siegenthaler fand nicht etwa durch die Olympiasiegerin Tanja Frieden – die mit dem Plämpu – den Weg aufs Brett und so zum Snowboardcross, sondern durch ihre ältere Schwester. «In Schangnau fahren alle Ski, meine Schwester wollte aber unbedingt etwas anderes machen. Und ich bin als Vierjährige einfach mitgegangen», sagt sie.
Die Disziplin Snowboardcross hat in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit seit den goldenen Zeiten von 2006 allerdings gelitten. «Ja, wir haben einen schweren Stand. Aber ich weiss eigentlich nicht weshalb», sinniert die Schweizer Teamleaderin. «Bei unseren Rennen sieht jeder sofort, welche Auswirkungen ein Fehler hat. Das ist doch spannend! Wir fahren nicht gegen eine Uhr.»
In die Defensive dürfte das Snowboardcross ausgerechnet der zuvor kleinere Bruder Skicross gedrängt haben. Diese Tendenz ist fast in allen Freestyle-Sportarten festzustellen. Die Ski verdrängen das Brett.
Auch an den Weltcup-Destinationen zeigt sich dies. Skicross und Snowboardcross auf der gleichen Strecke fahren zu lassen, ist fast nicht mehr möglich – die einen springen zu weit, die anderen zu kurz. Das wird gefährlich.
«Die Differenz zwischen dem schnellsten Skicrosser und der langsamsten Boardercrosserin ist schon sehr gross. Ideal wäre, wenn wir im Weltcup jeweils eine Woche nach den Skicrossern die Rennen auf einer umgebauten Strecke fahren könnten», meint die Bernerin. Dem ist aber auch in St. Moritz nicht so. Immerhin fahren die Skicrosser drei Passagen aussen rum, die Boarder hingegen drehen in der Steilwand.