Der letzte Tag der olympischen Kunstturn-Wettbewerbe verläuft nicht nach dem Gusto von Simone Biles. Sie holt am Boden nur Silber. Die Amerikanerin zeichnet jedoch weit mehr als Medaillen aus.
Nach den Goldmedaillen mit dem Team, im Mehrkampf und am Sprung trat Simone Biles auch in den Finals am Schwebebalken und Boden als Topfavoritin an. Doch für einmal war die 27-jährige Amerikanerin «menschlich», was das Kunstturnen betrifft. Am Schwebebalken stürzte sie und wurde lediglich Fünfte. Am Boden übertrat sie zweimal und musste sich um 0,033 Punkte der Brasilianerin Rebeca Andrade geschlagen geben.
Wer nun dachte, Biles wäre geknickt, der sah sich getäuscht. Vielmehr erinnerte sie an den nicht einfachen Weg nach den Olympischen Spielen 2021 in Tokio. An diesen hatte sie den Teamfinal nach einem missglückten Sprung abgebrochen und war sie danach nur noch im Final am Schwebebalken (3.) angetreten. Sie begründete dies mit einer mentalen Blockade, dass ihr Körper und Geist nicht im Einklang seien.
Beeindruckende Zahlen
Zu diesem Zeitpunkt habe sie nicht erwarten können, nochmals an Olympischen Spielen dabei zu sein, sagte Biles, die erst 2023 auf die Wettkampfbühne zurückkehrte. Deshalb könne sie nicht enttäuscht sein über vier Medaillen, vielmehr sei sie stolz. «Überhaupt habe ich mehr erreicht, als ich mir in meinen kühnsten Träumen vorstellen konnte», stellte sie klar. Zudem darf nicht vergessen werden, dass sie mit 27 Jahren die älteste Olympiasiegerin im Frauenturnen seit 1952 ist.
Was die nur 1,42 m grosse Biles erreicht hat, ist in der Tat mehr als beeindruckend. Der 2. Platz am Boden war ihr 41. Podestplatz an Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften. Neben den nun sieben Olympiasiegen holte sie sagenhafte 23 WM-Titel. Fünf Elemente tragen ihren Namen. Am Boden musste für ihren Doppelsalto rückwärts mit drei Schrauben eine neue Schwierigkeitsstufe eröffnet werden: J. Das unterstreicht, dass sie, «missglückter» Montag hin oder her, in eigenen Sphären schwebt.
Schwieriger Kindheit getrotzt
Doch ist Biles viel mehr als eine Top-Turnerin, sie ist auch für Menschen ausserhalb des Sports eine Inspiration. Denn ihr Weg hätte sehr gut auch in eine andere Richtung gehen können, war doch ihre Kindheit alles andere als einfach. Ihr Vater verschwand, die Mutter war alkoholabhängig und drogensüchtig. Ihr Grossvater mütterlicherseits und dessen zweite Frau adoptierten sie. Sie gehörte auch zu den Opfern des langjährigen Arztes beim US-Turnverband, Larry Nassar, der 2018 wegen zahlreicher sexueller Übergriffe zu einer Gefängnisstrafe von 40 bis 175 Jahren verurteilt wurde.
Zudem zeigte Biles an den Olympischen Spielen in Tokio viel Mut. Es gab Stimmen, die sie als Verräterin bezeichneten, ihr vorwarfen, ihr Land im Stich gelassen zu haben. In dem sie jedoch über ihre mentalen Probleme sprach, diente sie vielen als Vorbild. In Paris betonte Biles: «Die mentale Gesundheit kommt vor allem anderen.» Es sei wichtig, sich Zeit für sich zu nehmen.
Aussagen von Trump gekontert
Biles ist sich bewusst, dass sie eine Lichtfigur über den Sport hinaus ist, dass ihre Worte Gewicht haben. Das nutzt sie. So reagierte sie kürzlich auf eine rassistische Aussage des republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump, in dem sie auf der Plattform X schrieb: «Ich liebe meinen schwarzen Job» und ein schwarzes Herz hinzufügte.
Wenn Biles turnt, ist sie in einer anderen Welt. Das kommt daher, dass ihr früh beigebracht wurde, die Gefühle zu verdrängen, «weil man nicht gut turnt, wenn man zu emotional ist». Doch wie lange macht sie noch weiter? Diese Frage hört sie nicht gerne – wobei sie es offen liess, ob Paris ihre letzten Olympischen Spiele waren. «Sag niemals nie, die nächsten finden zu Hause statt (in Los Angeles)», so Biles.