Mindestens sieben Medaillen will die Schweizer Delegation ab dem 23. Juli an den Olympischen Spielen in Tokio gewinnen – ein ambitioniertes Unterfangen.
Sofern die Faustregel zutrifft, wonach pro Medaille drei potenzielle Chancen vorhanden sein müssen, könnte die Ansage von Ralph Stöckli passen. Die Schweiz ist in Tokio breit aufgestellt: Vielleicht schlagen die Fechter im Team-Wettkampf zu, womöglich steht Nicola Spirig ein drittes Mal auf dem Olympia-Podest oder treffen die Schützinnen voll ins Schwarze. Auf zwei Rädern dürfte es in mindestens einer Disziplin klappen, im Windsurfen geht mit Mateo Sanz Lanz ein absoluter Leichtwind-Spezialist an den Start, die Springreiter würden ohne Medaille von einer Enttäuschung sprechen, und die Ruderer träumen von Gold. Im Schwimmbecken sind die Augen auf Jérémy Desplanches gerichtet oder in der Leichtathletik und dem Kunstturnen verhelfen womöglich eine perfekte Leistung gepaart mit Wettkampfglück zum Coup.
Mit Roger Federer, der im Mixed mit Belinda Bencic eine vielversprechende Variante gewesen wäre, fehlt allerdings der grösste Sportler aller Zeiten. Der Basler gab am Dienstag den Verzicht bekannt. Wegen Kniebeschwerden tritt er nicht zum fünften Mal im Zeichen der fünf Ringe an. Die Schweiz ist im Tennis noch mit Belinda Bencic und Viktorija Golubic vertreten.
«7+» steht nicht im Widerspruch zur schlagkräftigen Schweizer Equipe. Aber sieben oder mehr Podestplätze sind keine Selbstverständlichkeit. Für eine Medaille muss viel zusammenpassen. Die Vorgabe «7+» steht eher quer zur Aussage von Stöckli nach Rio 2016, den ersten Olympischen Spielen, bei denen er als Missionschef in Verantwortung stand. Mit den Worten «Die Zitrone ist ausgepresst» hob er damals den Mahnfinger, forderte mehr Geld für den Schweizer Sport und betonte, dass es über den Erwartungen liege, was die Athletinnen und Athleten geleistet hätten.
Der Schweizer Sport schläft nicht
Vor fünf Jahren kehrte das Schweizer Team mit sieben Medaillen aus Brasilien zurück. Und nun also mindestens sieben Medaillen, obwohl immer mehr Länder strategisch in einzelne Sportarten investieren, um Medaillen zu gewinnen? Der Schweizer Sport schläft eben auch nicht. Der Leistungs- und Spitzensport ist hierzulande professioneller geworden. Dies untermauert nicht nur eine kürzlich veröffentliche Studie des Bundesamtes für Sport BASPO, sondern auch die Grösse der Schweizer Olympia-Delegation, die mit 115 Aktiven so gross ist wie seit Atlanta 1996 nicht mehr und einen auf 48 Prozent angestiegenen Frauenanteil aufweist.
Zudem dürften die schwierigen Bedingungen in Tokio der Schweizer Delegation in die Hand spielen. Einschränkungen im gewohnten Ablauf wegen der Coronavirus-Krise, die Verschiebung um ein Jahr, die Hitze – all diese zusätzlichen Stressfaktoren lassen sich nicht mit etwas Improvisation managen. Swiss Olympic, die Sportverbände und die Aktiven haben viel Energie investiert, um auf Unvorhergesehenes zu reagieren. «Wir Schweizer haben die Fähigkeit, agil zu sein», betonte Jürg Stahl, Präsident von Swiss Olympic. Und Stöckli bestätigte: «Die gute Vorbereitung in allen Bereichen kann zur Chance werden. Was die Agilität anbelangt, liegt unsere Delegation in der Spitzengruppe. In einzelnen Sportarten, die speziell von der Hitze betroffen sind, erwarte ich ein Favoritensterben.»
#ALLIN4TOKYO
#ALLIN4TOKYO lautet das zeitgemäss formulierte Motto. Aus der Zahl 4 wird nun im übertragenen Sinn die Zahl 5 – durch die Verschiebung um ein Jahr. Die Schweizer Sportlerinnen und Sportlerinnen sehnen sich trotz der Widerwärtigkeiten nach den Spielen. Niemand der Routiniers warf das Handtuch, weil die Aktivkarriere um ein Jahr verlängert wurde. Japan und die Schweiz, das könnte passen. Der Schweizer Sport feierte auf dem Inselstaat schon unzählige sportliche Erfolge, mit den goldenen Tagen 1972 in Sapporo als Höhepunkt.