Kolumne Milch macht müde Männer munter – oder macht sie krank?

Von Jürg Hösli

3.8.2020

Milch ist kein Getränk, sondern ein Nahrungsmittel.
Milch ist kein Getränk, sondern ein Nahrungsmittel.
Bild: Getty Images

Milch macht stark und gesund, sagt die Werbung. Andere warnen: Wer Milch trinkt, wird krank oder Milch ist nur was fürs Kalb. Was stimmt nun? Jürg Hösli mit einem Faktencheck.

Milch macht müde Männer munter. Diesen Spruch hörte ich so oft in meiner Jugendzeit im Sport. Heute wird die Milch von vielen veganen Kreisen gleichgesetzt als Teufelszeug und Perversion unserer Gesellschaft. Milch enthalte Östrogen, Wachstumshormone, verursache Krebs und sorge für mehr Knochenbrüche im Alter. Was ist dran an der Diskussion?

Beginnen wir zuerst mit dem Wichtigsten. Milch ist kein Getränk, sondern ein Nahrungsmittel. Ein Liter Milch enthält fast die gleiche Menge Kalorien wie eine kleine Mahlzeit. Als wir vor rund 10'000 Jahren Milchvieh domestiziert haben, war das ein wichtiger Ernährungsvorteil in Zeiten der Hungersnot. Milch war und ist ein wichtiger Proteinlieferant und fast vollständiges Lebensmittel.

Das Argument, dass kein anderes Lebewesen die Muttermilch eines anderen Tieres trinkt, ist insofern weltfremd, da auch kein anderes Lebewesen auf dem Mond gelandet ist oder Facebook erfunden hat. Was ist nun dran an der Kritik an der Milch und was sagt die Wissenschaft?

Milch enthält Östrogene

Ja das ist richtig, aber die von der Lebensmittelsicherheit als unbedenklich eingestufte Limite liegt bei der Menge, Östrogen, die in rund 500 Liter pro Tag enthalten wäre. Der Grenzwert, der eine nachweisliche physiologische Wirkung auf den Körper beschreibt, liegt bei 150'000 (!) Liter pro Tag. Um nur schon den erlaubten Wert zu überschreiben, müsste also jemand täglich den Kalorienbedarf einer Frau von rund 100 Tagen zuführen. Ich denke, dann haben wir andere Probleme als Östrogen in unserem Blut.



Milch enthält Wachstumsfaktoren

Auch das ist richtig. Doch genau dieser (IGF-1: Insulin-like Growth Factor-1) wird auf dem Weg durch den Magen denaturiert. Die Magensäure zerstört Nahrungsproteine und somit auch deren Funktion. IGF-1 kann nach dem Trinken von Milch nicht in unserem Körper nachgewiesen werden.

Milch verursacht Krebs

Es gab verschiedene Kohortenstudien, die ein Krebs im Bereich Brustkrebs, Prostatakrebs und Ovarialkrebsrisiko postulierten. Natürlich wurde dann hier ein genauerer Fokus der Forschung gesetzt. Es gibt bis heute keine Studie, die eine Evidenz, also einen klaren wissenschaftlichen Zusammenhang zeigt, stets jedoch mit dem Vermerk, dass weitere Studien folgen sollten. Wichtig hier zu vermerken, dass Milchprodukte vor allem Quark und Joghurt eine hohe Prävention zeigen im Bereich Darmkrebs.

Milch verursacht mehr Knochenbrüche im Alter

Als im Jahre 2014 eine schwedische Gruppe eine Studie veröffentlichte, die genau diese Aussage stützte, war der Aufschrei gross vor allem in veganen Magazinen, die gegen die Milch mobil machten. Dass die gleiche Gruppe später ihre Resultate anders darstellte, wird leider oft verschwiegen. Es gibt  schlicht keine Evidenz zwischen vermehrten Knochenbrüchen im Alter und dem Trinken von Milch.

Was sagt der Berater oder sollen wir nun alle Milch trinken?

Nein, auch das nicht. Es gibt verschiedene Gruppen, denen wir Milch aus dem Speiseplan streichen. Wir sehen beispielsweise, dass Menschen, die unter hohem Stress stehen oder sehr viel Sport machen, die Milchzucker oder das Kuhmilchprotein schlechter verwerten.

Reduzieren wir den Stress wieder, haben die Patienten wieder null Probleme mit der Verdauung von Milch. Trotzdem lassen wir den Konsum tendenziell sehr tief, da Darmprobleme immer sehr unerwünscht sind. Ebenfalls reduzieren wir die Milch bei Frauen mit Brustkrebs, da in diesem Punkt immer noch geforscht wird. Solange hier auch nur eine Wahrscheinlichkeit besteht, dass es einen Zusammenhang geben könnte, ist es unsere Pflicht, der Kundin dies mitzuteilen.

Wer zudem aus ethischen Gründen und Aspekten der Umwelt Kuhmilch durch eine Pflanzenmilch ersetzen möchte, kann dies sehr gerne tun. Milch trinken muss nicht sein. Da gibt es heute mehrere Varianten, die die Milch ersetzen können.

Für Sportler ist die Milch jedoch eine sehr einfache Wahl, das nötige Protein, die Kalorien und Kohlenhydrate nach dem Training zuzuführen. Mit rund 6dl Milch erhalten wir die Menge Eiweiss für die optimale Regeneration nach einem intensiven Training. In diesem Sinne ist Milch dann auch ein Wachstumsfaktor für unsere Muskulatur und sorgt für deutlich mehr Effekt im Training.

Und die Quintessenz?

Wir sollten auf unseren Bauch hören, denn der Körper meldet uns sehr genau, ob uns die Milch nach dem Training schadet oder nicht. Vertragen wir die Milch, dann sollten wir diese auch geniessen. Prosit!

Zum Autor: Jürg Hösli ist Ernährungswissenschaftler und greift gerne kontroverse Themen aus Sport, Psychologie und Ernährung auf. Er ist Begründer der Ernährungsdiagnostik und der Schule für Ernährungsdiagnostik Erpse in Winterthur und Zürich.

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