Olaf Baumanns Lebenslauf ist vieles, aber nicht gradlinig. Die jüngste Schleife bringt ihn zurück ins Tessiner Bergdorf, in dem er aufgewachsen ist. Hier baut sich der gelernte Koch ein «Pastificio artigianale» auf.
Aufgezeichnet von Max Hugelshofer
05.06.2021, 00:00
05.06.2021, 16:01
Aufgezeichnet von Max Hugelshofer
«Es sind verrückte Monate, die hinter mir liegen. Zuerst wird aus einem Hobby plötzlich ein Beruf, die Pastaproduktion im Keller meines Elternhauses und das Catering ziehen dermassen an, dass ich Nachtschicht auf Nachtschicht einlegen muss. Dann kommen Corona und der Lockdown, alles steht auf der Kippe – und dann erfahre ich Unterstützung und Solidarität ohne Ende und alles dreht sich wieder ins Positive.
Irgendwie passt diese Achterbahnfahrt ganz gut in mein Leben. In den 1980-er Jahren bin ich mit meiner Familie als Primarschüler aus der Deutschschweiz ins Tessiner Bergdorf Breno im Alto Malcantone gekommen. Mein Vater stammt aus Breno.
Wie viele Leute waren meine Eltern damals auf dem Aussteigertrip. Da traf es sich natürlich gut, dass ein ungenutztes Elternhaus in einem abgelegenen Bergdorf vorhanden war. Ich hatte eine sehr schöne Jugend hier, auch wenn ich natürlich immer der ‹Tedesco› blieb.
Mich zog es in die Ferne
Aber es zog mich schon bald in die Ferne. Ich machte eine Kochlehre, ging ins Ausland. Ich arbeitete in verschiedensten Restaurants in allen möglichen Regionen. Dazwischen aber auch immer wieder mal im Tessin. Ein paar Jahre lang war ich sogar Küchenchef in der Dorfbeiz in Breno.
In der Deutschschweiz machte ich dann irgendwann mehr aus Versehen richtig Karriere bei einem grossen Unternehmen, das zahlreiche Kantinen betreibt. In der Zwischenzeit hatte ich meine Frau kennengelernt. In einer Küche in der Deutschschweiz, wo ich eigentlich nur kurz einem Bekannten aushelfen wollte. Ich war so hin und weg von ihr, dass ich mich zuerst in den Finger geschnitten habe – und dann den Aushilfsjob mehrere Jahre beibehielt. Wir haben eine inzwischen 16-jährige Tochter, mit der ich eine sehr enge Beziehung habe.
Das heisst jedoch nicht, dass ich die ganze Zeit zu Hause bin. Ich behielt schon immer die Kontakte zu meinen Freunden im Tessin, bin oft auch nur für einen Abend in den Ausgang hin- und am nächsten Tag dann wieder zurückgefahren. Oder ich blieb ein paar Tage in Breno und wohnte im Haus von meinem Vater.
Dort fing ich auch an, in einem Raum im Keller selbst Teigwaren herzustellen. Den Ausschlag hatte meine Tochter gegeben. Sie liebt meine selbstgemachten Gnocchi, und so habe ich mit Experimentieren angefangen und mich auch an Ravioli mit diversen Füllungen herangewagt. Die Grundsätze von damals sind bis heute geblieben: alles handgemacht, alles aus lokalen Zutaten.
Alle waren begeistert
Irgendwann bekochte ich mal Freunde mit meiner selbstgemachten Pasta und alle waren begeistert. Dann kam mein 40. Geburtstag, und ich wusste, dass ich nochmals etwas Neues anfangen wollte. Also kündigte ich meine Stelle und stieg gross ins Pasta-Business ein. Oder auch nicht so gross.
Mein Arbeitsplatz war winzig, und die einzige Maschine war eine Küchenmaschine für den Heimgebrauch, die nach wenigen Wochen wegen Überlastung den Geist aufgab. Mit der Produktion musste ich immer schon kurz nach Mitternacht beginnen. Einerseits, weil die Nachfrage erfreulich anzog, andererseits, weil es gegen Mittag in dem engen Keller so heiss wurde, dass es dem Teig schadete.
So ging es fast zwei Jahre lang stetig aufwärts. Fest bei meiner Familie in der Deutschschweiz lebte ich nur noch montags und dienstags. Von Mittwoch bis Freitag produzierte ich wie ein Wahnsinniger, am Wochenende zog der Cateringservice an. Meine Pasta lieferte ich mit dem E-Bike an Private aus, konnte mir aber auch immer mehr Stammkundschaft in der Gastronomie aufbauen. Ich richtete meinen Produktionsraum besser ein, machte ihn fit für die Lebensmittelkontrolle.
Und ich konnte mit Unterstützung der Schweizer Berghilfe einige professionelle Geräte kaufen, die mir das Leben deutlich einfacher machen. Tiefkühler, ein Steamer, ein Rührwerk. Aber vor allem einen Schockfroster. Der erlaubt es mir, meine Pasta ohne Qualitätsverlust einzufrieren. Seither nehmen viele Ferienhausbesitzer aus der Region jeweils Kühltruhenweise Pasta mit, wenn sie sich wieder auf den Weg nach Hause machen.
Und dann kam Corona. Das war hier im Tessin schon eine sehr eindrückliche Sache. Das Catering und das Geschäft mit der Gastronomie war von einem Tag auf den anderen tot, dafür bekam ich immer mehr Aufträge von Einheimischen. Die waren froh, dass ich ihnen das Essen nach Hause lieferte. Und ich war froh, etwas an die frische Luft zu kommen. Anfangs wurde ich jedes Mal von der Polizei angehalten, wenn ich mit dem E-Bike unterwegs war. Nur dank meines Pasta-Rucksacks liessen sie mich weiter.
Die Situation normalisierte sich dann ja recht bald wieder etwas. Aber fürs Geschäft blieb es schwierig. Mehrere Kindergärten, die ich regelmässig belieferte, hatten insgesamt fast ein halbes Jahr geschlossen. Feste gab es keine mehr. Da half auch die gestiegene Nachfrage der Privaten nicht. Und Reserven waren keine vorhanden – ich hatte ja alles in die neuen Maschinen gesteckt. Dass da die Berghilfe nochmals mit einem Soforthilfebeitrag für mich da war, das hat mich wohl gerettet. Das vergesse ich nicht so schnell.»
Unterstützung: Verschiedene wichtige Maschinen und Geräte für die Pastaproduktion konnte sich Olaf Baumann nur mit Unterstützung der Schweizer Berghilfe anschaffen. In der Coronakrise bekam er dann nochmals Soforthilfe, damit ihm wegen der Einkommensausfälle nicht der Schnauf ausging.