«Unsere Couch war die Front»Deutschland überrascht mitten in der Pandemie – mit Humor!
tafu
17.11.2020
Eigentlich sind unsere Nachbarn aus dem Norden nicht für ihren feinen Humor bekannt. Doch die neueste Corona-Kampagne der deutschen Regierung beweist, dass sie auch lustig kann.
Mit Humor gegen Corona – dass dieses Konzept funktionieren kann, macht die deutsche Regierung gerade vor. Am Wochenende veröffentlichte sie eine Reihe kurzer Videos, die im Stile einer historischen Dokumentation zum Zuhause-Bleiben aufrufen.
Doch statt klassischer Aufklärungsfilmchen, wie wir sie zu Hunderten von Regierungen kennen und erwarten, gehen diese Videos einen neuen Weg: Unter dem Titel #besonderehelden werden junge Menschen zu Helden erklärt. Warum? Weil sie «faul wie die Waschbären» einfach nur daheim geblieben sind.
In einem der Videos erzählt ein älterer Herr in ferner Zukunft, wie er den Corona-Winter 2020 erlebt hat. «Ich war gerade 22 geworden, studierte Maschinenbau in Chemnitz, als die zweite Welle kam», erinnert sich der Mann, der als Anton Lehmann vorgestellt wird, unterlegt von dramatischer Musik. «Eine unsichtbare Gefahr bedrohte alles, woran wir glaubten.»
Das Schicksal habe plötzlich in ihren Händen gelegen, also hätten die jungen Menschen all ihren Mut zusammengenommen und getan, was von ihnen erwartet worden sei: «Wir taten nichts.» Zu sehen ist nun ein junger Mann, der auf der Couch in seinem Wohnzimmer durch das Fernsehprogramm zappt, Zeit totschlägt und vor allem eines tut: nicht vor die Tür gehen.
«Tage und Nächte lang blieben wir auf unserem Arsch zu Hause und kämpften gegen die Ausbreitung des Coronavirus», erinnert sich der ältere Herr weiter. «Unsere Couch war die Front und unsere Geduld war unsere Waffe.» Das Video endet mit dem Aufruf der deutschen Bundesregierung: «Werde auch du zum Helden und bleib zu Hause.»
Die drei Videos wurden unter anderem von Regierungssprecher Steffen Seibert auf seinem Twitter-Account geteilt und dort bereits insgesamt fast zwei Millionen Mal abgerufen. Das Echo in den sozialen Medien ist zweigeteilt: Während die Kampagne einerseits für ihren Humor und Witz gefeiert wird, äussern andere Kritik daran.
Moderator und Satiriker Jan Böhmermann zeigt sich begeistert und teilte eines der Videos auf seinem Twitter-Account. «Feuilleton, leg mal kurz den Hegel weg: Der Witz a.k.a. Humor ist am 14. November 2020 offiziell in staatlicher Kommunikation der Bundesrepublik Deutschland angekommen. Gibt es doch Hoffnung?»
Feuilleton, leg mal kurz den Hegel weg: Der Witz a.k.a. Humor ist am 14. November 2020 offiziell in staatlicher Kommunikation der Bundesrepublik Deutschland angekommen.
— Jan 🦠 MASKE AUF 😷 HÄNDE WASCHEN 🦠 Böhmermann 🤨 (@janboehm) November 15, 2020
In weiteren Tweets spricht Böhmermann sogar von einer «Kommunikationsrevolution» und teilt gegen Kritiker der Kampagne aus. «Gute Witze herzustellen, ist nicht einfach. Gute Witze kaputtmachen hingegen, kann jeder Vollidiot.»
Gute Witze herzustellen, ist nicht einfach. Gute Witze kaputtmachen hingegen, kann jeder Vollidiot.
— Jan 🦠 MASKE AUF 😷 HÄNDE WASCHEN 🦠 Böhmermann 🤨 (@janboehm) November 15, 2020
In dieselbe Kerbe schlägt auch Autor Sascha Lobo mit seiner Reaktion auf Twitter: «Deutsches Twitter selten knalldackeliger (und deutscher), als wenn diese brillanten Corona-Spots auf Krampf scheisse gefunden werden.»
als wenn diese brillanten Corona-Spots auf Krampf scheiße gefunden werden. Manche Leute erreicht man so und nur so, also lasst eure innere Abiturientenkonferenz EINMAL für 10 Minuten NICHT raushängen. #besondereHeldenpic.twitter.com/VjISUjWtis
Auch im Ausland zeigt man sich begeistert und vor allem überrascht, dass die Deutschen offenbar doch Humor haben – und blickt sogar mit etwas Eifersucht nach Berlin: Henry Mance, Journalist der «Financial Times» aus London, schreibt, er komme damit klar, dass Deutschland die Pandemie besser gehandhabt habe – doch dass sie lustiger als die Briten seien, damit könne er nicht umgehen.
I can handle the German pandemic response being better than ours, but I don’t think I can handle it being funnier https://t.co/PbcjKKzxSs
Journalist Philip Pickert hingegen kritisiert die Botschaft, die Krise auf der Couch auszusitzen. «Ich find es nicht so cool. Wie erkläre ich meinem 16-jährigen Sohn, dass er (entgegen dem Rat dieses Reg-Video) nicht tagelang auf der Couch liegen und ‹nix› tun, stattdessen lernen soll, damit nach wochen-/monatelagem Unterrichtsausfall die Schulkarriere nicht völlig versandet?»
Ich find es nicht so cool. Wie erkläre ich meinem 16-jährigen Sohn, dass er (entgegen dem Rat dieses Reg-Video) nicht tagelang auf der Couch liegen und "nix" tun, stattdessen lernen soll, damit nach wochen-/monatelagem Unterrichtsausfall die Schulkarriere nicht völlig versandet? https://t.co/pWEacITOP0
Ob nun gelungen oder nicht, die Clips sorgen definitiv für Aufsehen. Damit habe man vor allem erreicht, was man wollte, heisst es laut Horizont.net aus dem Bundespresseamt. Man freue sich «über viele positive Rückmeldungen und die Aufmerksamkeit, die so auf diese wichtige Botschaft gelenkt werden kann».