Kolumne Du trinkst Vitamine? Das frisst dich langfristig auf

Von Jürg Hösli

6.9.2021

Vitamingetränke sind immer häufiger in Fitnessstudios und in den Regalen der Grossverteiler zu finden.
Vitamingetränke sind immer häufiger in Fitnessstudios und in den Regalen der Grossverteiler zu finden.
Bild: Keystone

Die Namen der Produkte suggerieren Wellness oder einen optimalen Start in den Tag. Doch können die angereicherten Wässerchen halten, was sie versprechen?

Von Jürg Hösli

6.9.2021

Betrachten wir die Inhaltsstoffe dieser Produkte. Als Erstes erkennen wir meist die Antioxidantien Vitamin C, Zink, Selen und Vitamin E. Sie versprechen, den Stress im Körper zu reduzieren. Die Antioxidantien binden sogenannte freie Radikale, die als Ursache für körperlichen Stress bis hin zu schweren Erkrankungen gelten.

Das Problem ist nur: Stimmt das wirklich?

Hat unser Körper durch eine schlechte Ernährung eine Unterversorgung an diesen Stoffen, dann kann ein Ausgleich über ein Produkt durchaus einen positiven Effekt bringen. Verwenden wir frische Zutaten beim Kochen und essen über den Tag ausgewogen, ergibt sich hier aber sicherlich kaum je einen Mangel.

Was bringen Antioxidantien dann?

Zum Autor: Jürg Hösli 
Jürg Hösli
Bild: zVg

Jürg Hösli ist Ernährungswissenschaftler und greift gerne kontroverse Themen aus Sport, Psychologie und Ernährung auf. Er ist Begründer der Ernährungsdiagnostik und der Schule für Ernährungsdiagnostik erpse in Winterthur, Zürich und Solothurn.

Langfristig: nichts. Im Gegenteil, sie können unserem Körper sogar schaden. Unsere Zellen haben ein eigenes Verteidigungssystem und das sind eben die sogenannten Antioxidantien.

Dieses System muss auch trainiert werden. Dies machen wir im Alltag beim Sport, wenn wir uns länger bewegen oder bei einer Reduktionsdiät. Aufgepasst: Übertreiben wir es hier, geht der Effekt nach hinten los und wir überlasten das System. Es ist wie beim Sonnenbaden: Zu viel gibt keine Bräune, sondern Sonnenbrand.

Keine nachhaltige Lösung

Wenn wir nun Antioxidantien über unsere Vitaminwässerchen zuführen, reduzieren wir zwar den Stress für die Zelle. Aber damit machen wir quasi die Hausaufgaben für sie und sie muss sich nicht anpassen. Es ist dasselbe, wie wenn ich für meine Tochter die Hausaufgaben löse und sie dann an die Prüfung schicke. Haben wir nun einen Infekt oder längeren Alltagsstress, wird sich so das Entzündungsgeschehen umso mehr erhöhen.

Aber es kommt noch heftiger. Es gibt Studien, die belegen, dass Menschen, die über Nahrungsergänzungen erhöht Beta-Carotin, Vitamin A und E zuführen, ihr Leben nachweislich verkürzen. Und zumindest Vitamin E ist Inhaltsstoff von fast allen Vitaminwässerchen.

Gegenteiliger Effekt beim Fitness-Training

Viele dieser Produkte stehen im Fitnesscenter und werden beim Training konsumiert. Was wollen wir hier erreichen? Natürlich, dass unser Körper fitter und stärker wird. Nun haben wir aber ein Problem, wenn wir Vitaminwässerchen nehmen.

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Denn diese hemmen wiederum freie Radikale, die im Training produziert werden. Aber genau diese lösen die positiven Anpassungsreize aus, wofür wir eigentlich ins Fitnesscenter gehen.

Die Logik ist also klar. Entweder wir lassen die unnötigen Getränke weg und wir haben einen optimalen Trainingseffekt oder wir nehmen sie und müssen umso härter und länger trainieren. 

Nur mit Beipackzettel

Legen wir noch einen drauf. In vielen Produkten finden wir ausserdem Koffein. Dieses lässt einen die eigenen Grenzen über kurze Kicks eher überschreiten. Die Müdigkeit wird weniger wahrgenommen und der körperliche Stress umso grösser. Aber durch die zugeführten Antioxidantien wird das eigene Immunsystem weniger trainiert. Macht das nun wirklich Sinn?

Funktionelle Lebensmittel haben oft eine grössere Wirkung auf den Körper, als uns bewusst ist. Studien zeigen zwar, dass freie Radikale durch Antioxidantien verringert werden können im Körper. Aber dass es genau diese sind, die unseren Körper auf Trab halten, das wird eben nicht gesagt. Darum ist der Verkauf solcher Produkte eigentlich nur mit einem Beipackzettel sinnvoll und hat vor allem in einem ernstzunehmenden Fitnesscenter nichts zu suchen.


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In der Rubrik «Kolumne» schreiben Redaktorinnen und Redaktoren, freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von «blue News» regelmässig über Themen, die sie bewegen. Leserinnen und Leser, die Inputs haben oder Themenvorschläge einreichen möchten, schreiben bitte eine E-Mail an: redaktion.news@blue.ch