Skiunfälle Chirurg warnt: «Der Knochen braucht Zeit zum Heilen»

Marianne Siegenthaler

24.1.2019

Skiunfälle in der Schweiz: Über 90 Prozent von ihnen verunfallten selber. In rund 6 Prozent der Fälle waren Zusammenstösse der Grund für Verletzungen.
Skiunfälle in der Schweiz: Über 90 Prozent von ihnen verunfallten selber. In rund 6 Prozent der Fälle waren Zusammenstösse der Grund für Verletzungen.
Bild: Keystone

Ob auf der Piste oder auf dem vereisten Trottoir – ein Sturz ist schnell passiert. Ist der Aufprall sehr stark, kann auch mal ein Knochen brechen. Chirurg Adrian Schwaller beantwortet die wichtigsten Fragen zum Thema Knochenbruch.

Herr Schwaller, haben Sie sich auch schon mal einen Knochen gebrochen?

Ja. Aber zum Glück nur eine Zehe und das Nasenbein beim Segeln.

Woran erkenne ich als Laie einen Knochenbruch?

Da sind einerseits starke Schmerzen. Der Knochen selbst hat zwar kaum Nerven, aber die Knochenhaut, welche den Knochen umgibt, enthält Nerven und Blutgefässe und reagiert deshalb sehr empfindlich. Anderseits sind die Bewegungen eingeschränkt und je nach Art des Bruchs ist eine abnorme Fehlstellung sichtbar.

Wie kann ich helfen, wenn sich auf der Skipiste jemand das Bein bricht?

Die Bruchstelle sollte wegen der starken Schmerzen möglichst nicht bewegt werden. Allenfalls kann man sie mit einer zusammengerollten Jacke stabilisieren. Ganz wichtig ist, dass man den Verunfallten beruhigt und dafür sorgt, dass er nicht friert, bis der Rettungsdienst kommt.

Heutzutage sind Skisportler häufig sehr schnell unterwegs und teils auch mit anderen Techniken als früher, also zum Beispiel Carving. Hat das einen Einfluss auf die Art der Knochenbrüche?

Beim Carving kann es zu Ausrenkungen, oft in Verbindung mit Brüchen im Schulterbereich kommen. Im Kniebereich ist ein Riss des vorderen Kreuzbandes, oft in Verbindung mit einem Bruch des Schienbeinkopfes, möglich.

Was geschieht mit dem Patienten im Spital?

Der Patient wird dort mit Schmerzmitteln versorgt und auf Zusatzverletzungen kontrolliert. Dann wird eine gezielte Röntgenaufnahme gemacht, um den Bruch zu analysieren. Gegebenenfalls müssen computertomografische Aufnahmen folgen. Dann wird der Bruch stabilisiert, entweder mit einer Gipsschiene, spezielle Verbänden oder mit einem Metallgestell, also einem so genannten Fixateur externe.

Dr. med. Adrian Schwaller, Facharzt für Chirurgie FMH, speziell Allgemein- und Unfallchirurgie, ist Belegarzt am Spital Männedorf, an der Rosenklinik Rapperswil sowie an der Privatklinik Bethanien. Zudem führt er eine eigene Praxis als Chirurg FMH im Bauchzentrum Rapperswil-Jona.
Dr. med. Adrian Schwaller, Facharzt für Chirurgie FMH, speziell Allgemein- und Unfallchirurgie, ist Belegarzt am Spital Männedorf, an der Rosenklinik Rapperswil sowie an der Privatklinik Bethanien. Zudem führt er eine eigene Praxis als Chirurg FMH im Bauchzentrum Rapperswil-Jona.
Bild: zVg

Und dann wird operiert?

Eine Operation ist nicht immer zwingend nötig. In manchen Fällen hilft eine Ruhigstellung, beispielsweise mit einem Gipsverband. Ob operiert werden muss, hängt von verschiedenen Faktoren ab: Liegt eine Fehlstellung vor und würde der Knochen ohne Operation falsch zusammenwachsen? Handelt es sich um eine sogenannten Trümmerfraktur, bei der der Knochen in mehrere Stücke gebrochen ist? In diesen Fällen schafft eine Operation die Möglichkeit, den Knochen so zu stabilisieren, dass er in der anatomisch richtigen Lage heilen kann. Auch bei einem offenen Bruch, bei welchem der Knochen durch die Haut nach aussen dringt, muss meist operiert werden.

Wie gehen Sie bei einer solchen Operation vor?

Zuerst wird der gebrochene Knochen in die korrekte anatomische Lage gebracht. Das geschieht unter Voll- oder Teilnarkose. Danach wird er fixiert. Zu diesem Zweck gibt es heute eine grosse Auswahl an Implantaten wie Nägel, Schrauben, Platten und Prothesen aus Edelstahl oder Titanlegierungen.

Was hat sich im Gegensatz zu früher geändert?

Früher machte man einen grossen Schnitt an der Bruchstelle und verletzte damit die Weichteile ein zweites Mal. Haut, Muskeln, Nerven und Gefässe müssen aber geschont werden. Die Knochenhaut beispielsweise ist elementar für den Heilprozess, denn sie liefert die Grundlagen für die Neubildung des Knochens. Heute wird deshalb oft minimalinvasiv gearbeitet.

Was heisst das konkret?

Über kleine Zugänge, die entfernt vom Bruch ins gesunde Gewebe gelegt werden, gelangt der Chirurg mit den passenden Implantaten zum Knochen. Die Platten sind so konzipiert, dass diese durch kleine Hautschnitte und mit Hilfe von Zielgeräten zur Bruchstelle geführt werden können. Sitzt die Metallplatte oder der Nagel perfekt, werden über weitere kleine Schnitte in die Haut Schrauben in die Platte oder den Nagel gesetzt. Auf Bildschirmen, die eine Art Röntgenfilme übertragen, kann die Operation verfolgt und das Implantat optimal platziert werden.

Wie lange dauert ein solcher Eingriff?

Das kann man nicht pauschal sagen. Die Dauer des Eingriffs hängt von den Verletzungen, der Komplexität und den erforderlichen Massnahmen ab.

Gibt es Risiken?

Wie jeder operative Eingriff birgt auch dieser gewisse Risiken. Die kleinen Schnitte bei minimalinvasiven Operationen haben aber den Vorteil, dass es zu weniger Infektionen, geringeren Beschwerden und eine raschere Erholung kommt.

Was passiert nach der Operation?

Jetzt ist es ganz wichtig, dass der Patient so rasch als möglich wieder aktiv wird. Mit Ausnahme des gebrochenen Knochens müssen sämtliche Gelenke des verletzten Gliedes sowie der übrige Körper bewegt werden – sei dies aus eigener Kraft unter Anleitung eines Therapeuten oder mit Hilfe von Bewegungsschienen. Die Fraktur muss so stabil versorgt sein, dass sich der Verunfallte zumindest mit Teilbelastung bewegen kann.

Weshalb ist das so wichtig?

Der Mensch ist nicht zum Liegen geschaffen. Langes Liegen birgt erhebliche gesundheitliche Risiken. Dazu gehören unter anderem Wundliegen, Thrombosen oder Lungenentzündungen. Gerade bei älteren Menschen kann das lange Liegen von der Pflegebedürftigkeit bis zum Tod beispielsweise durch Lungenembolie führen.

«Handwurzelknochen benötigen mehr Zeit für die Heilung.»

Operation oder Gips – was heilt einen Knochenbruch schneller?

Das spielt keine Rolle, denn der Knochen braucht in jedem Fall einfach seine Zeit zum Heilen. Und die Dauer ist von verschiedenen Faktoren abhängig. Welcher Knochen ist betroffen? Wie gut sind die Weichteile und die Durchblutung? Leidet der Patient unter Diabetes mellitus? Raucht er? Je nachdem, welcher Knochen betroffen ist, heilt er innerhalb von vier bis sechs Wochen so stabil aus, dass er voll belastet werden kann.

Gibt es Knochen im menschlichen Körper, die besonders gut beziehungsweise besonders schlecht zusammenwachsen?

Gewisse Handwurzelknochen benötigen mehr Zeit für die Heilung. Und ganz allgemein heilen die im Wachstum begriffenen Knochen des Kindes viel schneller als die des Erwachsenen.

Manchmal kann man beim Heilprozess eine Verdickung an der Bruchstelle beobachten. Wie kommt es dazu?

Das ist der sogenannte Kallus. Dabei wird von speziellen Knochenzellen temporär mehr Knochenmaterial im Bereich des Bruches angebaut, damit eine Stabilität entsteht. Dieser Kallus wird, wenn der Knochenheilungsprozess abgeschlossen ist, wieder abgebaut,  sodass man nach einigen Jahren kaum mehr sieht, dass da einmal ein Bruch war.

Welche Knochen brechen am häufigsten?

Die Knochen im Handgelenksbereich. Es ist die typische Fraktur, die entsteht, wenn man versucht einen Sturz mit der ausgestreckten Hand abzufangen. Die ganze Wucht des Aufpralls überträgt sich auf das Handgelenk. Bei älteren Menschen sind hüftgelenksnahe Brüche häufig.

Haben Sie Tipps, wie man das Risiko eines Knochenbruchs minimieren kann?

Knochen brauchen eine gewisse Belastung. Um die Knochensubstanz zu erhalten, braucht es Bewegung. Nicht zuletzt spielt bei Frauen die hormonelle Situation eine Rolle. Mit steigendem Alter nehmen die weiblichen Hormone ab, was sich negativ auf die Knochen auswirkt. Für Frauen wie auch für Männer in fortgeschrittenem Alter ist sicher auch die Sturzprävention wichtig.

Letzte Frage: Sie haben eine Erstausbildung als Maschinenmechaniker absolviert. Inwiefern kommt Ihnen dies in Ihrer Tätigkeit als Chirurg zugute?

Als Maschinenmechaniker habe ich dreidimensionales Denken sowie den Umgang mit Schrauben und Platten, Bohrer und Drehmomentschlüssel gelernt und kenne auch die verschiedenen Materialien. Dieses Wissen sowie das Handwerk kommt auch bei meiner chirurgischen Tätigkeit zum Tragen.

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