Nervende «Ego-Plauderis» Gesprächsnarzissten: So zieht man Tonangebern den Stecker

Von Runa Reinecke

13.9.2019

Wer ständig «ichig» kommuniziert, kann anderen schnell auf die Nerven gehen. 
Wer ständig «ichig» kommuniziert, kann anderen schnell auf die Nerven gehen. 
Bild: iStock

Ich, ich, immer nur ich. Jeder kennt mindestens einen Menschen, bei dem sich alles stets um das eigene Ego dreht. Wie geht man mit solchen Artgenossen um? Ein Experte weiss Rat.

Ein gutes Gespräch ist wie ein Fangspiel: Der eine wirft den Ball, der andere fängt ihn auf und wirft ihn wieder zurück. Doch es gibt auch noch diejenigen, die den Ball nicht mehr loslassen wollen; Menschen, für die sich die Welt nur um sie selbst zu drehen scheint. Leute, die erzählen und erzählen und darüber offenbar völlig vergessen, dass eine Konversation eben kein Monolog ist.

Der US-amerikanische Soziologe Charles Derber hat diesem, einer Unterhaltung nicht gerade gedeihlichen Verhalten einen Namen gegeben: conversational narcissism. Ins Deutsche lässt sich das in «konversationaler Narzissmus» – oder noch verständlicher, in «Gesprächsnarzissmus» –übersetzen.

Der Begriff beschreibt den immerwährenden Wunsch einer Person, eine Konversation zu führen und die Aufmerksamkeit thematisch dabei stets auf sich selbst und (zurück) zu lenken. Darüber vergisst der Sender, dass die Schilderung von Erfahrungen und Ansichten im fortdauernden Einbahnstrassenmodus nicht immer interessieren, dem Empfänger vielleicht sogar gewaltig auf die Nerven gehen können.

Aufs ich geeicht

«Solche Menschen sind meist sehr empfindlich und setzen alles dran, ihren Stil durchzuziehen, um möglichst viel Beifall zu erhalten», weiss der Winterthurer Psychologe und Psychotherapeut Jakob Scherrer.

Wie so vieles verfolgt auch das «ichige» Gesprächsverhalten einen Zweck. Wissenschaftler der Harvard-Universität (USA) fanden heraus, dass das Belohnungszentrum im Gehirn aktiviert wird, sobald wir etwas über uns selbst erzählen. Das löst ähnlich lustvolle Empfindungen aus wie der Genuss eines feinen Essens und erklärt, warum sich Gespräche im Durchschnitt zu 30 bis 40 Prozent um eigene Erfahrungen drehen.

Noch ich-bezogener geht es auf Social-Media-Plattformen zu: Bei Facebook, Twitter, Instagram und Co. bestehen die Inhalte zu 80 Prozent aus Egopostings.


Längst nicht jeder, der durch ein besonders gesprächsdominantes Verhalten auffällt, leidet unter einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Auch Jakob Scherrer warnt davor, Menschen leichtfertig als Narzissten abzustempeln: «Jeder Mensch verfügt über verschiedene Persönlichkeitsanteile. Die einen sind stärker, andere schwächer ausgeprägt.» Narzissten seien, so der Experte, psychisch kranke Menschen, und es bedürfe immer eines grossen Anteils dieser Verhaltensauffälligkeit in verschiedenen Lebensbereichen, damit eine Fachperson eine gesicherte Diagnose stellen könne.

«Die Qualität jeder Interaktion hängt von den Absichten der einzelnen Beteiligten ab, Aufmerksamkeit zu suchen beziehungsweise zu teilen. Eine Wettbewerbssituation entsteht, wenn die Leute versuchen, ihre Aufmerksamkeit hauptsächlich auf sich selbst zu lenken. Nur wenn alle Gesprächsteilnehmer dazu bereit und in der Lage sind, gelingt ein Zusammenspiel.»

Charles Derber, Soziologe

Metakommunizieren oder Desinteresse zeigen

Dass gewisse Menschen gern im Mittelpunkt stehen und eine eher tonangebende Rolle einnehmen, hält Jakob Scherrer grundsätzlich für keine schlechte Eigenschaft: «Jeder Mensch verfügt über kleinere solcher Anteile, die meist nicht stören. Sie können eine Gesprächsrunde auflockern und natürlich gestalten, solange nichts aus dem Ruder läuft.»

Doch was ist zu tun, wenn die Situation überbordet? Sich eine Person verbal stets in den Vordergrund drängt und sämtliche Versuche anderer, selbst etwas zum Gespräch beizutragen, verhindert?

Eine Möglichkeit besteht darin, dem Gegenüber – unterstützt durch Gestik und Mimik – Desinteresse zu signalisieren. Oder aber man richtet den Gesprächsfokus mit vernehmlicher Stimme auf einen anderen Anwesenden: «Weil wir gerade beim Thema Strassenverkehr sind. Hans-Ueli, du hast doch kürzlich auch so etwas erlebt. Erzähl doch mal …»

Wenn das alles nichts nützt, empfiehlt Jakob Scherrer die Metakommunikation: «Hilfreich ist, das Gespräch stärker auf den Sachaspekt und weniger auf die persönlichen Erfahrungen eines Einzelnen zu lenken.» Das gelinge, indem man die betreffende Person respektvoll und ruhig darum bitte, langsam auf den Punkt zu kommen.

Und wie steht es damit, den «Ego-Plauderi» direkt auf das Problem anzusprechen? Scherrer hält das für die «Ultima Ratio». Damit laufe man Gefahr, dass es zum Eklat komme und die Beziehung zum Betroffenen einen schweren Bruch erlebe.

Wer selbst dazu neigt, Gespräche förmlich an sich zu reissen, dem empfiehlt Jakob Scherrer, eine nahestehende Person um ein ehrliches Feedback zum eigenen Gesprächsverhalten zu bitten. Nur wer sich die eigenen Fehler bewusst macht, lernt, es zukünftig besser zu machen.

Schon beim nächsten Fangspiel könnte es dann gelingen: Punkte zu machen, indem man den Ball auch mal anderen zuwirft.

Der psychologische Baumtest

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