Fitness-Coach Dave Dollé«Jesses, 15 Minuten für die Gesundheit, es wäre so einfach»
Sulamith Ehrensperger
29.1.2021
Viele gewohnte Routinen sind mit Corona weggebrochen. Was braucht es, um dennoch gesund zu bleiben? Wie man dem Körper auf die Sprünge hilft, weiss Gesundheitscoach Dave Dollé.
Herr Dollé, was bewegt die Leute zu Zeiten von geschlossenen Sportanlagen und Isolation im Homeoffice am meisten?
Ganz klar: Was kann ich machen, um gesund zu bleiben, wenn die gewohnten Fitnessangebote wegfallen? Viele sagen: Ich weiss, dass mir das Training guttut, aber zu Hause, ohne Dynamik von aussen, bewege ich mich nicht freiwillig.
… und wie bewegt man sich eben doch?
Es kann helfen, sich einer virtuellen Gruppe anzuschliessen. Auch ein virtuelles Tool, etwa eine App oder ein Online-Programm, kann den nötigen Schub geben. Inzwischen bringen auch Firmen ihre Mitarbeiter mit Challenges in Bewegung. Jeder trainiert für sich, virtuell aber tun sie es in der Gruppe. Wer die meisten Schritte oder Kilometer auf dem Hometrainer schafft, gewinnt. Vielleicht fragen Sie mal bei Ihrem Arbeitgeber nach?
Ob der Vorstellung zwischen Bürotisch und Sofa zu trainieren, dürften wohl viele nicht gerade Luftsprünge machen. Wie kriegen Sportmuffel trotzdem die Kurve?
Ganz einfach: Nehmen Sie den Daumen raus. Es ist zurzeit für niemanden kuschelig und perfekt. Draussen ist es zu kalt, drinnen ist es zu eng, das Kind oder der Hund stört beim Training – Sie können tausend Ausreden finden. Natürlich ist Youtube-Yoga nicht das Gleiche wie im Studio mit einer Lehrerin und bei Kerzenschein. Aber es ist das, was zurzeit möglich ist. Man nimmt sich also etwas vor und sagt sich: Ich ziehe das durch. Es ist ja nicht für immer.
Zur Person: Dave Dollé
zVg
Dave Dollé ist Fit Lifestyle Coach, Gesundheitscoach und -Unternehmer. Bekannt wurde der ehemalige Schweizer Leichtathlet durch den Schweizer Rekord über 100 Meter, gelaufen 1995 in La Chaux-de-Fonds.
Was würde helfen, damit ich das leichter hinkriege?
Starten Sie nicht gleich mit einem brachialen Highintensity-Training, das Sie irgendwo im Internet gefunden haben oder mit dem Vorhaben jeden Morgen um 5 Uhr joggen zu gehen. Steigen Sie mit etwas Einfachem ein, etwas das Sie motiviert, weiterzumachen. Vielleicht ist es einfach mal ein Stretching, aus diesem heraus entwickelt sich plötzlich die Lust, etwas mehr zu machen.
Welche Ziele muss ich mir setzen, damit ich dranbleibe?
Wer sich ein Ziel setzt, hat sich entschieden, dieses zu erreichen. Das heisst, das Training ist verbindlich. Beim Arbeiten kann ich auch nicht sagen: Heute habe ich keine Lust, ich gehe nicht hin. Das Training ist ebenfalls nicht optional. Wer wirklich wenig Zeit hat, plant sich ein 15-minütiges Mini-Programm ein: Eines, das einen nicht komplett schlaucht, sich dafür ohne Wenn und Aber durchziehen lässt. Jesses, 15 Minuten für die Gesundheit, es wäre so einfach! Aus dieser Viertelstunde kann etwas Gutes entstehen, wenn man dranbleibt. Aber irgendwann muss man eben damit anfangen.
Was heisst das konkret für alle, die keinen Plan haben?
Einen Entscheid treffen, was man verändern will: Ich will mehr Gesundheit, mehr Haltung, weniger Rückenschmerzen, ein paar Kilos abnehmen oder Muskeln aufbauen. Die zweite Frage lautet: Wie viel will ich verändern? Bis wann? Und dann: machen! Ist das Ziel realistisch und konkret formuliert, hilft das sehr. Beispielsweise wenn Sie müde sind und sich fragen, weshalb Sie 15 Minuten in Sport investieren sollen, haben Sie eine Antwort darauf: Weil ich mein Ziel erreichen will.
Schreibt man sich das Training immer zur gleichen Zeit in der Agenda ein?
Wenn Sie das Training an Ihre Agenda delegieren, sagt Sie Ihnen, wann es Zeit dafür ist. Das ist praktisch. Ich denke, das Wichtigste ist aber, herauszufinden, wann der stabilste Zeitpunkt im Tagesablauf fürs Training ist. Dann möglichst konkret werden: jeden zweiten Morgen um 7 Uhr, in der Mittagspause oder abends nach der Arbeit. Das ist sehr individuell.
Der Lockdown vergangenen Frühling hat der Gesundheit geschadet, sagt eine Studie aus Grossbritannien. Es wurde mehr Alkohol getrunken, weniger Früchte gegessen und weniger Sport getrieben. Warum schlägt die Situation derart vielen aufs Gewicht?
Es gibt tatsächlich spannende Zusammenhänge: Wer sich weniger bewegt, produziert weniger glücklichmachende Hormone. Fehlen diese, versuchen wir Glücksgefühle meist mit bestimmtem Essen zu stimulieren. Doch diese Kalorien verbraucht der Körper nicht, weil ich mich ja weniger bewege. Also nehme ich zu, was mich wiederum unglücklich macht. Zur Abwärtsspirale trägt aber auch die Schlafqualität bei. Denn je weniger aktiv ich bin, desto schlechter kann ich schlafen. Am nächsten Tag fehlt mir Energie, und wer groggy ist, mag sich nicht bewegen.
Wie findet man aus dieser Abwärtsbewegung wieder raus?
Den Ausweg finden Sie, indem Sie aktiv werden. Die Rechnung ist ganz einfach: Wer sich bewegt, hat weniger Lust auf ungesundes Essen, kann besser schlafen und wird fitter.
Kommt die Balance auch ins Wanken, weil im Homeoffice viele soziale Kontakte wegfallen? Das heisst: Mir schaut ja keiner zu bei dem, was ich mache.
Absolut. Ich habe Kunden, die während des Lockdowns sechs bis acht Kilo zugenommen haben. Zu Zeiten von Homeoffice sieht es ja keiner, denken viele, und dass sie dann abnehmen wollen, wenn sie wieder rausgehen. Das ist übrigens ein wiederkehrendes Phänomen. Jedes Jahr im Frühling strömen die Leute zum Sport, weil sie sich fit für Badehose und Bikini machen wollen.
Was braucht es an minimalem Bemühen, um ein gesundes Gewicht zu halten?
Um gesund zu bleiben, braucht es nicht sehr viel. Wer zusätzlich um die 200 bis 300 Kilokalorien pro Tag verbraucht, tut schon viel für seine Gesundheit, fühlt sich wohl, kann sein Gewicht halten und schläft besser. Wenn ich gesund bin, heisst das allerdings noch nicht, dass ich auf dem Bike den Uetliberg bezwingen kann. Dafür braucht es einen Extra-Effort.
Wie komme ich als Anfänger auf den Geschmack, endlich Sport zu treiben?
Informieren Sie sich. Viele wollen planlos loslegen. Aber ohne Plan funktioniert es nicht. Eine gute App oder ein Online-Angebot, ein Kollege, mit dem man mitziehen oder ein Coaching, wo Social Distancing eingehalten werden kann, sind als Anfangsinvestition extrem nützlich. Ich muss zugeben, auch bei Youtube gibt es extrem gute Trainingsfilmchen, die muss man aber erst finden. Wichtig ist hier: Mein Gradmesser bin ich – und nicht etwa der durchtrainierte Youtuber, der vor der Kamera herumhüpft. Vom Zuschauen wird man nicht fit.
Ihr Tipp, damit mich die Motivation langfristig begleitet?
Auch der kleinste Erfolg führt dazu, dass Sie motivierter sind, um weiterzumachen. Es ist daher wichtig, sich der eigenen Fortschritte bewusst zu sein. Jeder Mini-Erfolg hilft, es das nächste Mal wieder über sich ergehen zu lassen. Wenn Sie auch nur drei Liegestützen mehr schaffen oder beim Joggen 20 Sekunden schneller waren als das letzte Mal, sind das motivierende Erfolge. Es sind wichtige Schritte hin zum Ziel, vielleicht bald etwas Strengeres, Komplizierteres und Grösseres zu schaffen.