Körperkontakt Warum es manchen Menschen vor Umarmungen graut

kd

25.9.2018

Eine innige Umarmung von der besten Freundin? Ein schönes Gefühl - sagen die meisten Menschen. Es gibt aber auch jene, die Körperkontakt lieber aus dem Weg gehen.
Eine innige Umarmung von der besten Freundin? Ein schönes Gefühl - sagen die meisten Menschen. Es gibt aber auch jene, die Körperkontakt lieber aus dem Weg gehen.
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Ob man gern umarmt oder nicht – es hängt womöglich von den Umgangsformen im Elternhaus ab. Die Wissenschaft glaubt an einen Zusammenhang zwischen der frühkindlichen Erziehung und der Vorliebe für innige Umarmungen im Erwachsenenalter.

Küsschen – drei, zwei oder eins –, Schultern tätscheln oder eine innige Umarmung, es gibt unzählige Begrüssungsformen, die jedoch alle eines gemeinsam haben: Wir lassen unser Gegenüber für einen kurzen Moment ganz nahe an uns heran. 

Für die meisten ist das kein Problem. Doch es gibt auch Menschen, die jeglichen Körperkontakt, besonders mit Fremden oder flüchtigen Bekannten, scheuen. Für jene sind genau diese sozialen Umgangsformen schon vor dem eigentlichen Kontakt ein Albtraum.

Damit Begrüssungen nicht zum Spiessrutenlauf werden, bleiben ihnen nur gerade drei Möglichkeiten: Sie können ihrem Gegenüber umständlich ausweichen, die Hand zum förmlichen Handschlag hinstrecken oder sich schicksalsergeben in die offenen Arme ihres Gegenübers sinken lassen.

Pro oder Contra Umarmungen - woran liegt's?

Weshalb aber blühen manche bei Körperkontakt auf, während es anderen regelrecht davor graut? Die Wissenschaft sieht den Ursprung dieser Vorliebe oder Abneigung in den Umgangsformen im Elternhaus. 

Eine Studie aus dem Jahre 2012 untermalt diese These und kommt zum Schluss, dass Umarmungen einen wichtigen Bestandteil in der emotionalen Entwicklung eines Kindes darstellen. Kinder, die häufig von ihren Eltern, Grosseltern oder Geschwistern umarmt wurden, werden also eher zu «Umarmern» als jene, die körperlich distanzierter aufgewachsen sind. 

Körperkontakt, ja oder nein? Das ist auch ein Frage von Kultur und Tradition. In Puerto Rico berühren sich Freunde, einer Studie aus dem Jahre 2010 zufolge, bis zu 180 mal pro Stunde. In Frankreich sind es noch 110 mal, in den USA ausschliesslich im Freudentaumel und in England fand in der gleichen Zeit überhaupt kein Körperkontakt statt.
Körperkontakt, ja oder nein? Das ist auch ein Frage von Kultur und Tradition. In Puerto Rico berühren sich Freunde, einer Studie aus dem Jahre 2010 zufolge, bis zu 180 mal pro Stunde. In Frankreich sind es noch 110 mal, in den USA ausschliesslich im Freudentaumel und in England fand in der gleichen Zeit überhaupt kein Körperkontakt statt.
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Ob man nun in einer Familie von «Umarmern» grossgeworden ist, oder ob physische Kontakte eher vermieden wurden, scheint in zweierlei Hinsicht eine bleibende physiologische Wirkung zu haben.

Zum einen hemme der fehlende Körperkontakt die Entwicklung des Vagusnervs (Nervenstrang zwischen Rückenmark und Unterleib), der unter anderem unsere Fähigkeit zu Mitgefühl, Intimität und Innigkeit beeinflusst. Zum anderen werde die Produktion vom auch Kuschelhormon genannten Oxytocin im Körper stark beeinträchtigt.

Oxytocin beeinflusst nicht nur das Verhalten von Mutter und Kind und von Geschlechtspartnern, sondern auch unsere Haltung in der sozialen Interaktion. Fehlt dieses Hormon, oder ist die Entwicklung beeinträchtig, sind oft auch Kontaktfreude und Geselligkeit weniger stark ausgeprägt.

Ebenso gebe es einen Zusammenhang zwischen der Vorliebe für Umarmungen und dem Selbstbewusstsein eines Menschen. Unsichere Menschen mit einem geringeren Selbstwertempfinden sind häufig auch jene, die vor Körperkontakt zurückschrecken. Wobei gerade die Angst vor gesellschaftlichen Begrüssungsritualen und Umgangsformen diese Unsicherheit im sozialen Kontakt noch verstärkt.

Der Umgang mit «Nicht-Umarmern»

Das renommierte «Emily Post Institute», das sich mit der Etikette in Alltag und Geschäftsleben befasst, empfiehlt im Umgang mit «Nicht-Umarmern» ganz auf Berührungen zu verzichten, egal ob es sich beim Gegenüber um eine neue oder alte Bekanntschaft handelt.

Im Zweifel solle man auf die Körpersprache achten, so der Expertenrat. Häufig empfiehlt es sich, die betreffende Person nicht gleich an die eigene Brust zu ziehen. Ein Blick in die Augen seines Gegenübers kann Aufschluss geben, ob jemand umarmt möchte oder eben nicht.

Deshalb sind Umarmungen so gesund

Wer sich mit Körperkontakt schwertut, sollte seine Aversion vielleicht noch einmal überdenken – die Vorzüge einer Umarmung auf unsere Gesundheit sind wissenschaftlich erwiesen.

Eine Studie der Carnegie Mellon Universität belegte den positiven Effekt von körperlicher Zuneigung, wie häufiges Umarmen oder Kuscheln, auf unser Immunsystem. Ganze 32 Prozent dieses Immun-Boosts werden der stresslindernden Wirkung einer Umarmung auf unseren Körper zugeschrieben.

Die «Ghetto-Faust» hat ihren Ursprung in der Bronx, die sich spielerisch treffenden Fäuste signalisieren, dass man keine Waffen trägt. Auch bei uns sieht man diese Begrüssungsform immer häufiger.
Die «Ghetto-Faust» hat ihren Ursprung in der Bronx, die sich spielerisch treffenden Fäuste signalisieren, dass man keine Waffen trägt. Auch bei uns sieht man diese Begrüssungsform immer häufiger.
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Also: Wer häufig umarmt, oder umarmt wird, hält sein Immunsystem in Schwung. Wer trotzdem noch immer nicht überzeugt ist, den freut es vielleicht zu hören, dass die «Ghetto-Faust» nicht nur die Begrüssung mit dem geringsten Körperkontakt ist, sondern erwiesenermassen auch die hygienischste – und jene mit dem höchsten «Coolness-Faktor».

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