Interview «Männer gehören eher zu den Sonnenschutzmuffeln»

Von Runa Reinecke

11.6.2020

Sonnenbrand – der absolute Supergau für die Haut. Bild: Getty Images
Sonnenbrand – der absolute Supergau für die Haut. 
Bild: Getty Images

Nirgendwo sonst in Europa erkranken so viele Männer an schwarzem Hautkrebs wie in der Schweiz. Ein Dermatologe über brandgefährliche Schönheitsideale, UV-Schutz fürs Büro und fragwürdige Inhaltsstoffe in Sonnencremes.

Wer sich draussen aufhält, hat ein um das etwa 19-fach geringere Risiko, sich mit dem neuartigen Coronavirus anzustecken. Das legt eine aktuelle Preprint-Studie aus Japan nahe. 

Doch auch die zu dieser Jahreszeit besonders starke UV-Strahlung sollten wir keinesfalls auf die leichte, unbedeckte Schulter nehmen. Was jahrelange, intensive Sonnenbestrahlung mit unserer Haut anstellt und warum sogar im Büro Hautschäden drohen, haben wir vom Dermatologen Prof. Dr. Dr. med. Antonio Cozzio erfahren.

Herr Cozzio, haben Sie heute Morgen eine Sonnenschutzcreme aufgetragen?

Jetzt haben Sie mich schon bei der ersten Frage erwischt. Nein, heute nicht – aber das tue ich in der Regel, und das macht auch Sinn.

Obwohl Sie sich, wie die meisten anderen Berufstätigen, tagsüber in geschlossenen Räumen aufhalten?

Nur die UV-B-Strahlen, die akute Schäden wie einen Sonnenbrand hervorrufen können, werden mehrheitlich durch Glas abgehalten. Anders die UV-A-Strahlen: Sie dringen durch Fensterscheiben und schädigen die DNA der Hautzellen, wodurch sich später eine Hautkrebserkrankung entwickeln kann. Ausserdem altert die Haut schneller, wenn wir sie UV-Licht aussetzen.

Und das auch dann, wenn es bewölkt und regnerisch ist …

UV-A-Strahlen lassen sich selbst von einer dicken Wolkendecke nicht abhalten; solange der Tag hell ist, kommen neben den Lichtstrahlen auch UV-Strahlen auf der Erde an.

Wie wichtig ein effektiver Sonnenschutz selbst bei trübem Wetter ist, zeigt sich ganz besonders bei immunsupprimierten Patienten: Sie müssen wegen einer Autoimmunerkrankung oder nach einer Organtransplantation mit Medikamenten behandelt werden, die das Immunsystem herunterfahren. Dadurch haben sie ein 60- bis 200-fach höheres Risiko als Gesunde, an hellem Hautkrebs zu erkranken.

Zur Person: Antonio Cozzio
Prof. Dr. Dr. Antonio Cozzio ist Chefarzt der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie des Kantonsspitals St. Gallen

Bild: zVg

Manche Sonnenschutzprodukte enthalten Stoffe wie Benzophenone, die Allergien auslösen können und in Verdacht stehen, Einfluss auf das körpereigene Hormonsystem zu nehmen. Gibt es unbedenklichere Alternativen?

Anders als etwa in den USA versucht man in Europa weitgehend auf UV-Filter der Benzophenone-3 Gruppe zu verzichten, die in Produkten mit chemischem UV-Filter enthalten sein können. Allerdings stützen sich die bisherigen Erkenntnisse zu den hormonellen Einflüssen einzig auf Tierstudien, in denen man Ratten grosse Mengen solcher Stoffe über die Nahrung, also nicht über die Haut, verabreicht hatte. Dennoch empfehlen wir für Kinder einen Sonnenschutz mit physikalischem Filter.

Worin besteht der Unterschied zwischen einem chemischen und einem physikalischen UV-Filter?

Während der chemische UV-Filter in die Haut einzieht und dort seine Schutzfunktion etwa 20 Minuten nach dem Auftragen entfaltet, funktioniert der physikalische Sonnenschutz mittels kleiner, reflektierender Partikel auf der Haut. Der Schutz besteht sofort nach dem Eincremen. Als Nachteil empfunden wird aber, dass er weisseln kann, die Haut also sehr viel heller erscheinen lässt, als sie ist.

Andererseits sieht man sofort, wo man sich bereits eingecremt hat und wo man noch nachcremen muss. Allerdings ist ein weiterer Vorteil von vielen physikalischen Sonnenblockern, dass sie auch das fürs Auge sichtbare blaue Licht, das auch zum Spektrum des Sonnenlichts gehört und die Haut ebenfalls schädigen kann, reflektieren können.

Welcher Lichtschutzfaktor ist sinnvoll?

Ich rate zu einem Sonnenschutzprodukt mit hohem Lichtschutzfaktor, am besten 50, nicht unter 30. Erfahrungsgemäss reduziert sich der Faktor dadurch, dass die Creme viel zu dünn aufgetragen wird. Schwitzt man dann noch, ist man schnell nicht mehr bei Faktor 50, sondern eher bei 30. Nach dem Baden würde ich empfehlen, nochmal nachzucremen.

Wenn man sich bereits zwei Stunden an der Sonne aufgehalten hatte, ist das Nachcremen nicht zielführend: Dann ist es besser, den Rest des Tages im Schatten zu verbringen. Sonnencremen sollen uns vor der Sonne schützen, aber sie sollten nicht dazu verleiten, länger an der Sonne zu bleiben.

Das Hormon Vitamin D wird infolge Sonnenexposition selbst vom Körper gebildet. Besteht wegen eines zu hohen Sonnenschutzes nicht die Gefahr eines Vitamin-D-Mangels?

Ein absolut perfekter Sonnenschutz verhindert, dass keine UV-B-Strahlung mehr bis zur Haut vordringt und der Körper dadurch kaum noch selbst Vitamin D produzieren kann. Das wäre der Fall, wenn jemand zum Beispiel eine vollständige Tag/Nacht-Umkehr lebt – tagsüber verdunkelt schlafen, in der dunklen Nacht aktiv. Soweit zur Theorie.

Viel realistischer ist, dass man nicht immer und überall komplett vor der Sonne geschützt ist: Im Sommer braucht es nur wenige Minuten Sonneneinstrahlung auf einer kleinen Körperfläche, etwa im Gesicht oder an den Händen, um genug Vitamin D zu bilden. Vitamin D ist für die Funktion unterschiedlicher Prozesse im Organismus wie dem Immunsystem wichtig.

Ob es in ausreichender Menge zur Verfügung steht, lässt sich über eine Blutwertkontrolle beim Arzt feststellen. Besteht ein Mangel, kann dieser einfach durch Vitamin-D-Tröpfchen behoben werden. Das ist sinnvoller, als durch künstlich verlängerte Sonnenexposition eine Hautschädigung, schlimmstenfalls eine Hautkrebserkrankung zu riskieren.

Andererseits bleibt es bei fehlender Sonnenexposition bei der immer noch unbeliebten «Büro-Blässe» …

Das ist leider nach wie vor die Wahrnehmung in der Gesellschaft: Sonnengebräunt zu sein, erscheint als besonders cool. Dabei verbirgt sich hinter der sogenannten «gesunden Bräune» nichts als ein gefährlicher Mythos. Das Bräunen der Haut ist ein Zeichen dafür, dass es durch UV-Strahlung zu einem Defekt in der Erbsubstanz der Haut kommt.



Das ist nichts anderes als ein Hilferuf der Hautzellen: Der Bräunungseffekt entsteht, weil in der Haut Melanin gebildet wird – die Zelle versucht mit diesem Farbstoff, den Zellkern vor weiteren Schäden zu schützen und abzudecken. Jedes Bräunen ist also nichts anderes als Zeichen eines Hautschadens.

Nirgendwo in Europa sind so viele Männer von schwarzem Hautkrebs betroffen wie in der Schweiz. Sind Männer beim Sonnenschutz allgemein zurückhaltender, unvorsichtiger als Frauen?

Ja, das deckt sich auch mit meiner Erfahrung: Im Allgemeinen gehören Männer eher zu den Sonnenschutzmuffeln. Ich könnte mir persönlich vorstellen, dass viele von ihnen das Eincremen schlicht als zu umständlich empfinden.

Auch die Wahrnehmung, sich selbst etwas Gutes zu tun, sich selbst zu pflegen, steht bei vielen Männern nicht so sehr im Vordergrund, zumindest nicht bei denen meiner Generation. Ich glaube aber, dass bei jüngeren Männern ein gewisses Umdenken stattfindet: Sie achten eher auf ihre Haut und schützen sie besser vor der Sonne.

Wenn die Haut über Jahre der Sonne ausgesetzt war, man in der Vergangenheit einen oder mehrere Sonnenbrände hatte: Wie erkennt man einen Hautkrebs oder dessen Vorstadium?

Im Auge behalten sollte man alles, was im Erwachsenenalter an auffälligen neuen Hautflecken hinzukommt. Das können neue Muttermale sein oder solche, deren Aussehen sich durch Farbe, Form oder Grösse verändert. Auch raue Stellen oder schuppige Verkrustungen, die sich leicht wegkratzen lassen und unter denen es blutet, sind verdächtig. Dabei könnte es sich um einen weissen Hautkrebs handeln. In jedem Fall sollten solche Hautveränderungen von einer Dermatologin oder einem Dermatologen begutachtet werden.

Halten Sie Apps für sinnvoll, mit deren Hilfe man auffällige Hautveränderungen fotografieren und von Fachpersonen beurteilen lassen kann?

Ich denke, das ist gut, um eine erste fachliche Einschätzung zu bekommen. Wesentlich dafür halte ich, dass die Qualität der Fotos, sprich deren Auflösung, eine hautärztliche Beurteilung zulassen. Diese Apps stossen aber auch an Grenzen, denn nur in der dermatologischen Praxis werden alle Bereiche der Haut untersucht. Vieles, was Laien auffällt, ist tatsächlich völlig harmlos. Umgekehrt können manche Hautflecken harmlos wirken, obwohl es sich dabei um Krebs oder um eine Krebsvorstufe handelt.

Wie häufig empfehlen Sie einen ärztlichen Hautkrebscheck?

Das hängt auch von der individuellen Vorgeschichte ab. Wenn schon einmal ein Hautkrebs diagnostiziert wurde – entweder bei einem selbst oder in der näheren Verwandtschaft –, empfehlen wir zumindest eine jährliche Kontrolle. Dazu raten wir auch Menschen, die immunsupprimiert sind, Personen die mehr als 100 Muttermale haben oder während der Kindheit oder Jugend besonders intensiver Sonnenbestrahlung ausgesetzt waren. Bei einigen dieser Patienten sind manchmal auch mehrmalige Besuche beim Hautarzt nötig pro Jahr.

Abgesehen von der UV-Strahlung: Gibt es weitere Faktoren, die unser Hautkrebsrisiko beeinflussen?

In der Dermatologie fassen wir solche äusserlichen oder extrinsischen Einflüsse auch unter dem Begriff (Haut-)Exposom zusammen. Gemeint sind dabei Faktoren wie oxidativer Stress, klimatische Bedingungen, Ernährung oder Tabak- und Alkoholkonsum. Über die intrinsischen Aspekte, also alles, was wir genetisch mitbringen, wissen wir noch relativ wenig.

Wir kennen einige Mutationen und DNA-Reparaturenzymdefekte, bei denen Hautkrebse sehr viel häufiger auftreten als bei Menschen mit nicht veränderten Genvarianten. Diese Mutationen können bei der Entstehung von Melanomen, also schwarzem Hautkrebs, auch ohne weitere Sonneneinstrahlung einen Einfluss haben, denn manchmal, wenn auch selten, entsteht dieser an Orten, die keinerlei UV-Strahlung ausgesetzt sind. So zum Beispiel im Magen-Darm-Trakt oder im Vaginalbereich.

Wie gestaltet sich die Therapie, wenn bei einer Untersuchung ein Melanom entdeckt wird?

Zunächst wird der Krebs chirurgisch entfernt. Das ist in der Regel ein kleiner Eingriff unter lokaler Betäubung. Handelt es sich um ein Melanom, muss durch weitere Untersuchungen festgestellt werden, ob sich bereits Tochtergeschwüre, sogenannte Metastasen, im Körper gebildet haben. Früher waren die Prognosen bei metastasierten Melanomen sehr ungünstig.



Neuartige Behandlungen wie die Immuntherapien oder die zielgerichteten Therapien haben die Aussichten für die Patienten deutlich verbessert. Die beste Chance auf Heilung besteht aber, wenn der Hautkrebs erkannt wird, bevor er gestreut hat. Das unterstreicht die Bedeutung der Früherkennung: bei sich verändernden, auffälligen Hautveränderungen sollte die Hautärztin oder Hautarzt aufgesucht werden.

Und bei hellem Hautkrebs?

Das Basalzellkarzinom metastasiert nur äusserst selten. Hier kommen Therapien wie die Operation, Bestrahlung und eventuell eine lokale Chemotherapie zum Einsatz. Anders ist das beim spinozellulären Karzinom, das deutlich häufiger Tochtergeschwülste bildet.

Als immer wichtiger erscheint uns Dermatologen, dass wir bei einem weissen Hautkrebs nicht nur das lokale Problem lösen, sondern auch die umgebende Haut mitbehandeln, die oft auch schon Frühformen von Hautkrebs entwickelt hat – wir nennen das die Behandlung der Feldkrebsbildung (Feldkanzerisierung).

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