Interview mit Schlafforscherin «Regelmässiger Alkoholkonsum kann zu Schlafstörungen führen»

Von Runa Reinecke

27.5.2020

Ein tiefer und erholsamer Schlaf – danach sehnen sich im Moment viele. 
Ein tiefer und erholsamer Schlaf – danach sehnen sich im Moment viele. 
Bild: iStock

Nachts kaum ein Auge zutun, morgens wie gerädert aufstehen. Eine Schlafforscherin erklärt, wie sich die Pandemie auf unseren Schlaf auswirkt und was wir tun können, um besser zur Ruhe zu kommen.

Es misst gerade einmal 125 Nanometer, und es stellt unsere Welt auf den Kopf: Das neuartige Coronavirus verändert unser soziales Leben und bedroht unsere wirtschaftliche Existenz. Finanzielle Sorgen, ein Leben auf Abstand und das Arbeiten im Homeoffice – fernab von unserem gewohnten Arbeitsumfeld.

Was macht das mit uns und unserem Schlaf? Im ersten Teil des «Bluewin»-Interviews spricht die Basler Schlafforscherin Dr. med. Helen Slawik über die Bedeutung von Struktur in unsicheren Zeiten, die mediale Überforderung und über das Bewusstsein, nicht alles im Leben kontrollieren zu können.

Frau Slawik, hat sich Ihr Schlafverhalten seit Beginn der Coronavirus-Pandemie verändert?

Nein, denn ich schlafe prinzipiell gut. Vermutlich liegt es an meinem geregelten Tagesablauf, aber auch daran, dass ich, während des gesamten Lockdowns hindurch, in der Klinik gearbeitet habe.

Wir durchleben gerade einen Zustand fernab des Gewohnten. Gibt es schon erste Erkenntnisse aus der Forschung darüber, ob und inwiefern sich unser Schlaf durch die Pandemie verändert?

Um eine Insomnie, eine krankhafte Schlafstörung, diagnostizieren zu können, müssen die Symptome mindestens vier Wochen anhalten. Es ist also noch zu früh, um das aus wissenschaftlicher Sicht beurteilen zu können. Von der SARS-1-Epidemie der Jahre 2002/2003 wissen wir, dass manche Menschen als Folge eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) mit Albträumen entwickelten, andere Depressionen oder eine Suchterkrankung. Abhängig ist das auch davon, wie vorbelastet man in die Krise hineingeht und wie schwer man akut und im weiteren Leben durch die Krise belastet ist.

Zur Person: Helen Slawik
Dr. med. Helen Slawik leitet seit 2016  den psychiatrischen Standort des schlafmedizinischen Zentrums der Basler Universitätskliniken und arbeitet wissenschaftlich mit dem Zentrum für Chronobiologie zusammen (Leitung Prof. Christian Cajochen). Ihre schlafmedizinische Ausbildung absolvierte sie an der Technischen Universität München, Klinikum rechts der Isar.

Bild: zVg

Zumindest in der Schweiz werden wir durch die Coronavirus-Pandemie nicht mit einer entsprechenden Hilflosigkeit, einem vergleichbaren Kontrollverlust konfrontiert. Ob und inwiefern zum Beispiel wirtschaftliche Konsequenzen Einfluss auf den Schlaf haben, wird sich erst im weiteren Verlauf der Pandemie zeigen.

Viele arbeiten bereits seit mehreren Wochen im Homeoffice. Die einen berichten, sie schliefen jetzt besser, andere schlafen schlechter …

Durch die Homeoffice-Situation fällt die Struktur weg, die einem normalerweise durch die Anwesenheit am Arbeitsplatz vorgegeben wird. Je nach Tätigkeitsbereich kann man sich die Arbeit jetzt selbst einteilen, und auch der Arbeitsweg entfällt. Wer eher zu den Nachteulen zählt, profitiert jetzt davon, später zu Bett zu gehen und morgens länger ausschlafen zu können. Doch dieser veränderte Rhythmus kann auch zu Schlafproblemen führen.

Was hilft uns – trotz dieser aussergewöhnlichen Umstände – besser in den Schlaf zu finden und durchzuschlafen?

Ein geregelter Tagesablauf ist hierfür entscheidend. Dabei sollte man auf ein gutes Gleichgewicht zwischen Aktivität und Ruhephasen achten. Dazu gehört, sich zu bewegen, sich selbst etwas Gutes tun und soziale Kontakte zu pflegen, auch wenn diese im Moment nur mit Abstand oder auf digitalem Wege möglich sind. Auch sollten wir uns durch die vielen Informationen, die uns über die Medien und die sozialen Netzwerke erreichen, nicht überfordern.

Wichtig ist, sich tagsüber Zeit für solche Dinge zu nehmen, sich realistisch mit der Situation auseinanderzusetzen und sich klarzumachen: Was kann ich selbst beeinflussen, was nicht? Zum Abend hin sollten wir ruhiger werden, keine aufwühlenden Gespräche führen und auf digitales Kommunizieren nach Möglichkeit verzichten, denn das blaue Licht in Smartphones, Laptops oder Tablets drosselt die Ausschüttung des Hormons Melatonin, das uns beim Einschlafen hilft.

Manchen Menschen gelingt es am Abend nicht, abzuschalten. Sie geraten, sobald sie zu Bett gehen, in eine Grübelschlaufe …

Um einschlafen zu können, muss ich loslassen und Kontrolle abgeben. Gedanken und Emotionen, die ich über den Tag hinweg zurückhalten konnte, holen mich am Abend ein. Deshalb ist es wichtig, dass ich mir am Tag bewusst Zeit dafür nehme, wichtige Aufgaben und Probleme anzugehen beziehungsweise diese zu lösen.



Und wenn man in der Nacht wach wird und nicht mehr einschlafen kann?

Wer nicht innerhalb weniger Minuten wieder einschläft, dem rate ich, aufzustehen und sich ruhig zu beschäftigen. Warum die Zeit nicht nutzen, um zu überlegen, was man in den kommenden Wochen mit der Familie oder mit dem Freundeskreis unternehmen könnte? Damit es später wieder mit dem Einschlafen klappt, sollte man erst wieder zu Bett gehen, wenn man sich schläfrig fühlt.

Der eine oder andere schwört vor dem Schlafengehen auf ein Gläschen Bier oder Wein ...

Hier gibt es zwei Seiten: Beim Einschlafen kann das tatsächlich helfen, anderseits führt Alkohol zu Durchschlafstörungen. Regelmässiger Konsum kann sogar in anhaltende Schlafstörungen münden.

Also doch lieber eine Tasse Kräutertee?

Zum Beispiel. Die kann dann auch fester Bestandteil eines Abendrituals sein, indem ich die Tasse Tee immer zur gleichen Uhrzeit trinke, bevor ich ein paar Seiten in einem schönen Buch mit nicht allzu aufregender Handlung lese.



Wie viel Schlaf brauchen wir, um ausgeruht und leistungsfähig zu sein?

Das ist sehr individuell. Die einen benötigen fünf, die anderen mindestens acht Stunden, um sich zu erholen. Bei den meisten Menschen sind es etwa acht Stunden.

Welche Folgen hat Schlafentzug, und warum sollte man Schlafmangel ernst nehmen?

Man geht davon aus, dass eine Nacht Schlafentzug ähnliche Auswirkungen hat wie ein Promille Alkohol im Blut. Es ist also nicht verwunderlich, dass man, zum Beispiel im Strassenverkehr oder im Beruf, mehr Fehler macht, wenn man unausgeschlafen ist. Wichtig ist aber, Schlafmangel von empfundenem Schlafmangel bei Ein- und Durchschlafstörungen zu unterscheiden.

Woran machen Sie den Unterschied fest?

Ein- und Durchschlafstörungen sind ziemlich anstrengend, Langzeitfolgen sind aber weitaus schwerer nachzuweisen. Wenn Patienten mit Ein- oder Durchschlafstörungen sagen, sie hätten das Gefühl, über Wochen oder sogar über Monate kein Auge zugemacht oder nur zwei bis drei Stunden pro Nacht geschlafen zu haben, wird das oft nur subjektiv so empfunden. Dass man in Wirklichkeit deutlich mehr schläft, ist einem nicht bewusst, da wir im Schlaf nicht bei Bewusstsein sind.

Wissenschaftlich eindeutigere Zusammenhänge bestehen bezüglich der Folgeschäden, die aufgrund von systematischem Schlafmangel entstehen. Das betrifft zum Beispiel Menschen, die am Abend oder während der Nacht Schichtarbeit leisten und sich tagsüber um die Betreuung der Kinder kümmern müssen. Diesen Menschen bleiben oft nur wenige Stunden Zeit, um sich überhaupt mal hinzulegen – und das kann körperlich, aber auch psychisch krank machen.



Inwiefern?

Führen kann das zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Adipositas, Diabetes Typ II, aber auch zu psychischen Erkrankungen wie Depressionen.

Gibt es Alarmsignale, die man unbedingt erst nehmen sollte?

Solange man nachts unruhig schläft, sich aber tagsüber fit fühlt, besteht kein Grund zur Sorge. Leidet man über mindestens vier Wochen anhaltend unter Ein- und Durchschlafstörungen und fühlt sich dadurch tagsüber beeinträchtigt, sollte man das mit dem Hausarzt besprechen. Eventuell bedarf es danach noch einer schlafmedizinischen Abklärung.

Wer aufgrund ständig wechselnder Arbeitszeiten Folgeerkrankungen entwickelt, sollte die Schichtarbeit nicht fortführen. Nicht ohne Grund wird älteren Menschen von schichtabhängigen Tätigkeiten abgeraten.

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