Trainieren nach Covid-19 Sportarzt warnt: «Unsere Sinne haben keinen Viren-Detektor»

Sulamith Ehrensperger

22.1.2021

Wer nach einer Corona-Zwangspause wieder ins Training startet, sollte es langsam angehen. Das Herz kann besonders anfällig sein.
Wer nach einer Corona-Zwangspause wieder ins Training startet, sollte es langsam angehen. Das Herz kann besonders anfällig sein.
Bild: Keystone, Dominic Favre

Vorsicht beim Trainingsstart nach einer Corona-Erkrankung: Spätfolgen sind unabhängig von Alter und Fitnesszustand. Sportarzt Walter O. Frey zum sicheren Sporttreiben nach einer Covid-19-Erkrankung.

Herr Frey, welche Erfahrungen haben Sie bisher mit Breitensportlern gemacht, die an Covid-19 erkrankt waren? 

In Bezug auf Sport wissen wir inzwischen, dass es bei einer Infektion völlig unterschiedliche Verläufe geben kann. Ich habe das ganze Spektrum gesehen: von null Symptomen bis zu schwereren Verläufen. Ich habe aber auch mehrere Breitensportler behandelt, die unter Long-Covid-Symptomen leiden. Sie alle waren initial nicht fest krank, konnten aber ihre Leistungsfähigkeit auch mehrere Monate nach der akuten Infektion nicht mehr zurückgewinnen.

Folgende Schlagzeile ist mir geblieben: Ein 25-jähriger Eishockey-Profi ist nach einer milde verlaufenen Corona-Infektion an einer Herzmuskel-Entzündung erkrankt. Es war ein Zufallsbefund, als er wieder ins Training einsteigen sollte. Also kein Einzelfall?

Alle, die Covid-19 durchmachen, haben nur eines gemeinsam: einen positiven Laborbefund. Wir haben in der Medizin noch keine Ahnung, wenn jemand ein positives Testergebnis erhält, in welche Richtung das Pendel danach ausschlägt: ob symptomfrei, heftig oder gar tödlich. Auch die Spätsymptome einer durchgemachten Covid-19-Erkrankung, sogenannte Long-Covid-Symptome, sind zum Teil unspezifisch und derzeit noch schwer in Bezug auf bleibende Schäden zu beurteilen. Man findet weder auf dem Herz noch der Lunge etwas, aber die Betroffenen sind wie ausgebrannt. Die Medizin weiss noch nicht, warum dies so ist und was man dagegen tun muss.

Auch wer keine Symptome entwickelt, sollte für mindestens zehn Tage Sportpause einlegen und sich vor einer Rückkehr ins Training ärztlich untersuchen lassen. Das ist eine der Empfehlungen aus dem Positionspapier «SARS-CoV-2 – Return to training». Ist ein Check-up in jedem Fall ein Muss vor dem Wiedereinstieg?

Zur Person: Walter O. Frey
Walter O. Frey Sportarzt und Chefarzt Swiss Ski
zVg

Walter O. Frey ist Sportarzt in Zürich und Chefarzt von Swiss Ski, berät und motiviert Olympia-Athleten, Breitensportler und Bewegungsmuffel jedes Alters ganzheitlich.

Ich schätze, dass die wenigsten zum Arzt gehen, bevor sie wieder mit Sport einsteigen. In den Richtlinien ist es aber klar empfohlen, dies zu tun. Und das ist auch richtig so. Unsere sieben Sinne haben keinen Virus-Detektor. Viele realisieren gar nicht, dass sie krank sind, weil sie keine Symptome haben. Genauso wenig wissen wir, ob das Virus nach der Akutphase irgendwo noch sitzt. Wir merken nicht oder zu spät, wenn das Herz ein Problem hat und trainieren einfach weiter. Das kann gefährlich werden. Zurzeit ist es sicher so, dass man eine vollständige Sicherheit haben will, bevor man die Ampel wieder auf Grün stellt. Deshalb diese restriktiven Empfehlungen. Das gilt vor allem für den Breitensportler, der keinen Grund hat, irgendein Risiko einzugehen.

Als ambitionierte Hobbysportlerin wurde mir eingetrichtert: Bei Fieber eine Woche lang nicht trainieren. Gibt es bei Covid-19 ebenfalls eine Faustregel für den ersten Trainingsversuch?

Der einfachste Grundsatz ist: Sicher nicht während der Isolation oder der Quarantäne Sport treiben. Bei Krankheitsanzeichen wie Husten oder Fieber sollten Sie zwei bis eher vier Wochen auf Ihr Training verzichten. Das gilt auch bei einer Covid-19-Erkrankung mit symptomfreiem Verlauf: Die Empfehlung lautet mindestens zehn Tage kein Training. Allerdings weiss man, dass Bewegung das Immunsystem stärkt, daher finde ich es in Ordnung, wenn man mal ein bisschen zu Hause in Bewegung kommt. Am einfachsten wäre wohl, ein Velogerät ins Isolationszimmer zu nehmen, auf dem man sich ohne grosse Pulserhöhung ein bisschen bewegen kann. Das gilt aber nur für asymptomatische Personen. Wer krank ist, gehört ins Bett.

Wie gelingt das Wiedereinsteigen?

Auf eine einfache süffisante Formel heruntergebrochen, würde ich sagen: ein Einstieg mit angezogener Handbremse. Ähnlich wie nach einer Grippe, nur ein bisschen langsamer, das wäre quasi die Leitplanke. Am Anfang zählt primär das Volumen, also die Zeit, die man in den Sport investiert. Die Intensität kommt erst in einem zweiten Schritt. Zuerst steigt man mit 20-minütigen Spaziergängen im Flachen ein, während ein bis zwei Wochen. Dann in kupiertem Gelände, also mit Passagen in der Ebene sowie auch Anstiegen und Gefällen. Die Grundlagen kann man immer mehr ausbauen. Entscheidend ist dabei, dass die Pulsfrequenz um die 100 bis 120 Schläge pro Minute bleibt, etwa beim Joggen oder auf dem Hometrainer. Ab der vierten Woche, wenn man schon über ein Trainingsvolumen von einer Stunde verfügt, kann man intensiver trainieren und den Puls mal in Richtung 150 Schläge pro Minute hochjagen. Wenn es nicht so gut klappt, obwohl der Arzt ursprünglich die Ampel zum Trainingsaufbau auf Grün gestellt hat, muss man unbedingt erneut seinen Arzt konsultieren.

Wann gilt es wieder einen Schritt zurückzumachen?

Subjektiv sollten Sie immer das Gefühl haben, Ihr Tank sei gefüllt und Sie müssen sich eher zurückhalten. Wer von seiner Energie her immer noch ein bisschen Spatzig hat, kommt viel schneller vorwärts, als derjenige, der übertreibt und schliesslich den Aufbau unterbrechen muss. Für diejenigen, die ihren Puls messen wollen: Der wichtigste Gradmesser ist der Ruhepuls, den man am Morgen beim Erwachen misst. Dieser sollte konstant bleiben. Und sicher nicht mehr als um acht bis zehn Schläge steigen. Ist er höher, muss man nochmals über die Bücher und anschauen, ob der Aufbau noch stimmt.

Die sportliche Aktivität langsam und überwacht wieder aufnehmen, raten Experten. Wie gelingt das einem Hobbysportler?

Die Faustregel heisst hier: Ich kann beim Training noch sprechen. Sie ist fast gleichwertig dem Messen mit einer Pulsuhr. Wenn Sie das Gefühl haben, Sie seien zu hoch geflogen, sollten Sie Ihren Fahrplan eine Woche zurückstellen und mal einen Tag lang Pause einlegen.


Die aktuellen schweizweiten Empfehlungen zum Wiedereinstieg ins Training finden Sie im Dokument «SARS-CoV-2 – Return to training and competition». Die Empfehlungen wurden gemeinsam von Sport & Exercise Medicine Switzerland (SEMS), der Kardiologie des Universitätsspitals Zürich und Swiss Olympic erarbeitet.



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