Jugend in der Pandemie V Ängste nehmen stark zu – Junge leiden psychisch besonders unter Corona

Von Julia Käser

28.2.2021

Die Corona-Einschränkungen können bei den Jugendlichen Orientierungslosigkeit, Einsamkeit, Verunsicherungen, Zukunftsängste und vieles mehr auslösen, sagt Psychologin Jacqueline Frossard.
Die Corona-Einschränkungen können bei den Jugendlichen Orientierungslosigkeit, Einsamkeit, Verunsicherungen, Zukunftsängste und vieles mehr auslösen, sagt Psychologin Jacqueline Frossard.
Bild: Keystone

Corona macht uns allen zu schaffen, aber eine Generation trifft der gesellschaftliche Stillstand besonders: Wie fühlen sich junge Menschen nach einem Jahr in der Pandemie? «blue News» fragt in einer Serie nach – zum Abschluss bei Psychologin Jacqueline Frossard. 

«Diese Zeit ist nicht einfach für euch», sagte Bundespräsident Guy Parmelin Mitte Februar und wendete sich damit erstmals direkt an die Jugend. Er wolle sich bei den jungen Menschen im Land für ihre Solidarität bedanken. Auch die Durchhaltefähigkeit der jüngeren Generation lobte der SVP-Bundesrat. 

Serie Jugend in der Pandemie 

In einer kurzen Serie anlässlich zu einem Jahr Corona-Pandemie beleuchtet «blue News» das Wohlbefinden, die Sorgen und Ängste – aber auch die Hoffnung junger Menschen während der Corona-Pandemie.

In der Tat wird von den jungen Menschen aktuell so einiges abverlangt. Das bestätigt Psychologin Jacqueline Frossard: «Es gibt tatsächlich Hinweise dafür, dass junge Menschen zu denjenigen gehören, die besonders stark unter den Einschränkungen leiden, die uns die Pandemie auferlegt.»

Erfahrungsmöglichkeiten fallen weg

Die 18-jährige Elena* drückte es im Gespräch mit «blue News» so aus: «Man lebt quasi nur noch für die Schule, die Möglichkeit, sich abzulenken, fällt mit der stark eingeschränkten Freizeit weg.» Das bedeutet: Der Druck, in der Ausbildung gute Leistungen zu erbringen, bleibe bestehen, gleichzeitig habe man kaum was zum Geniessen und Abschalten. 

Psychologin Frossard sagt, im schlimmsten Fall könne diese Wahrnehmung dazu führen, dass das Leben nicht mehr lebenswert erscheine. Aber: «Ich denke, die Jungen, die das sagen, vermissen vor allem den Kontakt mit ihren Gleichaltrigen, eben weil sie diese Auseinandersetzungen für ihr geistig-seelisches Wachstum brauchen.» 

Jede Generation habe ihre Lebensaufgabe, erklärt die Psychologin. Diejenige der Jugendlichen sei es, sich in der Welt zu orientieren. «Es gilt herauszufinden, wer bin ich, wohin gehe ich und mit welchen Leuten umgebe ich mich.» Das heisst: Sämtliche Aspekte des Erwachsenenlebens müssen aufgebaut werden – Beruf, Liebe, Sexualität und auch die eigene Weltanschauung. 

Dies gehe jedoch nur im Zusammensein mit den anderen, so Frossard. In der Auseinandersetzung vor allem mit Gleichaltrigen – aber auch mit der Erfahrung von Enttäuschung und Glück. Nicht zu vergessen die Begehung von Fehlern und das Lernen daraus. «Diese wichtigen Erfahrungsmöglichkeiten fallen wegen Corona weitgehend dahin, was Orientierungslosigkeit, Einsamkeit, Verunsicherungen, Zukunftsängste und vieles mehr auslösen kann.»

Essstörungen und Depressionen

Den Eindruck der von «blue News» befragten Jugendlichen, dass es in ihrem Umfeld eine wachsende Anzahl an Personen mit psychischen Problemen gibt, teilt Frossard. Mehrere Untersuchungen zeigten im Zusammenhang mit der Pandemie einen grossen Anstieg bei Ängsten, Depressionen, Essstörungen, aber auch anderen psychischen Erkrankungen auf.

Um die Betroffenen sorgt sich die Fachfrau. «Ich befürchte, dass es junge Menschen gibt, deren Leiden behandlungsbedürftig ist, sie diese Behandlung aber nicht oder nicht rechtzeitig erhalten.»

Das könne einerseits damit zusammenhängen, dass niemand ihr Leiden bemerke. Andererseits damit, dass Zugang zur psychotherapeutischen Hilfe erschwert sei – wegen Überlastung oder weil die Krankenkassen die Kosten der Therapie aktuell nicht übernehmen würden.

Hinweise darauf, dass junge Menschen psychisch unter der Krise leiden, liefert auch die Beratungsstatistik zur Telefonhilfe 147 von Pro Juventute. In der zweiten Welle, also von Oktober bis Dezember 2020, seien 40 Prozent mehr Jungendliche mit Fragen zur psychischen Gesundheit beraten worden als im Vorjahreszeitraum. Zudem hätten Kinder- und Jugendpsychiatrien eine starke Auslastung und eine verstärkte Suizidalität gemeldet. 

Leiden gehört dazu

Gibt es eine Gruppe von Jungendlichen, die besonders gefährdet sind? Laut Frossard hängt es von verschiedenen Faktoren ab, ab wann ein Leiden zu gross sei. So etwa von individuellen, persönlichen Faktoren, aber auch von der Lebenssituation, in welcher man gerade steckte und schliesslich von den sozialen Rahmenbedingungen, in denen man lebe. 

Alles in allem geht Frossard davon aus, dass die meisten Jugendlichen die Corona-Krise weitgehend schadlos überstehen werden: «Denn leiden heisst nicht zwingend, psychisch zu erkranken.» Leiden gehöre – auch in jungen Jahren – bis zu einem gewissen Grad zur Lebenserfahrung dazu, die wir brauchten, um in Zukunft schwierige Situationen zu meistern und uns in andere einfühlen zu können. 

*Der volle Name ist der Redaktion bekannt


Brauchen Sie Hilfe? Hier können Sie reden.

Diese Stellen sind rund um die Uhr für Menschen in suizidalen Krisen und für ihr Umfeld da.

Beratungstelefon der Dargebotenen Hand: Telefon 143, www.143.ch Beratungstelefon Pro Juventute (für Kinder und Jugendliche): Telefon 147, www.147.ch

Weitere Adressen und Informationen: www.reden-kann-retten.ch

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