«50 Shades Of Grey» Sexforscherin Andrea Burri: « Nur wenige Schweizerinnen mögen Schmerz beim Sex»

Annina Steffen

13.2.2018

Sexualforscherin Andrea Burri: «Man kann sehr wohl sexuell fordernd und dominant sein, und sich dennoch ab und an nach was Anderem, in dem Falle einer submissiven Interaktionsrolle, sehnen.»
Sexualforscherin Andrea Burri: «Man kann sehr wohl sexuell fordernd und dominant sein, und sich dennoch ab und an nach was Anderem, in dem Falle einer submissiven Interaktionsrolle, sehnen.»
zVg

Der letzte Teil der Verfilmung der «50 Shades Of Grey»-Trilogie startete vergangene Woche in den Kinos. Die Saga um den dominanten Christian Grey und die devote Studentin Anastasia Steele ist ein Welterfolg. Auch Schweizer Frauen mögen das Spiel mit Dominanz und Unterwerfung. Für die Berner Sexualforscherin Andrea Burri ist das wenig überraschend: «Der Wunsch nach Sicherheit ist etwas, das sehr tief in Frauen verankert ist.»

Bluewin: Frau Burri, warum gibt es gerade in Zeiten, in denen Frauen endlich auch sexuell selbstbewusster werden, offenbar Frauen, die davon träumen, sich im Schlafzimmer zu unterwerfen oder gar geschlagen zu werden?

Andrea Burri: Fantasien und Sehnsüchte können nicht Eins-zu-Eins auf die Wirklichkeit übertragen werden. Der Fantasie sind nun mal keine Grenzen gesetzt und oft kommen da tiefliegende Bedürfnisse zum Vorschein. Der Wunsch nach Sicherheit und Führung ist etwas, das evolutionsbiologisch tief in Frauen verankert ist.

Das müssen Sie erklären.

Die gesellschaftlichen Veränderungen der letzten 10 bis 20 Jahre haben es den Frauen vor allem in den westlichen Ländern ermöglicht, zunehmend eine neue Form der Sexualität zu entwickeln, in der auch Genuss und sich nehmen, was man will, im Vordergrund steht. Dennoch ist dieser archaische Wunsch nach Sicherheit, sowie eine Sehnsucht nach Geborgenheit, nach wie vor da. Zwei Jahrzehnte reichen nun mal nicht aus, um sich gegen das, sich über Jahrtausende entwickelte, instinktive Verhalten durchzusetzen. Die beiden Dinge stehen nicht notwendigerweise im Gegensatz zueinander, denn man kann sowohl dominant sein und dennoch den Wunsch nach Schutz und Geborgenheit hegen. Wir sollten wegkommen davon, in solch rigiden Einteilungen zu denken. Demzufolge kann man sehr wohl sexuell fordernd und dominant sein, und sich dennoch ab und an nach etwas Anderem, in dem Falle einer submissiven Interaktionsrolle, sehnen.

Was reizt eine Frau an einem dominanten Mann?

Solche Präferenzen sind nicht nur angeboren oder beruhen auf vorheriger Erfahrung, sondern hängen ein Stück weit auch von der Umwelt ab. In Gesellschaften, in denen sich Frauen eher bedroht fühlen, suchen sie sich eher Partner, welche sie beschützen können, bei denen sie sich geborgen fühlen. In sicheren Umgebungen können es sich Frauen eher leisten, den Fokus auf andere Qualitäten zu richten. Trotzdem zeigen Studienergebnisse, dass scheinbar doch ein archaisches Prinzip vorherrscht.

Was heisst das konkret?

Der dominante, starke Mann ist gefragt, der sich durchsetzen kann, der gesund und vital ist und so der Frau instinktiv mitteilt, dass er gute Gene für ihren Nachwuchs hat. Einige Frauen suchen die Spannung und das Abenteuer, und auch das wird indirekt über die Dominanz ausgestrahlt. Im Gegensatz zu einem eher submissiven Mann, den man schnell mal für ein wenig ängstlich hält. Aber auch Männer, die weniger dominant und eher zurückhaltend sind, können die Frau für sich gewinnen, brauchen dafür aber andere Strategien, wie zum Beispiel eine grössere Bereitschaft, in die gemeinsame Beziehung und die längerfristige Erziehung des Kindes zu investieren. Im Übrigen ist es auch hier wichtig zu erwähnen, dass Dominanz und Submission fliessend sein können. Viele Menschen neigen dazu von beiden Seiten Züge in sich zu tragen, welche sich je nach Situation und Umgebung oder auch je nach Partner unterschiedlich äussern.

Und was reizt einen Mann an einer devoten Frau?

Ein Faktor ist, dass es für den Mann reizvoll sein kann, die Kontrolle zu haben, und damit den Handlungsverlauf weitgehend selbst zu bestimmen. So kann er die Aktivitäten ausführen, auf die er gerade Lust hat. Der Mann kann sich stark und in seiner Männlichkeit besonders bestätigt fühlen, wenn er auf eine devote Frau trifft, die sich ihm völlig hingibt, so dass er sie führen und sich im weitesten Sinne um sie kümmern kann. Es ist auch ein Vertrauensbeweis, wenn die Frau sich vom Mann dominieren lässt.

Sind Menschen, die im Schlafzimmer gern dominant beziehungsweise devot sind, tendenziell auch in anderen Lebensbereichen so veranlagt?

Diese Frage lässt sich nicht pauschal beantworten. Es gibt ja auch die oft zitierten umgekehrten Fälle: Der mächtige CEO, der eine verantwortungsvolle Position innehält, gerne kontrolliert und Macht ausübt um sich dann nach Feierabend von einer Domina den Po versohlen lässt. Endlich mal Kontrolle abgeben können, nicht auch noch beim Sex in die Korsage des einflussreichen, übermächtigen Mannes gezwungen zu werden, sich auch mal gehen lassen können - das kommt sicher vor. Aber wie gesagt: Dominanz und Submission sind zwar Grundzüge, können aber in verschiedenen Situationen auch verschieden ausgeprägt gelebt werden.

Neurobiologische Theorien gehen davon aus, dass sowohl Männer als auch Frauen beide Seiten in sich haben.

Das stimmt. Mann und Frau besitzen dominante wie auch submissive und subkortikale Vernetzungen, welche beide mit dem Belohnungszentrum im Hirn verknüpft sind. Das scheint einer der Gründe zu sein, wieso viele zwar die Präferenz für eine Rolle haben, jedoch auch im Rollenwechsel, mal submissiv, mal dominant, Erfüllung und Befriedigung finden. Nicht nur beim Sex, sondern auch in verschiedenen Lebenslagen. Angemerkt werden sollte zudem, dass psychische und physische Macht nicht dasselbe sind.

Warum sehnt sich jemand nach Schmerzen beim Sex? Und warum danach, anderen Schmerzen zuzufügen?

Der Wunsch nach Schmerz beim Sex, sei es zufügen oder empfinden, ist nicht weit verbreitet ist. Man kann also nicht von einem generellen Wunsch nach Schmerz beim Menschen sprechen. Schenkt man neueren Untersuchungen Glauben, so üben 5 bis 25 Prozent der Bevölkerung regelmässig Sexualpraktiken aus, die mit der Lust an Schmerzen in Verbindung stehen. Laut einer jüngsten Umfrage in Belgien führen rund 12 Prozent der Bevölkerung regelmässig mindestens eine BDSM-bezogene Aktivität aus, viele dieser Praktiken haben jedoch nicht notwendigerweise mit physischem Schmerz zu tun, sondern wir sprechen hier auch von milden BDSM Varianten wie Handschellen, Augen verbinden und so weiter. Klar ist jedoch, dass der Bevölkerungsanteil mit entsprechenden Fantasien deutlich höher ist; aber träumen und umsetzen sind zwei Paar Schuhe.

Und wieso bringt Schmerz manchen Menschen Genuss und Erfüllung?

Lange hat man geglaubt, dass Schmerz und Genuss zwei absolute Gegenpole darstellen. Neuere neurobiologische Studien zeigen jedoch, dass es beträchtliche Überlappungen gibt bei den Hirnaktivierungen, so kommt es auch beim Empfinden von Schmerz zur Ausschüttung einer Reihe von chemischen Botenstoffen, wie Endorphinen, Dopamin, Serotonin, und Adrenalin, was zu einer Art Rush oder ekstatischem Zustand führen kann.

Weiss man, wieso manche Menschen Schmerzen als unangenehm und andere diese als genussvoll erleben?

Eine Möglichkeit ist, dass das Bewusstsein darüber, dass die schmerzhafte Aktivität keinen reellen Schaden zufügen wird, den Schmerz in was Genussvolles umwandelt. Nebst der physiologischen Komponente gibt es aber bestimmt auch psychologische Faktoren, welche dem Schmerz positive Qualitäten verleiht. Dann gibt es Unterschiede im Schmerzempfinden und der Schmerzsensibilität. Für einige ist ein etwas intensiveres Kratzen am Rücken oder ein heftigeres Knabbern am Ohr bereits sehr schmerzhaft und kann nicht mehr genossen werden. Bei anderen geht dann erst recht die Post ab.

Gibt es noch andere Gründe?

Ja. Es gibt psychoaffektive Gründe wieso jemand Erfüllung im Schmerz findet. So kann er auch als emotionales Ventil dienen, wenn Emotionen oder negative Gedanken zu viel werden, etwa wenn man sich wertlos, alleine, wütend oder schuldig fühlt. Schmerz kann auch der Selbstbestrafung dienen oder das Gefühl herbeirufen, am Leben zu sein, gerade wenn man sich sonst körperlich dissoziiert und betäubt fühlt.  Ähnlich sieht es bei der Lust am Schmerz zufügen aus. Auch hier führt der Akt zu einer Ausschüttung von belohnenden Neurotransmittern, hinzu kommt das Gefühl von Macht oder die Befreiung unterdrückter sexueller Fantasien. Zu erwähnen bleibt zudem, dass wir diese harmlosen oder subklinischen SM-Ausprägungen differenzieren müssen vom pathologischen Sadomasochismus, welchem wohl auch andere Ursachen zugrunde liegen.

«50 Shades Of Grey»: Verborgene Sehnsüchte geweckt

Das Buch und die Filmtrilogie «50 Shades Of Grey» sollen den Verkauf von Sexspielzeug beflügelt und verborgene Sehnsüchte geweckt haben: So geben beim Online-Dating-Portal C-Date 33 Prozent der Schweizer Userinnen «dominant/devot» als Präferenz an. Bei den Schweizer Männern sind es 19 Prozent.

Auch Rollenspiele und Fetische sind in der Schweiz eher Frauensache: 31, beziehungsweise 21 Prozent der Schweizer C-Date-Userinnen stehen drauf, bei den Männern sind es 22, beziehungsweise 15 Prozent. Interessant: Von den deutschen C-Date-Userinnen stehen nur 19 Prozent auf das Spiel mit Dominanz und Unterwerfung, dazu 22 Prozent der Männer.

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