Sterbehilfe «Bei uns weint der Himmel immer mit»

Aufgezeichnet von Edward Schwarz

19.1.2020

«Ich lag auf dem Bett neben meinem Partner, als ihm eine Mitarbeiterin von Exit professionell eine Infusion gesteckt hat. Er zögerte keinen Augenblick, öffnete den Hahn, um das Präparat fliessen zu lassen, und schlief sofort ein.» (Symbolbild)
«Ich lag auf dem Bett neben meinem Partner, als ihm eine Mitarbeiterin von Exit professionell eine Infusion gesteckt hat. Er zögerte keinen Augenblick, öffnete den Hahn, um das Präparat fliessen zu lassen, und schlief sofort ein.» (Symbolbild)
Bild: Keystone

Ein Krankenpfleger aus den Philippinen erzählt, wie er den Freitod seines langjährigen Schweizer Lebenspartners erlebt hat.

«Ich stehe jeden Tag am Bett von Menschen, denen es nicht gut geht. Vielen können wir helfen, andere sterben an Verletzungen oder Krankheiten, die sie zu uns auf die Intensivstation geführt haben. Pfleger ist meine Berufung, ich kann mir keinen schöneren Beruf vorstellen. Er war mein Traumjob, schon als Kind auf den Philippinen. (Weiter-)Ausbildung und Stellenangebote, vor allem aber mein Lebenspartner haben mich nach Berlin geführt, wo wir uns zusammen niedergelassen haben.

Ich lag auf dem Bett neben meinem Partner, als ihm eine Mitarbeiterin von Exit professionell eine Infusion gesteckt hat. Er zögerte keinen Augenblick, öffnete den Hahn, um das Präparat fliessen zu lassen, und schlief sofort ein. Nach wenigen Sekunden spürte ich, wie der Druck aus seiner Hand wich – für immer. Ich betete für ihn und seine Seele; ich bin religiös erzogen worden und gläubiger Katholik. Ich bete auch für jede Patientin und jeden Patienten, die uns auf der Intensivstation verlassen.

Nun war es also passiert. Mein Partner hatte sein Leben in der Schweiz selbstbestimmt beendet. Draussen setzte trotz nur leichter Bewölkung plötzlich Regen ein. Auf den Philippinen sagt man, der Himmel weine beim Tod jedes Menschen mit. Mein Partner war Schweizer, wir waren oft in seiner Heimat. Auch diesmal hatten wir zwei Retourtickets gekauft; bis zum letzten Moment hatte ich gehofft, dass der Sitz neben mir auf dem Rückflug nicht frei bleiben würde.



Ein langjähriger Freund meines Partners hat uns im Hotel abgeholt, die beiden haben sich unterwegs an alte Zeiten erinnert. Für mich war es wie in einem surrealen Film. Als wir in der Wohnung des Freundes ankamen, nippten wir je an einem Glas Wasser und kommentierten die Aussicht, bis die Mitarbeiterinnen von Exit minutengenau wie abgemacht eintrafen.

Alpha und Omega des Lebens

Obwohl die Situation für sie wohl gewohnt war, wirkten sie nicht etwa routiniert, sondern äusserst respektvoll und konzentriert. Mein Partner und ich hatten Beatrice Brändle schon vor Monaten kennengelernt. Sie blieb als Sterbebegleiterin mit uns in Kontakt, sammelte Arztberichte und andere Dokumente, beriet und unterstützte uns. Den «Wunschtermin» mussten wir um einen Tag verschieben, weil Frau Brändle erstmals ihr Grosskind hüten durfte – Alpha und Omega des Lebens kommen sich bei ihr sehr nahe. Fast wie bei mir im Spital, wo die Geburtsabteilung rund um die Uhr freudige Ereignisse zu vermelden hat.

Ich habe alles daran gesetzt, meinen Partner umzustimmen. Ich wollte ihn pflegen, ich hätte meine Stelle aufgegeben. Die Prognosen der Ärzte sprachen eine deutliche Sprache, sein Zustand verschlechterte sich immer rascher. Ich erlebte, wie der Rest seiner von Operati- onen und Medikamenten geprägten Lebensqualität dahinschwand. Seine Ungeduld wuchs, endlich gehen zu dürfen. «Behalte die Freude an deinem Beruf und bleib‘ in Europa», waren seine letzten Worte.

Familie und Freunde teilen die Meinung, dass die letzte Reise in die Schweiz «das Beste für ihn gewesen» sei. Ich stimme nur bedingt zu, obwohl ich den Entscheid meines Partners achte und weiss, dass auch seine restlichen Tage mit viel Leid verbunden gewesen wären. In liebendem Andenken an ihn werde ich weiterhin jeden Tag Menschen pflegen und betreuen mit dem Ziel, dass sie überleben und gesund werden.

Die Sonne schien bereits wieder hell am Himmel, als die Polizisten und der Arzt bei uns in der Wohnung eintrafen.»

Dieser Text erschienen zuerst im Magazin der Sterbeorganisation Exit.

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