LinguistikDarum ist die Hälfte aller Sprachen vom Verschwinden bedroht
Marianne Siegenthaler
20.2.2018
Am 21. Februar wird der Internationale Tag der Muttersprache begangen. Von den rund 6000 Sprachen, die auf der Welt gesprochen werden, sind die Hälfte vom Verschwinden bedroht.
Seit dem Jahr 2000 wird jeweils am 21. Februar die Muttersprache gefeiert. Aus gutem Grund: Von den rund 6000 Sprachen, die heute auf der Welt gesprochen werden, sind nach Einschätzung der Unesco, Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur, die Hälfte vom Verschwinden bedroht.
Und damit auch der Lebenssaft verschiedenster Volksgruppen. Gerade für ethnische Minderheiten ist die Erhaltung und Pflege der Muttersprache überlebenswichtig.
«Bluewin» kennt die wichtigsten Studien, Zahlen und Fakten dazu:
Schweizerdeutsch: Keine Regeln
Wer einen der Schweizer Dialekte nicht als Muttersprache gelernt hat, dürfte Mühe haben. Denn es gibt für manche überhaupt keine Regeln. Ein Beispiel: Warum heisst der Zürichsee nicht Zürchersee? Schliesslich heisst der Zugersee auch nicht Zugsee.
Romanisch: 5 Idiome
Vor 80 Jahren ist das Rätoromanische als Schweizer Landessprache anerkannt worden. In einer Volksabstimmung vom 20. Februar 1938 sagten 92 Prozent dazu Ja. Aktuell fordert die Dachorganisation der rätoromanischen Sprach- und Kulturvereine Lia Rumantscha, dass die gesamte Schweiz als Territorium des Rätoromanischen anerkannt werden soll.
Für rund 34‘000 Menschen in der Schweiz ist Romanisch die Muttersprache. Dabei unterscheidet man 5 sogenannte Idiome: Putèr (Region Oberengadin, Samedan), Vallader (Region Unterengadin, Scuol), Surmiran (Region Albulatal, Thusis), Sursilvan (Region Oberland, Ilanz, Disentis) und Sutsilvan (Region Hinterrhein, Domleschg, Schams). Und: Bis ins Hochmittelalter sprach man auch in den Kantonen Glarus und St. Gallen romanisch.
Deutsch: 100 Millionen Menschen weltweit
Es gibt rund 100 Millionen Menschen weltweit, die Deutsch als ihre Muttersprache bezeichnen. Knapp 55 Millionen Menschen haben Deutsch immerhin als Fremdsprache gelernt. In der Schweiz ist man sich uneins, ob Deutsch als Mutter- oder erste Fremdsprache bezeichnet werden soll.
Dialekte: In allen Sprachen vorhanden
Grundsätzlich gibt es in allen Sprachen Dialekte, in manchen Sprachen sogar sehr viele. Beim Englischen beispielsweise ist die Vielfalt besonders gross, da die Sprache von vielen Menschen in zahlreichen Ländern gesprochen wird.
Muttersprache heisst: Indenität
Nur in unserer Muttersprache sind wir ganz uns selbst, denn in keiner anderen Sprache können wir uns so gut und präzise ausdrücken. Auch wenn wir eine Fremdsprache sehr gut beherrschen, so verstellen wir uns doch immer ein wenig, wenn wir sie sprechen. Manche Menschen schlüpfen gar in eine andere Rolle, wenn sie eine fremde Sprache sprechen.
Babylaute: Beeinflusst von der Mutter
Neugeborene zeigen beim Weinen charakteristische melodische Muster, die von der Sprache der Mutter beeinflusst sind. Besonders deutlich wird das bei so genannten tonalen Sprachen wie Mandarin. Bei diesen Sprachen hat auch die Tonhöhe, in welchem Wort ausgesprochen werden, eine Bedeutung. Dies haben Wissenschaftler aus verschiedenen Ländern in einem Projekt gemeinsam untersucht und in der Fachzeitschrift Journal of Voice veröffentlicht.
Vorlieben: Dialekt des Partner hilft
Manche Dialekte mögen wir, manche weniger. Persönliche Assoziationen können diese Vorlieben steuern. Wenn wir uns beispielsweise in einen Basler verliebt haben, dann mögen wir auch den Dialekt. Manche Dialekte haben aber auch einfach ein schlechtes Image, weil damit bestimmte Charakterzüge verknüpft werden. So gelten Zürcher als arrogant und überheblich – Grund genug, den Dialekt nicht zu mögen.
Zeitwahrnehmung: Beinflusst von der Sprache
Die Sprache, mit der Menschen aufwachsen, beeinflusst offenbar, wie sie Zeit wahrnehmen. Forscher der Lancaster University fanden heraus, dass manche Muttersprachler die Zeit als Distanz betrachten. So sprechen beispielsweise Schweden und Engländer von einer «langen Pause». Bei den Spaniern ist Zeit eine physikalische Menge, sie reden von der «grossen Pause».
Auffassungsgabe: Wechsel der Sprache hilft
Wissenschaftliche Untersuchungen des Deutschen Philologenverbands kommen zum Schluss, dass Kinder, die mit einem Dialekt aufwachsen und sich erst danach die Standardsprache aneignen, eine grössere Sprachkompetenz entwickeln. Dies weil der Wechsel zwischen den Sprachen die Auffassungsgabe und das abstrakte Denken trainiert.
Verdrängung: Deshalb sterben Sprachen aus
Die Gründe, weshalb eine Sprache bedroht ist oder gar untergeht, sind vielfältig. Manche Sprachen werden nur von älteren Menschen beherrscht, die neue Generation übernimmt diese nicht, sondern spricht die Sprache, die ihnen wirtschaftlich oder sozial am meisten Vorteile bringt. Mitentscheidend ist auch die Tatsache, dass immer mehr Menschen vom Land in die Stadt ziehen. Ganz allgemein verbreiten sich einige wenige Sprachen wie Englisch, Spanisch oder Chinesisch weltweit, die für Erziehung, Ausbildung und Wirtschaft wichtig sind. Diese verdrängen kleinere, regionale Sprachen.
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