Aggressive Vierbeiner Darum mögen Hunde Briefträger nicht

Bruno Bötschi

16.10.2018

Betritt ein Pöstler einen Garten, glaubt Wauwau einem Artgenossen zu begegnen. Er sieht jetzt auch einen möglichen Konkurrenten und will sein Revier verteidigen.
Betritt ein Pöstler einen Garten, glaubt Wauwau einem Artgenossen zu begegnen. Er sieht jetzt auch einen möglichen Konkurrenten und will sein Revier verteidigen.
Bild: Keystone

Spaziergänger machen gerne einen Bogen um kläffende Hunde. Pöstler können das nicht. Um ihren Job zu erledigen, müssen sie in das Territorium des Bewachers eindringen – teils mit unschönen Folgen.

Was haben Hunde bloss gegen die Pöstler? Immer wieder werden sie von Hunden gebissen. «Warum mögen Hunde keine Briefträger?», fragt sich daher manch ein Hundehalter.

Laut Masha Foursova, Mediensprecherin der Post, bewegen sich die Unfalltage durch Hundebisse bei Pöstlern jährlich nur im einstelligen Prozentbereich. «Deshalb führen wir auch keine Statistik über Hundebisse, sondern nur über 'Einwirkung durch Tiere' allgemein – das könnte also auch ein Zecken- oder Hahnbiss sein.»

Im vergangenen Jahr zählte die Schweizer Post 107 Berufsunfälle unter der Rubrik «Einwirkung durch Tiere». 2012 waren es 99, zehn Jahren davor 106 Unfälle.

Ein Nähe-Distanz-Problem

Das Dilemma: Hund und Mensch haben ein Nähe-Distanz-Problem, schreibt das «Zeit Wissen»-Magazin. Kaum ein Haustier wurde so stark gezüchtet wie der Hund. Dabei hat sich beim Wauwau etwas Entscheidendes verändert.

Forscher der US-amerikanischen Universität Princetown verglichen im vergangenen Jahr Hunde und Wölfe und stellten fest: Bei Hunden liegt eine Genmutation vor, die beim Menschen für das William-Beuren-Syndrom verantwortlich ist. Betroffene können sich schon als Kleinkind besonders gut Gesichter merken und gehen sehr offen auf fremde Personen zu. 

Dort, wo ein Hund regelmässig Erfolgserlebnisse hat, steigt der Wert des Reviers. Konkret heisst das: Er will den Ort umso heftiger vor möglichen Eindringlingen verteidigen.
Dort, wo ein Hund regelmässig Erfolgserlebnisse hat, steigt der Wert des Reviers. Konkret heisst das: Er will den Ort umso heftiger vor möglichen Eindringlingen verteidigen.
Bild: Getty Images

Etwas Ähnliches passierte auch beim Hund: Er entwickelt eine Hypersozialität. Darum sind Hunde so erstaunlich freundliche Seelen. Und deshalb lassen Schäfer, Dackel und Co., sich von Menschen streicheln, suchen ihre Aufmerksamkeit,  beschützen sie.

Die Genmutation führte wahrscheinlich aber auch dazu, dass der Hund den Menschen als seinen Artgenossen akzeptierte. Und ausgerechnet das ist, laut «Zeit Wissen», der Grund für die Angriffe auf die Briefträger.

Frassfeind Mensch

Betritt ein Pöstler einen Garten, glaubt Wauwau einem Artgenossen zu begegnen. Er sieht jetzt auch einen möglichen Konkurrenten und will sein Revier verteidigen. Der Hund knurrt, bellt – und manchmal beisst oder schnappt er auch zu. Weil der Garten eben kein gewöhnlicher Ort ist für den Hund, sondern sein Daheim, in dem er sein Leben verbringt.

Hundeforscher Umwe Ganssloser sagt in «Zeit Wissen»: «Dort, wo ein Hund regelmässig Erfolgserlebnisse hat, steigt der Wert des Reviers.» Konkret heisst das: Er will den Ort umso heftiger vor möglichen Eindringlingen verteidigen. Denn sein Gegenüber, der Briefträger, könnte ihm vielleicht sein Futter streitig machen. Er ist sein Frassfeind.

Um seine Arbeit auszuführen, ignoriert der Pöstler aber das Gekläffe und dringt immer weiter ins Revier ein, bis er den Briefkasten erreicht. Für den Hund bedeutet das: Der Mensch nimmt den Kampf auf. Hat der die Post eingeworfen, verschwindet er wieder.

Aus Sicht des Hundes gibt sich der Briefträger geschlagen. Der Hund hat den Kampf gewonnen: ein Erfolgserlebnis. Er wird den Pöstler bei der nächsten Begegnung wohl wieder angereifen.

Bestechliche Hunde

Übrigens: Mit Hundebissen ist nicht zu spassen, deshalb muss der angegriffene Briefträger in jedem Fall zum Arzt. Im Suva-Protokoll wird unter der Rubrik «Schädigung» das Wort «Biss» vermerkt.

Der Arzt wiederum ist verpflichtet, den Vorfall dem kantonalen Veterinäramt zu melden. Das kann für den Halter unangenehm werden: Das Veterinäramt bittet Hundehalter und Opfer um eine Stellungnahme und entscheidet dann über die weiteren Schritte. Als Ultima Ratio kann sogar die Euthanasie angeordnet werden. Das heisst: Das Tier wird eingeschläfert.

Klar ist hingegen, dass Hundebisse nicht zu den grösseren Gefahren im Zustelldienst zählen. Am häufigsten verunfallen Briefträger, weil sie auf der Treppe stolpern, bem Gehen ausgleiten oder sogar runterstürzen, so Masha Foursova.

Und dass Hunde grundsätzlich bestechlich sind und mit reichlich Biskuits durchaus langjährige Freundschaften entstehen können, ist natürlich auch kein Geheimnis.

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