«Fühlt sich republikanisch an» Einen Freund zu haben soll nun peinlich sein

Lea Oetiker

1.11.2025

Das Konzept der Serie «Sex and the City» zielte darauf ab, weibliche Selbstständigkeit, Freundschaft und das Leben in der Stadt als gleichwertige Lebensmodelle neben Ehe und Familie zu zeigen.
Das Konzept der Serie «Sex and the City» zielte darauf ab, weibliche Selbstständigkeit, Freundschaft und das Leben in der Stadt als gleichwertige Lebensmodelle neben Ehe und Familie zu zeigen.
imago images/Mary Evans

Früher galt ein Freund als Statussymbol, heute fast als Stigma: Laut der britischen «Vogue» zeigen viele Frauen ihre Beziehungen lieber nicht mehr öffentlich – nicht aus Scham, sondern weil Selbstständigkeit und Zufriedenheit längst wichtiger sind als das Label «vergeben».

Lea Oetiker

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Am Wochenende erschien in der «Vogue» ein Artikel, der hohe Wellen schlug.
  • Darin geht die Autorin der Frage nach, ob es heute als peinlich gilt, eine Beziehung zu führen.
  • «Eine Beziehung zu haben, bestätigt die eigene Weiblichkeit nicht mehr. Sie gilt längst nicht mehr als Leistung», findet die Autorin.
  • Auch Studien belegen, dass Single-Frauen zufrieden und glücklich sind.

Letztes Wochenende hat die britische «Vogue» einen Artikel mit dem Titel «Ist es jetzt peinlich, einen Freund zu haben?» veröffentlicht.

Die Kolumnistin Chante Joseph schreibt darin, dass viele Frauen es derzeit meiden, ihre Beziehung offen auf sozialen Medien zu zeigen. Früher war es üblich, dass weibliche Online-Identitäten stark um ihre Partner kreisten – Frauen galten als erfolgreicher, wenn sie «einen Mann hatten». 

Heute ist der Trend umgekehrt: Frauen zeigen nur subtile Hinweise auf ihre Beziehung: eine Hand, ein Schatten oder ein verschwommenes Gesicht. Frauen wollen gleichzeitig von der sozialen Anerkennung einer Partnerschaft profitieren, aber nicht «boyfriend-obsessed» oder spiessig wirken.

@chantayyjayy

So many thoughts! This is my 2AM summary please go and read ❤️

♬ original sound - Chanté Joseph

«Sie wollen die Vorteile und die Anerkennung einer Partnerschaft, verstehen aber gleichzeitig, dass sie normal ist», erklärt Zoé Samudzi, Autorin und Aktivistin der «Vogue». Es geht dabei längst nicht nur ums Image. Wie die «Vogue»-Kolumnistin berichtet, erzählten ihr viele Frauen, sie verzichteten bewusst darauf, ihren Partner zu posten.

Manche fürchten den sogenannten «bösen Blick» – die Vorstellung, dass Glück Neid weckt und eine Beziehung dadurch zerbrechen könnte. Andere haben schlicht Angst, dass es irgendwann vorbei ist – und sie dann mit all den alten Posts konfrontiert sind.

«Eine Beziehung zu haben, gilt nicht mehr als Leistung»

Ob Single oder in einer Beziehung, es scheint so, als wäre es fast schon peinlich, mit einem Mann zusammen zu sein. Darüber wird auch im Podcast «The Delusional Diaries» gesprochen.

«Warum fühlt es sich an, als wäre es republikanisch, einen Freund zu haben?», lautet ein Top-Kommentar mit rund 12'000 Likes. «Freunde sind out. Sie werden erst wieder in Mode kommen, wenn sie sich endlich richtig verhalten», heisst es in einem anderen Kommentar mit 10'000 Likes.

Beide Moderatorinnen des Podcasts sind in einer Beziehung. Laut «Vogue» ist dies jedoch ein Muster, welches häufig vorkommt: Auch Frauen in Beziehungen klagen über Männer und Heterosexualität – aus Solidarität mit anderen Frauen, aber auch, weil es inzwischen als wenig cool gilt, das klassische «Boyfriend-Girl» abzugeben.

Die Kolumnistin zieht ihr Fazit: «Eine Beziehung zu haben, bestätigt die eigene Weiblichkeit nicht mehr. Sie gilt längst nicht mehr als Leistung – im Gegenteil, es ist fast schon ein Statement, sich als Single zu bezeichnen.»

Studien bestätigen: Single-Frauen sind glücklicher

Also: Die Treadwives sind out – Singles liegen im Trend. Freundschaften, Karriere und Selbstverwirklichung sind heute für viele Frauen ausreichend – romantische Beziehungen nicht mehr zwingend der Fixpunkt, höchstens vielleicht ein nettes Add-on.

Auch Studien zeigen: Single-Frauen sind glücklicher – zumindest im Vergleich zu Single-Männern. Eine Untersuchung der Universität Toronto zeigte, dass Frauen häufiger mit ihrem aktuellen Beziehungsstatus zufrieden waren, seltener nach einem Partner suchten und ihr Leben insgesamt gelassener betrachteten.

Die Studienverantwortlichen Elaine Hoan und Geoff MacDonald vermuten als einen Grund für die Ergebnisse, dass Frauen mehr Beziehungen über solche romantische Natur hinaus haben, etwa zu Freunden und Familie.

Ausserdem fehle der Reiz: In heterosexuellen Beziehungen erledigen sie oft mehr als ihre Hälfte des Haushalts und arbeiten gleichzeitig – während Männer etwas von der Hausarbeit abgeben und von einem zweiten Einkommen profitieren. Sie vermuten: «Männer würden mit einer Partnerschaft mehr dazugewinnen als Single-Frauen.»

Frauen übernehmen Care-Arbeit und emotionale Arbeit

Auch Emily Grundy von der University of Essex bestätigt, dass Frauen stärker sozial eingebettet sind und dadurch weniger unter Alleinsein leiden, wie die «Frankfurter Rundschau» schreibt.

Laut einer Studie des Datenanalysten Mintel suchen sie deshalb seltener aktiv nach Partnern – und sind mit ihrem Singleleben zufriedener. Grundy bestätigt, es gäbe Anzeichen dafür, dass Frauen nicht nur den Grossteil der Hausarbeit und der Care-Arbeit übernehmen, sondern auch mehr emotionale Arbeit leisten. 

Gleichzeitig hält sich in der Gesellschaft das Bild, eine Frau müsse ihr Glück in der Liebe finden. Doch Forscherinnen wie Kinneret Lahad zeigen, dass sich dieses Narrativ wandelt: Selektivität galt früher als Tugend, heute wird sie oft problematisiert. Glücksexperte Paul Dolan von der London School of Economics geht noch weiter – seiner Forschung zufolge sind alleinstehende, kinderlose Frauen am glücklichsten.

Während Männer in der Ehe gesundheitlich profitieren, tragen verheiratete Frauen häufiger ein höheres Risiko für psychische und körperliche Belastungen. Kinder können Freude bringen, meint Dolan, sind aber ebenso eine erhebliche Stressquelle – worüber zu selten gesprochen wird. Seine Bilanz: Traditionelle Erfolgssymbole wie Ehe und Familie garantieren längst kein Glück mehr.

«Einen Freund zu haben, ist nicht peinlich»

Auch in den sozialen Medien schlägt das Thema hohe Wellen – spätestens seitdem die Vogue darüber geschrieben hat. Eine TikTok-Nutzerin erklärt: «Ein Artikel wie dieser ruft zwangsläufig eine Menge Gegenwind hervor. Doch im Kern handelt es sich hier eigentlich um eine soziologische und anthropologische Beobachtung, die es verdient hätte, in einer Art ‹Hall of Fame› zu stehen.»

Der Text beschäftige sich mit einem Thema, über welches viele sprechen – allerdings aus einer ungewöhnlichen Perspektive: «Statt die Einsamkeit oder das Single-Dasein in den Mittelpunkt zu stellen, richtet er den Blick auf Menschen, die in einer Beziehung sind», so die TikTok-Nutzerin weiter. 

@missmoneypenny413

@British Vogue @Chanté Joseph @Tell The Bees leading the way in groundbreaking cultural journalism! #greenscreen #fyp #britishvogue #videoessay #dating

♬ original sound - Tonna

Unter dem TikTok-Video kommentiert ein Nutzer: «Diese ‹Rage-Bait-› oder ‹Cope›-Artikel tragen nur dazu bei, die Feindseligkeit zwischen Männern und Frauen weiter zu schüren und überzeugen die Menschen davon, einsam zu sein. Viele glauben, übertriebene Unabhängigkeit sei ein Zeichen von Anti-Institutionalismus – dabei ist sie in Wahrheit ein Grundpfeiler des Kapitalismus.»

Eine andere Nutzerin kommentiert: «Ich glaube, viele übersehen den eigentlichen Punkt: Es geht nicht darum, keinen Freund zu haben, sondern darum, das Leben nicht um einen Freund zu drehen – sondern um sich selbst und die eigenen Ziele. Der Freund ist nicht mehr das zentrale Ziel oder der ‹Erfolg›, der er früher einmal war.»

@elixirshotz

Its not embarrassing when ur with a high quality guy!!!

♬ original sound - lenaxmirou

Eine Nutzerin hält dagegen: «Lasst euch von den Leuten im Internet nicht sagen, es sei peinlich, einen Freund zu haben. Peinlich ist es, einen Loser zu daten.»

Ihrer Ansicht nach ist es keineswegs uncool, einen Partner zu haben – solange dieser einen wirklich weiterbringt. Ein Freund sei dann etwas Positives, wenn er «das Leben verbessert», einen gut behandelt und sich sichtbar um das Wohlbefinden seiner Partnerin bemüht.

Der wahre Grund, warum manche Frauen ihre Beziehung nicht öffentlich zeigen, liege laut der TikTok-Nutzerin woanders: nicht darin, dass es «cool» sei, Single zu wirken, sondern darin, dass der Freund schlicht kein Gewinn ist.


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